„Heute machen wir uns auf Schatzsuche“
Angehörige und Betreuer von Demenzkranken können in der Gemeindebibliothek Niederkrüchten Erinnerungskoffer ausleihen.
Es ist still. Auf jedem der Stühle in der Bibliothek finden sich Gegenstände, die angeschaut und befühlt werden dürfen. Es gibt Holzscheiben, Muscheln, Bastelarbeiten, eine Schallplatte oder auch ein Gewürz-Fläschchen. Assoziieren die Workshop-Teilnehmer etwas mit dem Gegenstand, setzen sie sich. Hat er für sie keine Bedeutung, wählen sie einen anderen Platz. Beiläufig und doch ganz bewusst lenkt Marion Küpper, die in der Gemeinde Niederkrüchten für die Quartiersentwicklung im Bereich Altwerden und Pflege zuständig ist, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf das Thema. Es geht um Erinnerungsarbeit und im Zuge dessen auch um sogenannte Erinnerungskoffer.
Die Gemeindebibliothek Niederkrüchten wird Partner im DemenzNetzwerk des Kreises Viersen und bietet erstmalig Workshops zum Thema Erinnerungspflege an. „Heute machen wir uns sozusagen auf Schatzsuche“, erklärt die DiplomSozialpädagogin Küpper. Was sie damit meint? Jeder Mensch erinnere sich in mindestens zwei Dimensionen, sagt sie. Zum einen kenne er seinen Lebenslauf; er wisse, wo und wann er geboren wurde, in welche Schule er ging und welche beruflichen Stationen er durchlaufen hat. Zum anderen verbinde er mit allem, was ihm in seinem Leben begegnete, ein gewisses Empfinden. „An dieser Stelle geht es vor allem um Erinnerungen, die mit den Sinnen erfahren wurden, und an die Leute, die an Demenz erkrankte Personen pflegen und betreuen, andocken können“, so Küpper.
In der Regel könnten die Erkrankten sich sehr lange an Dinge oder Erlebnisse erinnern, die sie mit einem bestimmten Duft, einem Geräusch, einer Routine oder einer einstudierten Tätigkeit, etwa mit den Händen, verbinden. „Menschen mit Demenz, vor allem anfangs, stehen unter dem permanenten Stress, sich vergewissern zu wollen, wer sie sind und was sie können“, so die Sozialpädagogin. Über Erinnerungspflege würden Wege in diese Selbstvergewisserung erleichtert werden. Erkrankte und Pflegende könnten dadurch etwas Ruhe und Beständigkeit erfahren.
Küpper lädt die Workshop-Teilnehmer ein, sich gedanklich für jeweils „ihre“Person auf die Suche zu begeben und zu hinterfragen, wie Brücken gebaut werden könnten zu den Erinnerungen, die vor allem über Sinneswahrnehmungen erfahrbar sind. Um eine Idee für die gestellte Aufgabe zu bekommen, teilt die Sozialarbeiterin einen Fragebogen aus, der mit Schlagsätzen gespickt ist. „Mmh, das ist lecker“, steht da in einer Zeile, „Lieblingslieder“, in einer anderen, „Das fühlt sich gut an“in einer weiteren. Die pflegenden Angehörigen und Betreuer sind angehalten, Beispiele zu finden und sie aufzuschreiben. Nebenher werden Gespräche geführt, Tipps ausgetauscht, Schicksale geteilt.
Als der Fragebogen ausgefüllt ist, geht es in einem weiteren Schritt daran, sich zu überlegen, welche Gegenstände stellvertretend für die Erfahrungen, die der Erkrankte mit seinen Sinnen machte, in den „Erinnerungskoffer“gepackt werden könnten. „Es sollten am besten Dinge sein, die man anfassen, an denen man riechen oder die man anschauen kann“, erklärt Küpper. Eine Teilnehmerin gibt zu, dass sie nicht weiß, welche Gegenstände diesem Anspruch gerecht werden könnten. Marion Küpper gibt Denkanstöße, auch andere Workshop-Teilnehmer bringen sich ein; und schon geht es um Küchenutensilien im Kleinformat für die Mutter, die gerne gekocht hat, um verschiedene Stoffe zum Befühlen für jemanden, der es liebte, sich mit Handarbeiten zu beschäftigen und um eine Fahrradklingel und getrocknete Blätter für den Vater, der oft in der Natur unterwegs war.
In der zweiten Veranstaltung, die Ende Mai stattfindet, werden den Teilnehmern Koffer zur Verfügung gestellt, die sie befüllen können. Dazu soll jeder mindestens einen auserkorenen Gegenstand mitbringen und in der Runde vorstellen. Übrigens: Bereits gepackte Koffer kann man sich auch in der Bibliothek bei Andrea Otten und ihrem Team ausleihen. „Diese Koffer sind zwar recht allgemein befüllt, können aber auch Anlass für Gespräche und Erinnerungsarbeit mit Erkrankten geben“, erklärt die Bibliothekarin.