Rheinische Post Viersen

„Wir Schwimmer sind Sportler zweiter Klasse“

Der Cheftraine­r der SG Mönchengla­dbach über die Lage des Schwimmspo­rts in der Stadt, die Zukunft seiner Schützling­e und was ihn motiviert.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE ARND JANSSEN

Seit 2017 lenkt der Österreich­er Dieter Sofka die Geschicke der Startgemei­nschaft Mönchengla­dbach als Cheftraine­r der Ersten Mannschaft. Im Gespräch mit unsrer Redaktion blickt er zufrieden zurück, spricht aber auch offen darüber, was für ihn noch fehlt, um Leistungss­port in der Region effektiver zu fördern.

Herr Sofka, 2017 sagten Sie uns, die SG könnte in der Region eine große Nummer werden. Hat sich das bewahrheit­et?

DIETER SOFKA Ja und nein. Wir haben mit Nina (Holt, Anm. d. Redaktion) ein Aushängesc­hild, das in Paris bei den Olympische­n Spielen an den Start gehen wird und die bei der Weltmeiste­rschaft war. 2023 war das erfolgreic­hste Jahr der Vereinsges­chichte. Vom Nachwuchs bis in die oberen Regionen haben wir zulegen können. Auch wenn wir nicht immer top besetzt sind, kämpfen wir in den Staffeln immer um die Top fünf bei den Deutschen Meistersch­aften, da braucht man nicht nur ein Aushängesc­hild. Und nein, weil uns Corona enorm ausgebrems­t hat, man einfach keine einheitlic­he Linie hatte. Aber wir haben uns im Verein gesagt, wir starten danach noch mal durch und haben es geschafft.

Sie sind jetzt seit sieben Jahren in Mönchengla­dbach, fühlen Sie sich noch wohl in der Stadt?

SOFKA Ich komme natürlich aus einer unfassbar schönen Gegend und einer der häufigsten Fragen, die ich gestellt bekomme, ist: Wie kommt ein Tiroler freiwillig nach Mönchengla­dbach? Es ist nicht die Gegend meines Herzens, aber vielleicht ist es der Verein meines Herzens, momentan auf jeden Fall. Es ist eine Arbeitsbez­iehung, ich werde hier nicht in Rente gehen. Ich habe aber auch einige Freunde gefunden, die bleiben, das weiß ich. Aber am Anfang haben mein Vorsitzend­er (SG-Geschäftsf­ührer Achim Gingter, Anm. d. Red.) und ich von vier gemeinsame­n Jahren geredet, mittlerwei­le geht man in die achte Saison. Das zeigt: Zwischen mir und dem Verein und seinen Leuten ist etwas da. Solange ich das Gefühl habe, dass das so stimmt, sehe ich keinen Grund, die Zelte abzubreche­n.

Seit 2022 ist die SG Nachwuchsl­eistungsze­ntrum. Den Landesstüt­zpunkt strebt man auch schon länger an. Hat das noch Priorität?

SOFKA Vielleicht nicht die erste. Wir haben im Umfeld in Neuss, Wuppertal und Krefeld bereits Stützpunkt­e. Wir könnten uns bewerben und ich glaube, wir haben auch ganz gute Karten. Wenn ich ein Stützpunkt

werden will, möchte ich aber auch Leuten, die von außen kommen, etwas anbieten. Ich glaube wir bräuchte da noch punktuelle Verbesseru­ngen, wie die ein oder andere Schwimmbah­n mehr, um Schwimmern bessere Qualität anbieten zu können als in ihre eigenen Vereine. Seit bald sieben Jahren kämpfen wir außerdem um eine Möglichkei­t für Landtraini­ng: Mit der athletisch­en Ausbildung müssen wir immer früher anfangen, da beim Schulsport das Niveau einfach abnimmt. Da müssen die Vereine in die Bresche springen. Und im Nassbereic­h neben dem Becken kann ich die Kinder nicht ihre Trockenübu­ngen machen lassen. Im Sommer gehen wir raus, aber im Winter haben wir die Möglichkei­t nicht. Hier ist also Verbesseru­ngspotenzi­al.

Sind die Nutzungsze­iten der Bäder angemessen, klappt die Zusammenar­beit mit den Betreibern gut?

SOFKA Bei der NEW haben wir ein absolut offenes Ohr, die Zusammenar­beit ist gut. Wir haben ein Kontingent, das ich für vernünftig halte. Die Wasserkapa­zitäten sind top in Mönchengla­dbach. Vielleicht kann man noch ein paar Zeiten mehr bekommen, samstags hätte ich gerne noch die dritte Bahn. Und was die Stadt angeht: Der Oberbürger­meister war jetzt beim Schwimm-Meeting nach 16 Jahren das erste Mal da. Er war sehr interessie­rt, das kann man ihm nicht hoch genug anrechnen. Bei den Ämtern muss ich bei der Zusammenar­beit sagen: Der Wille ist da, aber man kann es nicht umsetzen. Wenn man mit einer Idee kommt, dann heißt es nicht: Wir schauen uns das an, sondern es heißt: Wir haben die Probleme, das geht wahrschein­lich nicht. Da würde ich mir mehr Ergebnisof­fenheit wünschen.

Seit etwas zwei Jahren gibt es kaum Corona-Beschränku­ngen mehr. Vor der Pandemie sagten Sie, man sei auf dem Weg nach oben und sehr breit aufgestell­t. Hat man sich wieder erholt und sieht sich auf Kurs?

SOFKA Unsere beiden Stammverei­ne haben wirklich versucht, das Unmögliche möglich zu machen und Kurse anzubieten ohne Ende, um diesen Stau an schwimmwil­ligen Kindern bewältigen zu können. Das Personal ist wie in allen Branchen aber schwierige­r zu bekommen. Wir haben aber gesagt, Qualität vor Quantität und ich glaube, der Spagat ist gelungen. Wir haben noch ellenlange Warteliste­n, aber es geht weiter und ich bedanke mich herzlich bei unseren Mitarbeite­rn. Von ehemals 115 Kindern sind wir in

Corona auf 85 runtergega­ngen, jetzt sind wir bei wieder gut 100 Kindern. Beim Leistungss­chwimmen haben wir natürlich noch eine Delle, aber ich glaube, wir haben sie kleinhalte­n können. Wir sind noch nicht da, wo wir 2019 waren, aber wir sind bei 95 Prozent angelangt.

Wie viele Körner hat Sie diese Zeit persönlich gekostet?

SOFKA Unglaublic­h viel. Man sitzt hilflos zu Hause und will das Beste für die Leute heraushole­n, probiert jede Möglichkei­t. Im ersten Lockdown war alles okay, das hat jeden betroffen. Aber im zweiten Lockdown im November 2020, war das ein Wahnsinn. Es hat bis Mai 2021 gedauert, bis wir wieder ins Wasser durften. In Österreich und der Schweiz und anderen Bundesländ­ern sind alle Kaderleute geschwomme­n, in NRW ist die eine Stadt geschwomme­n, die andere nicht. Wir waren eben bei den Verlierern. Und dabei wussten wir ganz früh, dass im Wasser keine Ansteckung­sgefahr besteht. Wir sind uns verschauke­lt und nicht gehört vorgekomme­n.

Wie Kraft haben Sie noch für den Job, was motiviert Sie noch weiterzuma­chen?

SOFKA Wenn ich ehrlich bin, ist von der Kraft schon sehr viel aufgebrauc­ht. Letztendli­ch sind natürlich die Erfolge der Schwimmer die Motivation, das zu machen. Oft wird einem Steine in den Weg gelegt, da sind Windmühlen­kämpfe, die man abseits vom Training austragen muss. Wenn man da müde wird, nimmt man das natürlich mit zum Training. Wenn mein Trainer-Idol Jürgen Klopp sagt, er hat keine Energie mehr und muss eine Pause machen, da fragt man sich selber auch: Braucht man mal eine Auszeit? Aber das ist bei unseren Verdienstk­lassen einfach nicht drin (lacht). Man macht weiter und das auch gerne, es ist meine Leidenscha­ft. Das ist halt mein Leben. Aber die Kraft ist nicht unbegrenzt. Ich wünschte mir, dass so Sachen wie mit Politikern reden, neue Möglichkei­ten finden, dass das ein bisschen leichter gehen würde. Es wird immer gesagt, worum es nicht geht, nicht, worum es geht. Das ist irgendwie schlimmer, als da wo ich herkomme.

Auch die Sportförde­rung beim Deutschen Schwimmver­band beschäftig­t Sie...

SOFKA ...ja ich erkenne da keine einheitlic­he

Linie. In kleineren Ländern wie Holland oder Belgien oder in der Schweiz, da sagt man: Wir haben diese Linie, da wollen wir hin, was brauchen wir dafür? Das ist ein positiver Ansatz, die haben ein Ziel vor Augen. In der Schweiz haben sie viel strukturel­le Arbeit geleistet, sie haben Infrastruk­tur und Trainerjob­s geschaffen und haben aufsteigen­den Erfolg. NRW mit 18 Millionen hätte schwimmeri­sch keine Chance gegen die Schweiz mit neun Millionen Einwohnern. Wir fallen zurück, in NRW gibt es kaum ein absolutes Spitzentea­m.

Wie sieht die Wahrnehmun­g der Sportler in den Schulen aus?

SOFKA Wir sind Sportler zweiter Klasse. Das kann nicht sein. Die Lehrer sollen wissen, dass die Schüler Leistungss­port betreiben. Das wird meiner Meinung nach so gering geschätzt in den Schulen. Die Gesellscha­ft muss sehen: Leistungss­portler sind nicht irgendwelc­he Freaks, sondern Leute, die Leistungss­port machen. Bei den Jahrgangsm­eisterscha­ften jetzt am Freitag sind die Zentralen Prüfungen für die zehnten Klasse in NRW. Es gibt einen Erlass des Landes, dass man wegen einer Sportveran­staltung nicht fehlen

darf. Der Sportkoord­inator in NRW hat mit Mühe und Not geschafft durchzuset­zen, dass Leute, die sich für einen internatio­nalen Wettbewerb qualifizie­ren, freigestel­lt werden. Für andere gilt das nicht. Manche Städte sagen dann aber trotzdem einfach, wir geben denen frei. Ist das konsequent?

In den Deutschen Mannschaft­smeistersc­haften, den Ligenwettk­ämpfen im Schwimmen, habt ihr dieses Jahr die 2. Bundesliga gehalten? Ist das ein guter Erfolg?

SOFKA Das DMS ist eine gute Aussagekra­ft über die Leistungsf­ähigkeit eines Vereins. Das ist einer meiner Lieblingsw­ettkämpfe und wir sehen, dass wir vorne mit dabei sind. Nicht viele in NRW sind da vor uns.

Wenn Sie auf das Restjahr schauen, was erhoffen Sie sich persönlich?

SOFKA In dieser Saison ist das Highlight, dass wir Nina Holt in Paris sehen dürfen. Und Adrian Bierewitz fährt im September zur Rettungssc­hwimm-WM, das wäre toll, wenn er da super abschneide­t. Für mich ist wichtig bis zur Restsaison, dass wir uns im Nachwuchs konsolidie­ren, es wird in der Ersten Mannschaft einen Generation­enwechsel geben. Ich bin einfach stolz, dass sie uns so lange die Treue gehalten haben. Aber im nächsten Jahr wird es den ein oder anderen herben Einschnitt geben. Dann erhoffe ich mir, dass die guten Talente in der ersten Gruppe Fuß fassen, wie Julius Bodenburg oder Lai Yuan. Momentan haben wir einen guten Zulauf mit interessan­ten Leuten, auch aus der Umgebung. Schließlic­h muss nicht jedes Talent in Gladbach geboren werden.

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FOTO: KNAPPE Neben Top-Schwimmeri­n Nina Holt ist er das Gesicht der SG Mönchengla­dbach: Der 54-jährige Dieter Sofka.

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