Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Gefangen auf dem Mittelmeer
Mit 42 Flüchtlingen an Bord kreuzt die „ SeaWatch 3“vor der Küste Italiens. Die Regierung verwehrt der deutschen Kapitänin die Einfahrt.
LAMPEDUSA Carola Rackete sieht müde aus. Ihre langen Haare hat sie am Hinterkopf zusammengebunden. Auf einem Video, das die Kapitänin der „Sea-watch 3“vor einigen Tagen aufgenommen hat, steht sie auf der Kommandobrücke ihres Schiffes, im Hintergrund tanzen die Wellen. Vor exakt zwei Wochen war es, als die „Sea-watch 3“53 Menschen von einem seeuntauglichen Schlauchboot im Mittelmeer rettete.
Elf teilweise kranke Migranten durften von Bord gehen. Noch immer sind 42 Flüchtlinge auf der „SeaWatch 3“, seit Tagen kreuzt das Schiff im Zickzackkurs vor der Insel Lampedusa, weil die italienische Regierung die Einfahrt verbietet. Die Geduld der Kapitänin ist nun offenbar am Ende. „Ich fahre in italienische Gewässer“, kündigte die 31-Jährige in der Zeitung „La Repubblica“an.
Dem steht allerdings seit Dienstag eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg entgegen. Die deutsche Hilfsorganisation SeaWatch hatte dort eine einstweilige Maßnahme gegen Italien beantragt, damit die Migranten an Land gehen können. Wäre dem Antrag stattgegeben worden, hätte Italien die Flüchtlinge an Land lassen müssen. Doch die Richter lehnten ab.
„Die Migranten sind verzweifelt“, sagte Rackete. „Einige drohen mit Hungerstreik, andere sagen, sie wollten sich ins Meer stürzen oder die Haut aufschlitzen. Sie können nicht mehr, sie fühlen sich wie im Gefängnis.“Dasselbe gilt wohl auch für die Kapitänin aus Hambühren in Niedersachsen. Die Kraft ist nach 14 Tagen auf See aufgebraucht. Italiens Innenminister Matteo Salvini bleibt indessen hart. Am Montag hatte er getwittert: „Die EU will das Problem Sea-watch lösen? Ganz einfach: holländisches Schiff, deutsche NGO: eine Hälfte der Migranten nach Amsterdam, die andere nach Berlin. Konfiszierung des Piratenschiffs. Punkt.“
Schon seit einem Jahr versagt Salvini Schiffen von Hilfsorganisationen, die Flüchtlinge an Land bringen wollen, die Einfahrt in italienische Häfen. In einigen Fällen einigten sich Eu-staaten, darunter Deutschland, dennoch auf eine Ad-hoc-verteilung der geretteten Flüchtlinge. Im Fall der „Sea-watch 3“gibt es derzeit aber keine Kompromissbereitschaft. Mitte Juni verschärfte die italienische Regierung zudem per Dekret ihr Vorgehen gegen Hilfsorganisationen, die im Mittelmeer Flüchtlinge aufnehmen. Die Besatzungen der Hilfsschiffe riskieren bei unerlaubter Einfahrt nun Geldstrafen zwischen 10.000 und 50.000 Euro, zudem drohen Ermittlungen wegen Beihilfe zur illegalen Einreise sowie die Beschlagnahme des Schiffes. Laut Sea-watch verstößt Italien mit seiner Blockade gegen internationales Seerecht, das Dekret ist auch verfassungsrechtlich umstritten. Bis zu einer gerichtlichen Überprüfung bleibt es aber in Kraft.
Sie sei sich des strafrechtlichen Risikos bewusst, sagte Rackete. „Aber ich bin für die 42 Menschen verantwortlich, die ich im Meer aufgelesen habe und die keine Kraft mehr haben.“Deren Leben sei wichtiger als politische Spielchen. Täglich schicke sie „mindestens zehn E-mails“an die zuständigen Behörden in Italien, den Niederlanden und Malta und hänge auch den Bericht über die gesundheitliche Situation der Migranten an. Aus Rom bekomme sie von der Küstenwache die Antwort, man sei nicht zuständig. Offenbar stehe die Behörde unter der Kontrolle des Innenministeriums. Malta habe die Einfahrtserlaubnis verweigert. Auch die Behörden in den Niederlanden würden nicht helfen. „Der Krieg in Libyen ist nicht unsere Schuld“, heiße es dort. Die Aufforderung, in einen niederländischen Hafen einzulaufen, sei „lächerlich“. Dazu müsste man den gesamten Kontinent umschiffen.
Nach Libyen wollen die Aktivisten die Migranten wegen der Menschenrechtslage nicht zurückbringen, auch in Tunesien seien Flüchtlinge nicht ausreichend geschützt. „Wir sind von der Gleichgültigkeit der nationalen Regierungen umgeben“, sagte Rackete.
Bereits im Januar hatte sich SeaWatch an den Menschenrechtsgerichtshof gewandt, um zu erwirken, dass Migranten in Italien an Land gehen können. Schon damals aber gab das Gericht der Organisation keine Erlaubnis zur Einfahrt. Italien musste die Flüchtlinge aber medizinisch versorgen. Diese Auflage wiederholten die Richter nun.