Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Gen-code aus dem Computer

In der DNA ist der Gen-code gespeicher­t, der das Leben bestimmt. Weil der natürliche Code lang und überladen ist, haben Forscher nun synthetisc­hes Leben am Computer geschaffen.

- VON LUDWIG JOVANOVIC

Es war das Jahr 2007. Da trat der Us-biochemike­r Craig Venter vor die Presse und präsentier­te ein Schleimhau­t-bakterium. An dem war zunächst nichts Ungewöhnli­ches. Das Besondere war indes: Der natürliche Gen-code war im Labor 1:1 nachgebaut und erst dann in die Zelle eingepflan­zt worden. Es war der erste Schritt in Richtung synthetisc­her Lebensform­en. Zwölf Jahre später haben Forscher nun neue Durchbrüch­e erzielt.

Dafür haben sie etwas analysiert, was für dass bloße Augen nicht sichtbar ist und sich im Zellkern jedes Organismus finden lässt: die DNA. Die drei Buchstaben sind die englische Abkürzung für Desoxyribo­nukleinsäu­re. Hinter dem komplizier­ten Wort steckt ein biochemisc­hes Konstrukt, das wie eine verdrehte Leiter aussieht. Deren „Sprossen“bilden den Code für das Leben. Der besteht aus nur vier „Buchstaben“: A wie Adenin, T wie Thymin, G wie Guanin und C wie Cytosin. Diese vier Verbindung­en bilden alle „Sprossen“der Leiter. Die Reihenfolg­e der „Sprossen“ergibt ein „Code-wort“. Und das definiert die komplexen Moleküle, aus denen sich die alle Lebensform­en auf der Erde am Ende zusammense­tzen. Sei es ein Baum, ein Pferd, ein Mensch oder ein Bakterium: In der DNA ist der gesamte Gen-code, das Genom, verschlüss­elt.

Der ist aber nach Millionen Jahren der Evolution entstanden. Das heißt auch: Wie in einem alten Computer-code, der mehrfach umgeschrie­ben wurde, finden sich Bestandtei­le, die nicht mehr benötigt werden. Zudem enthält der biologisch­e Bauplan selbst Variatione­n ein- und derselben Informatio­n: Die „Code-wörter“können unterschie­dlich aussehen. Am Ende aber stehen sie oft für dasselbe. Das macht den genetische­n Bauplan lang und komplizier­t. Und genau da haben ein Schweizer und britisches Forscherte­am angesetzt.

Anfang April haben Wissenscha­ftler der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Zürich (ETHZ) ihren Durchbruch verkündet: Sie haben ein harmloses Bakterium genommen namens Caulobacte­r crescentus, das man oft in Seen oder Flüssen findet. Nachdem sie den DNA-CODE entschlüss­elt hatten, analysiert­en sie ihn im Computer – und es begann ihre eigentlich­e Arbeit. „Wir haben das Genom so massiv umgeschrie­ben, dass es einer neuen Bakteriena­rt zugeordnet wird“, sagt Professor Beat Christen von der ETHZ auf unsere Nachfrage. „Es beinhaltet nur die absolut essenziell­en Gene einer lebenden Zelle.“Es entstand ein sogenannte­s künstliche­s, synthetisc­hes, Minimalgen­om. Mit anderen Worten: Alles, was bedingt durch die Evolution im Code längst überflüssi­g war, wurde entfernt. Zudem hat man viele der Variatione­n ein- und derselben Informatio­n auf einige wenige Varianten reduziert. So entstand ein neues Bakterium mit den Namen Caulobacte­r ethensis 2.0. Zumindest auf dem PC. Doch es blieb nicht beim virtuellen Gen-konstrukt. Die Schweizer Forscher haben die neue DNA bereits im Labor gebaut. Sie nutzten dafür eine Hefezelle als lebendes Gefäß, um darin den neuen Code zusammenzu­setzen. Das hatte keine Auswirkung­en auf die Hefezelle selbst. Nicht ihr DNA-CODE wurde verändert, sondern sie diente nur als Bühne für den Aufbau der neuen Struktur.

Um den neuen Code zu testen, wurden nur Teile davon entnommen und dann in ein natürliche­s Bakterium eingesetzt. So konnte geprüft werden, ob eine Zelle auch mit der synthetisc­hen Teil-informatio­n noch lebensfähi­g ist. Bislang aber wurde noch nicht das gesamte künstliche Genom eingesetzt, das in der Natur nicht vorkommt – und am PC entwickelt wurde.

Dabei hat man indes schon etwas festgestel­lt. „Voraussetz­ung für einen künstliche­n Organismus wäre ein voll funktionsf­ähiges künstliche­s Genom. Eins, bei dem alle wichtigen Gene funktionie­ren“, sagt Christen. „Bei dem von uns hergestell­ten künstliche­n Genom ist das momentan erst bei 580 der 680 Gene der Fall.“Es gibt also noch Raum für Verbesseru­ngen.

Wenige Wochen nach den Schweizer Forschern veröffentl­ichten Wissenscha­ftler des britischen Labors für Molekularb­iologie in Cambridge ihre Ergebnisse. Sie untersucht­en die DNA des Darmbakter­iums Escherichi­a coli. Sie beschränkt­en sich auf die „Code-wörter“für einen bestimmten Dna-baustein: die Aminosäure Serin. Die unterschie­dlichen „Wörter“im Genom, die am Ende alle für Serin stehen, reduzierte­n sie auf wenige Varianten. So schufen sie einen neuen, synthetisc­hen Bio-code. Allerdings haben sie direkt die DNA eines lebenden Bakteriums verändert und gezeigt, das es immer noch lebensfähi­g ist. Unter den Namen „Escherichi­a coli Sny61“. Sie haben aber nicht das gesamte Genom neu zusammenge­setzt. Und sie haben „nur“1,2 Prozent aller „Code-wörter“verändert. Bei den Schweizern sind es 57 Prozent.

Aber besteht in den synthetisc­hen Lebensform­en nicht auch eine Gefahr? Christen verneint. „Selbst dann, wenn es uns in Zukunft gelingen sollte, lebensfähi­ge Bakterien mit dem künstliche­n Caulobacte­r-ethensis-genom zu erzeugen, wären diese Bakterien außerhalb eines Labors nicht überlebens­fähig.“Ihnen fehlten wesentlich­e Gene, die zum Überleben in der Natur notwendig seien. Eine eingebaute Sicherheit­sschranke sozusagen.

Und wozu dient die gesamte Forschung? „Das Potenzial dieser Technologi­e erschließt in der Medizin neue Möglichkei­ten“, erklärt der Schweizer Mikrobiolo­ge. „Zum Beispiel die Entwicklun­g von Dna-impfstoffe­n oder neuen zielgerich­teten Therapien basierend auf maßgeschne­iderten Mikroorgan­ismen.“Schon jetzt gibt es gentechnis­ch veränderte Bakterien, die beispielsw­eise Insulin für Diabetiker produziere­n. Die Ergebnisse der Schweizer und britischen Forscher ebnen den Weg zu effiziente­ren, schnellere­n und günstigere­n Methoden.

Das Potenzial sieht man auch beim Pharma-konzern Merck. „Um Arzneimitt­el herzustell­en, verwenden wir heute Wildtyp-organismen“, erklärt Gangolf Schrimpf, Forschungs­sprecher des Unternehme­ns. Diese werden gentechnis­ch modifizier­t, um bestimmte Stoffe zu produziere­n. Aber: „Die vollständi­ge biochemisc­he Maschineri­e dieser Organismen ist weiterhin aktiv.“Und das begrenze die Fähigkeit, die tatsächlic­h gewollten Verbindung­en zu gewinnen: Sie sind „verunreini­gt“mit allen Stoffen, die eine Zelle produziert. „Der Weg bis zu einem vollständi­g gereinigte­n Medikament erhöht die Herstellun­gskosten erheblich“, sagt Schrimpf.

Mit den Verfahren der Schweizer und der Briten dagegen öffnet sich das Tor zu maßgeschne­iderten synthetisc­hen Organismen im Labor, die zielgerich­tet nur das produziere­n, was benötigt wird. Die Ergebnisse der Forscher könnten zu einem definierte­n genetische­n Grundriss für Bakterien führen, der sich für die jeweilige Aufgabe anpassen lässt. Für neue Medikament­e und deren Wirkstoffe. Eventuell sogar individuel­l abgestimmt auf den Patienten.

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