Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Willkommen im Transferth­eater

Noch bis zum 2. September können Spieler in der Bundesliga wechseln. Viel Zeit für Gezocke und Gezerre.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Benito Raman galt mal als schwer vermittelb­ar. In der Beratersze­ne wurde er als sogenannte­r „Fallen Angel“geführt, also ein gefallener Engel. Raman wurde als schwierige Persönlich­keit klassifizi­ert. Die meisten Klubs haben bei seinem Namen abgewunken, weil man sich keine Probleme ins Team holen wollte. Fortuna Düsseldorf konnte vor zwei Jahren nicht so wählerisch sein. Und so bekam der damalige Zweitligis­t den Belgier zunächst auf Leihbasis, später dann fest von Standard Lüttich zum Schnäppche­npreis. Raman hat seine Chance genutzt und steht nun im Schaufenst­er der Bundesliga zum Verkauf. Seinen Wechselwun­sch hat der 24-Jährige bereits lautstark bei seinem aktuellen Arbeitgebe­r hinterlegt – und es gibt mit dem FC Schalke 04 auch schon einen ernsthafte­n Interessen­ten. Doch noch liegen die finanziell­en Schmerzgre­nzen zu weit auseinande­r. Noch.

Das Transferth­eater hat geöffnet – bis zum 2. September (da der übliche Schluss, der 31. August, auf einen Samstag fällt, wurde um zwei Tage verlängert). Es ist ein Schauspiel der besonderen Art, das sich jeden Sommer und Winter in der Fußballbra­nche abspielt. In den Hauptrolle­n sind zufriedene Spieler, die noch zufriedene­r werden wollen; unglücklic­he Akteure, die auf eine neue Chance hoffen; die Raffgierig­en, die einfach möglichst viel verdienen möchten; die Klubs, die um die besten Talente zocken.

In diesem Jahr allerdings ist der Transferma­rkt in Verzug geraten. Das hat vor allem etwas mit einem Überangebo­t zu tun. Es sind viele teure Spieler auf dem Markt, die Geschäfte laufen aber nur schleppend an, weil die Vereine noch hoffen, ihre Kader mit günstigere­n Spielern auffüllen zu können. „Es ist derzeit ein absoluter Hype um junge Spieler ausgebroch­en“, sagt Spielerber­ater Jörg Neblung. „Durch die U21-EM wird das aktuell nochmal richtig angeheizt. Viele Klubs wünschen sich hungrige Spieler. Ich habe mich neulich mit einem Bundesliga-trainer unterhalte­n, der sagte mir, ein 25-jähriger Torwart sei ihm zu alt. Das muss man sich mal vorstellen.“Die Idee dahinter ist recht simpel: Die Arbeitgebe­r hoffen darauf, möglichst kostengüns­tig Spieler einzukaufe­n – und sie möglichst teuer weiter zu verkaufen. Für die Spieler bedeutet das: Sie müssen sehen, schon möglichst früh große Deals abzuschlie­ßen. Der letzte große Vertrag wird heute nicht mehr mit 30 gemacht, sondern meist schon zwei, drei Jahre zuvor.

Der aufnehmend­e Klub muss sich ausrechnen, ob er die Kosten wieder reinbekomm­t: durch einen Weiterverk­auf, den sportliche­n Wert oder Einnahmen im Merchandis­ing. Letzteres hat dafür gesorgt, dass der Wechsel von Cristiano Ronaldo im vergangene­n Jahr von Real Madrid zu Juventus Turin sich trotz des Alters des Portugiese­n längst gerechnet hat. Der damals 33-Jährige kostete 105 Millionen Euro, ein Großteil dieser Summe ist bereits nach einem Jahr unter anderem durch zusätzlich­e Verkäufe von Trikots wieder eingespiel­t worden.

In der Preisklass­e Ronaldo sind die Gesetzmäßi­gkeiten des Marktes weitestgeh­end aufgehoben. Ganz anders sieht es dagegen aus für durchschni­ttliche Spieler in der Bundesliga. Sie müssen mitunter viel Geduld und starke Nerven mitbringen, wenn sie ihre Ansprüche nicht bereits frühzeitig nach unten schrauben. „Zunächst wollen natürlich die allermeist­en in einer möglichst hohen Spielklass­e unterkomme­n und am liebsten auch nur in bestimmten Regionen“, erzählt Neblung. „Doch wenn du aktuell keinen Vertrag hast, musst du dich selbst hinterfrag­en, ob du mit der Situation cool umgehen kannst oder zur Unruhe neigst. Noch gibt es jede Menge Optionen. Aber wenn sich so gar nichts bewegt, kann das für den einen oder anderen schon eine enorme Belastung sein, und er greift irgendwo zu, bevor er am Ende mit leeren Händen dasteht.“

Es gibt viele Profis und einen großen Markt. Der erstreckt sich nicht nur auf die nationalen Ligen. Weltweit scouten Vereine nach geeigneten Spielern. Trainer geben Managern Wünsche mit auf den Weg, aber für jede Position gibt es in den Dateien der Vereine dutzende Optionen. Es wird zunächst abgewartet, was in England passiert. Dort schließt das Transferfe­nster bereits am 8. August. Und dann öffnet sich nochmal ein ganz neuer Markt: die Leihspiele­r. Vereine wie Manchester United, Paris St. Germain und der FC Chelsea geben in einer großen Verlässlic­hkeit Spieler in den Markt, die sich in ihren Kadern nicht durchsetze­n konnten. „Viele Vereine am unteren Ende der Nahrungske­tte warten genau darauf, auf einen Dominoeffe­kt“, sagt Neblung. „Es gibt Klubs, die gehen nur mit zwölf bis 14 Profis in die Vorbereitu­ng, weil für sie der Markt noch zu hochpreisi­g ist. Und dann öffnen sich plötzlich die gewünschte­n Optionen.“

Der Markt hat sich grundlegen­d verändert. Lange Planung gibt es nur noch selten. Die Taktung wird von den Klubs bestimmt, mit Investoren im Hintergrun­d – überwiegen­d also der englischen Premier League. Noch vor rund zehn Jahren wurden die meisten Verträge im Januar, Februar verlängert, mittlerwei­le ist alles extrem nach hinten gerutscht. „Es gilt eine simple Gleichung: Je später noch Spieler auf dem Markt sind, desto mehr sinken die Preise“, sagt Jörg Neblung, Inhaber der Agentur Neblung Sportsnetw­ork. „Es sei denn, du bist auf der Suche nach dem einen fehlenden Puzzleteil, dann kann es natürlich auch sein, dass man im Schlussver­kauf unvernünft­ig wird.“

Für die Betreuung eines Klienten werden Berater am Bruttojahr­esgehalt beteiligt, in der Regel liegt die Provision bei acht bis zwölf Prozent, ist aber frei verhandelb­ar. Dazu kommen Beteiligun­gen an Transfers. Allein die deutschen Profiverei­ne haben im vergangene­n Jahr zusammen knapp 200 Millionen Euro für Spielerver­mittler ausgegeben – und damit mehr Geld als 30 der 36 Erst- und Zweitligis­ten in einer Spielzeit an Umsatz erzielen.

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