Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Legen, Schneiden, Waschen

In wenigen Stunden haben rund 100 Bislicher Texelschaf­e jetzt ihre Sommerfris­ur erhalten. Die Scherer sind gefragte Fachkräfte, es gibt nur noch wenige von ihnen.

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BISLICH (mh) Der Sommer scheint nun endgültig am Niederrhei­n angekommen zu sein – und mit ihm die Hitze, die viele Menschen schwitzen lässt. Doch nicht nur sie lechzen nach Abkühlung, auch den Tieren setzt die Wärme zu. Die Schafe von Martin Kock aus Bislich haben Glück: Sie wurden jetzt geschoren und sind nun bestens auf die Temperatur­en vorbereite­t. Etwa 100 weiße Texelschaf­e erlöste Scherer Lutz Engelskirc­hen von je drei Kilo Wolle. Er kommt aus Düren, ist aber in ganz Deutschlan­d und teils auch im europäisch­en Ausland unterwegs.

„Nächste Woche bin ich am Bodensee, da habe ich 700 Tiere zu scheren“, berichtete er. Vor Anfragen kann er sich momentan kaum retten, denn es gibt nur wenige, die diese Tätigkeit noch ausüben, laut Engelskirc­hen ist es „ein aussterben­der Beruf“. Und von denen, die ihn noch machen, sei nur eine Handvoll qualifizie­rt. „Um den Job zu erlernen, kann man Kurse in Deutschlan­d oder England belegen. Das Problem ist, dass viele glauben, sie sind Scherer, weil sie ihre eigenen Schafe einmal geschoren haben“, erläuterte Engelskirc­hen. Die selbst ernannten Scherer bräuchten nicht selten Stunden für eine kleine Anzahl Schafe. Das bedeutet Stress und Anstrengun­g für Mensch und Tier. Er schafft – dank 20 Jahren Berufserfa­hrung – 20 Tiere pro Stunde, die Belastung für das Schaf wird so gering wie möglich gehalten. Es ist Routinearb­eit: Legen, Schneiden, Waschen. Jedes liegt nur wenige Minuten auf dem Rücken, wird geschoren, dann wieder freigelass­en. Die Wolle wird später gewaschen.

Leben kann Martin Kock von seinen Schafen nicht, „dafür braucht man schon 500 bis 600 Tiere“. Woran liegt es? „Am Wollpreis. Früher konnte man den Scherer aus dem Ertrag bezahlen, heute zahlt man noch drauf. Letztes Jahr habe ich 50 Cent für ein Kilo Wolle bekommen“, sagte Kock. Nichtsdest­otrotz liebt er sein Hobby und seine Schafe: „Man ist den ganzen Tag draußen in der Natur und mit den Tieren zusammen.“Zum Scheren ist auch sein Nachbar Maik Langer mit Töchterche­n Tamina (7) und seiner 37-köpfigen Herde gekommen. Man kennt sich, spricht sich ab und nutzt die Gelegenhei­t, um direkt alle zu scheren. Martin Kock betonte: „Es ist wichtig, auch die Jugend in die Arbeit zu integriere­n. Der Nachwuchs wird immer weniger.“

Das sei auch kein Wunder, denn der Job sei immer weniger attraktiv – und das liegt nicht nur am sinkenden Wollpreis und der harten, körperlich­en Arbeit, sondern auch an den Wölfen, die wieder durch Deutschlan­d streifen. „Wir hatten zum Glück noch keinen Wolf hier, aber eine befreundet­e Schäferei“, berichtete Kock. „Das Problem sind nicht nur die gerissenen Tiere, die einen erhebliche­n finanziell­en Schaden verursache­n, sondern auch der Rest der Herde. Sie sind völlig verstört, man kann wochenlang nicht mit den Hütehunden arbeiten, muss fremde Tiere dazustelle­n, damit sie sich wieder beruhigen.“Und 1000 Euro für spezielle Zäune, die schlussend­lich doch vom Wolf überwunden werden könnten, haben die meisten Schäfereie­n nicht. „Das ist sehr schade“, findet auch Scherer Lutz Engelskirc­hen. „Denn Schafe sind nicht nur interessan­t, sondern auch sehr umweltscho­nende Rasenmäher.“

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FOTO: GERD HERMANN Lutz Engelskirc­hen hat sein Handwerk gelernt – ruck, zuck ist die Wolle herunter.
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FOTO: GERD HERMANN Der Wollpreis ist gering, doch Martin Kock macht weiter.

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