Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Bund will arme Städte entschulden
Die Bundesregierung bricht mit einem Tabu: Sie ist bereit, mit den Ländern die Altschulden chronisch überschuldeter Kommunen zu übernehmen. NRW würde besonders profitieren.
BERLIN/DÜSSELDORF Der Bund ist erstmals bereit, chronisch überschuldeten Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen und ihnen beim Abbau ihrer Altschulden zu helfen. Das geht aus einer Beschlussvorlage für das Bundeskabinett am Mittwoch hervor. „Der Bund kann einen Beitrag leisten, wenn es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen. Ein solcher Konsens setzte voraus, dass sichergestellt wird, dass eine neue Verschuldung über Kassenkredite nicht mehr stattfindet“, so der Beschluss. Alternativ zum Altschuldenabbau könne der Bund einen größeren Anteil als bisher an den Kosten der Unterkünfte für Langzeitarbeitslose übernehmen.
Die Bundesregierung bricht mit einem jahrzehntelangen Tabu: Forderungen der Länder und Kommunen nach einer Kostenbeteiligung des Bundes beim Altschuldenabbau hatte er in den vergangenen Jahren stets mit dem Hinweis auf die verfassungsrechtliche Verantwortung der Länder abgelehnt.
Der Kabinettsbeschluss basiert auf dem Abschlussbericht der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, der heute von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) in Berlin vorgestellt wird. Auftrag der Kommission war es, Vorschläge zur Stärkung benachteiligter Regionen in Deutschland zu erarbeiten.
Gelänge der erwünschte breite Konsens, würden insbesondere NRW, Rheinland-pfalz und das Saarland profitieren. In diesen drei Ländern ballt sich die Zahl der Kommunen, die hohe Altschulden vor sich her schieben. Betroffen sind bundesweit gut 17 Prozent der Kommunen, die mehr als 50 Milliarden Euro Altschulden angehäuft haben. Da für sie hohe Zins- und Tilgungsraten anfallen, können die betroffenen Kommunen nicht in Schulen, Kitas, Straßen, Wirtschaftsförderung oder Leistungen der sozialen Daseinsvorsorge investieren. Nordrhein-westfalen und Hessen haben Entschuldungsprogramme aufgelegt, doch die reichen bislang nicht aus.
Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) begrüßte die Bereitschaft des Bundes einzuspringen. „Wir brauchen eine nachhaltige Lösung des Altschuldenproblems, die auch an den Ursachen ansetzt“, sagte Jung. „Eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose ist dafür ein richtiger Weg. Damit würde die hohe Belastung der Kommunen mit Sozialausgaben reduziert“, sagte Jung. „Andere Ideen, wie sie sich jetzt als Kabinettsbeschluss der Bundesregierung abzeichnen, nehmen wir positiv auf, sind aber intensiv zu besprechen: eine Hilfe des Bundes bei Zins- und Tilgungslasten im Rahmen eines nationalen Konsenses.“Die Grünen warnten vor zu hohen Erwartungen. Bisher gebe es nicht mehr als eine Absichtserklärung.
Seit 2008 stiegen in NRW die besonders teuren Kassenkredite der Kommunen um 57,9 Prozent. Sie machen mehr als ein Drittel der Gesamtschulden aus. Ein Bündnis von 70 Nrw-kommunen verlangte daher eine Entlastung der Kommunen von Altschulden. „Wer bestellt, bezahlt!“– Bierdeckel mit dieser Aufschrift wurden an Hunderte Politiker des Bundestags und aller Landtage versandt, wie das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“mitteilte. Leitartikel