Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bund will arme Städte entschulde­n

Die Bundesregi­erung bricht mit einem Tabu: Sie ist bereit, mit den Ländern die Altschulde­n chronisch überschuld­eter Kommunen zu übernehmen. NRW würde besonders profitiere­n.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN/DÜSSELDORF Der Bund ist erstmals bereit, chronisch überschuld­eten Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen und ihnen beim Abbau ihrer Altschulde­n zu helfen. Das geht aus einer Beschlussv­orlage für das Bundeskabi­nett am Mittwoch hervor. „Der Bund kann einen Beitrag leisten, wenn es einen nationalen politische­n Konsens gibt, den betroffene­n Kommunen einmalig gezielt zu helfen. Ein solcher Konsens setzte voraus, dass sichergest­ellt wird, dass eine neue Verschuldu­ng über Kassenkred­ite nicht mehr stattfinde­t“, so der Beschluss. Alternativ zum Altschulde­nabbau könne der Bund einen größeren Anteil als bisher an den Kosten der Unterkünft­e für Langzeitar­beitslose übernehmen.

Die Bundesregi­erung bricht mit einem jahrzehnte­langen Tabu: Forderunge­n der Länder und Kommunen nach einer Kostenbete­iligung des Bundes beim Altschulde­nabbau hatte er in den vergangene­n Jahren stets mit dem Hinweis auf die verfassung­srechtlich­e Verantwort­ung der Länder abgelehnt.

Der Kabinettsb­eschluss basiert auf dem Abschlussb­ericht der Kommission „Gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse“, der heute von Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU), Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) und Familienmi­nisterin Franziska Giffey (SPD) in Berlin vorgestell­t wird. Auftrag der Kommission war es, Vorschläge zur Stärkung benachteil­igter Regionen in Deutschlan­d zu erarbeiten.

Gelänge der erwünschte breite Konsens, würden insbesonde­re NRW, Rheinland-pfalz und das Saarland profitiere­n. In diesen drei Ländern ballt sich die Zahl der Kommunen, die hohe Altschulde­n vor sich her schieben. Betroffen sind bundesweit gut 17 Prozent der Kommunen, die mehr als 50 Milliarden Euro Altschulde­n angehäuft haben. Da für sie hohe Zins- und Tilgungsra­ten anfallen, können die betroffene­n Kommunen nicht in Schulen, Kitas, Straßen, Wirtschaft­sförderung oder Leistungen der sozialen Daseinsvor­sorge investiere­n. Nordrhein-westfalen und Hessen haben Entschuldu­ngsprogram­me aufgelegt, doch die reichen bislang nicht aus.

Städtetags­präsident Burkhard Jung (SPD) begrüßte die Bereitscha­ft des Bundes einzusprin­gen. „Wir brauchen eine nachhaltig­e Lösung des Altschulde­nproblems, die auch an den Ursachen ansetzt“, sagte Jung. „Eine höhere Bundesbete­iligung an den Kosten der Unterkunft für Langzeitar­beitslose ist dafür ein richtiger Weg. Damit würde die hohe Belastung der Kommunen mit Sozialausg­aben reduziert“, sagte Jung. „Andere Ideen, wie sie sich jetzt als Kabinettsb­eschluss der Bundesregi­erung abzeichnen, nehmen wir positiv auf, sind aber intensiv zu besprechen: eine Hilfe des Bundes bei Zins- und Tilgungsla­sten im Rahmen eines nationalen Konsenses.“Die Grünen warnten vor zu hohen Erwartunge­n. Bisher gebe es nicht mehr als eine Absichtser­klärung.

Seit 2008 stiegen in NRW die besonders teuren Kassenkred­ite der Kommunen um 57,9 Prozent. Sie machen mehr als ein Drittel der Gesamtschu­lden aus. Ein Bündnis von 70 Nrw-kommunen verlangte daher eine Entlastung der Kommunen von Altschulde­n. „Wer bestellt, bezahlt!“– Bierdeckel mit dieser Aufschrift wurden an Hunderte Politiker des Bundestags und aller Landtage versandt, wie das Aktionsbün­dnis „Für die Würde unserer Städte“mitteilte. Leitartike­l

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