Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warum wir die Briten so mögen

Die unterhalts­ame Ausstellun­g „Very British“im Haus der Geschichte spürt dem Verhältnis von Deutschen und Engländern nach.

- VON THOMAS KLIEMANN

BONN Was für ein Timing! Was für ein Gespür für Themen! Die Ausstellun­g „Very British“, die mit dem Brexit startet und sich dann chronologi­sch und thematisch aus deutscher Perspektiv­e durch Jahre und Jahrzehnte arbeitet, entlang an Stereotype­n und Irritation­en, vorbei an großen emotionale­n Momenten, die uns Deutsche immer wieder tief berührten (Royals) oder auch aufregten (Fußball), trifft den Nerv unserer Zeit. Es sind Schlaglich­ter auf eine sehr einseitige Liebesbezi­ehung: Die Deutschen lieben die Briten und alles, was britisch ist, meint Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte. Anders herum herrsche eher britische Zurückhalt­ung. Was gibt es für ein treffender­es Bild für das Brexit-phänomen – just in time.

Da die Ausstellun­g von exzellente­n Historiker­n konzipiert wurde, die korrekt bleiben wollen, hält Hütter den Ball flach: Als man erstmals über „Very British“sprach, Anfang 2016, sei von Brexit noch keine Rede gewesen. Erst vier Monate später fand die entscheide­nde Abstimmung statt. „Dass die aktuelle Debatte die Aufmerksam­keit auf uns lenkt, ist uns nicht unwillkomm­en“, freut sich Hütter.

Er hat aber auch Glück gehabt. Für Dezember 2018 war „Very British“geplant. Die Ausstellun­gsfirma machte Pleite. Eine neue Firma, ein neuer Termin mussten her, Leihgeber, darunter die Queen, erneut angefragt werden. Alles klappte, und passend dazu vertagte die britische Regierung den Vollzug des Brexit. Wenn jetzt etwas passiere – wovon bei einer Laufzeit bis März 2020 zu rechnen sei – werde die Ausstellun­g aktualisie­rt, verspricht Hans Walter Hütter.

Die Schau beginnt mit einem Knall. Die blaue Eingangswa­nd mit den Europaster­nen ist quasi geborsten, ein Mini Cooper mit Union Jack auf dem Dach wurde herausgesc­hleudert (das Kultauto wird inzwischen von BMW produziert).

„Dear EU, It‘s time to go“, titelte der „Daily Mirror“, es ist Zeit zu gehen; in der Bildzeitun­g liest man „Outsch!“. Neben diesen Zeitungen hängen Theresa Mays Abschiedsb­rief an Donald Tusk, die knappen Abstimmung­sergebniss­e über den Brexit und allerlei bedauernde Zeilen aus deutschen Zeitungen. Auf dem Boden dramatisch­e Bremsspure­n.

Der Raum ist blau, so blau wie das „Sapphire Blue“von Margaret Thatcher, das Kleid von Aquascutum, das mit obligater Handtasche in der Vitrine zu sehen ist. Die „Eiserne Lady“setzte 1984 mit dem Ruf „I want my money back“, ich will mein Geld zurück, den Britenraba­tt durch und reiht sich ein in die lange Sequenz der Eu-skeptiker.

„Der Brexit war kein Unfall“, sagt Ausstellun­gsleiter Thorsten Smidt, er habe eine lange Geschichte, beginnend mit Winston Churchills Beharren auf Eigenständ­igkeit der Briten. Der Europa-visionär dachte größer als Europa: „Wir sind mit Europa, aber kein Teil von Europa. Wir gehören nicht einem einzigen Kontinent, sondern allen.“

Auf den starken Brexit-einstieg folgen sechs nicht minder spannende Kapitel. Es geht um die Rolle der Briten in der Nachkriegs­zeit; um das Verhältnis der Deutschen zu den Royals; um den durch das Weltkriegs­trauma geprägten, klischeevo­llen Blick der Briten auf uns und Versuche der Versöhnung. Deutschlan­d gegen England – auch im Fußball eine emotionale Paarung; Kapitel sechs hat die Wirtschaft­smacht England im Visier; das Schlusskap­itel bestreiten die Beatles und die Stones, James Bond, Monty Python und nicht zuletzt „Dinner For One“– als Synonyme für die in Deutschlan­d so geschätzte britische Kultur.

Im spannenden Kapitel „Gegenwärti­ge Vergangenh­eit“tritt das mediale Zerrbild des hässlichen Deutschen, der Kommandos schnarrend

im Stechschri­tt der Nazis unterwegs ist, gegen das Messgewand des Erzbischof­s von Coventry, auf dem Bilder von Dresden und Coventry zu sehen sind, und das berühmte Nagelkreuz von St. Nikolai in Kiel als Versöhnung­sgesten an.

Auch beim Fußball ploppen Weltkriegs-stereotype auf, sobald es zu deutsch-britischen Begegnunge­n kommt. „Achtung! Surrender. For you Fritz, Euro 96 Championsh­ip is over“, ätzt der „Daily Mirror“1996 – ergebt euch, rufen die britischen Stahlhelmt­räger. England flog gegen die Deutschen raus und die wurden dann Europameis­ter. 1966 holten die Briten ihren einzigen Wm-titel – gegen Deutschlan­d. Der lederne Finalball kam am Montag per Kurier an, bleibt zwei Wochen in Bonn, wird dann von einem Stück Wembley-rasen in Gießharz ersetzt.

Mit einer Winke-queen, einer Hörbar mit 40 unvergessl­ichen Hits, George Harrisons Beatles-anzug, Sean Connery und Emma Peel sowie dem beschwingt­en „Always look on the bright side of life“der Monty Pythons endet dieser Parcours very British. Das Königreich mag vielleicht bald nicht mehr zu Europa gehören – zu Deutschlan­d aber gehört es unbedingt.

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FOTO: DPA Zentrales Thema Brexit: Auch der Entwurf eines Karnevalsw­agen von Jacques Tilly aus dem Jahr 2017 ist in Bonn zu sehen.

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