Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Von Industrie zu Instagram
Großstadtoase, Industriedenkmal, Fotomotiv: Das stillgelegte Hüttenwerk in Duisburg hat neues Leben eingehaucht bekommen. Der Landschaftspark ist ein beliebtes Ausflugsziel und vielseitiger als je zuvor.
DUISBURG Als Alois Häusler die Aussichtsplattform betritt, beginnen seine Augen zu leuchten. „Wo heute Ikea ist, stand früher die Kokerei“, sagt er. Der 81-Jährige steht auf dem Hochofen 5 des stillgelegten Hüttenwerks, heute Teil des Duisburger Landschaftsparks-nord. In 70 Meter Höhe hört man nur den Wind pfeifen und das Rauschen der Autos, die unten auf den Autobahnen 42 und 59 fahren. Häusler lässt den Blick schweifen: das ehemalige Steinkohlen-bergwerk Prosper-haniel in Bottrop, die Rwe-zentrale in Essen, die Brücke der Solidarität – von hier oben hat man die Region im Blick.
Häusler liebt diese Aussicht. Zielsicher läuft er durch die engen Gänge und geht mit schnellen Schritten die steilen Treppen hoch und runter. Der 81-Jährige kennt den Hochofen wie seine Westentasche. 35 Jahre hat er bei Thyssenkrupp in Duisburg gearbeitet: von 1960 bis 1968 im Stahlwerk und anschließend bis 1995 als Sicherheitsfachkraft im Bereich Arbeitsschutz.
In den Hochöfen wurden bei fast 2000 Grad Celsius Erze zu Roheisen geschmolzen, das für die Stahlindustrie verwendet wurde. Am 4. April 1985 gingen die Arbeiter zu ihrer letzten Schicht. „Aus meiner Sicht war das Schrumpfen des Bergbaus und der Stahlindustrie vorherzusehen“, sagt Häusler. „Wenn ich in der Zeitung von der hohen Arbeitslosigkeit in Duisburg lese, macht mich das nachdenklich.“Früher arbeiteten 1500 Menschen im Hochofenwerk. Heute sind es nur noch rund 300. Einer von ihnen ist Alois Häusler, der seit etwa 20 Jahren Besucher über das weitläufige Gelände führt.
Der Landschaftspark ist über die Jahre zum beliebten Ausflugsziel geworden: Auf dem 180 Hektar großen Areal finden jedes Jahr rund 250 Veranstaltungen statt, darunter unter anderem ein Open-air-kino, ein Lichtermarkt und ein Streetfood-festival. Das stillgelegte Hüttenwerk ist außerdem ein beliebtes Fotomotiv – auch im Dunkeln. Seit 1996 wird die Industrie-silhouette jeden Abend von einer Lichtinstallation des britischen Künstlers Jonathan Park bunt angeleuchtet.
Viele junge Leute machen vor der eindrucksvollen Kulisse Fotos. Überall finden sich Graffiti und Sticker – jeder will sich verewigen. Nach eigenen Angaben hat der Park eine Million Besucher pro Jahr. In diesem Jahr feiert der Landschaftspark Duisburg-nord sein 25-jähriges Bestehen.
Eine Schulklasse läuft durch die frühere Werkshalle, die Kinder kichern und spielen Fangen. „Hier standen früher die Arbeiter“, sagt Häusler. Er holt ein altes Foto aus einer Mappe. Darauf sind Männer auf der Gießbühne zu sehen, Flammen schießen in die Höhe, die Halle ist offen. „Das wäre heute aus Lärm- und Umweltgründen undenkbar“, sagt er. In einer Halterung stehen noch heute Werkzeuge. Industriekultur hautnah.
Nach dem Aus des Hüttenwerks kaufte das Land NRW die Fläche. Für die Gestaltung des Parks wurde 1989 ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Auch ein Abriss des Thyssen-werks stand zur Debatte. Da dies allerdings höhere Kosten verursacht hätte als der Erhalt, steht die Anlage noch heute.
Kopfschüttelnd stellt Häusler auf dem Weg auf Bühne 2 eine leere Bierflasche beiseite. Vereinzelte Kronkorken auf dem Boden zeugen davon, dass das Gelände nicht nur für historische Führungen genutzt wird. Er zeigt auf ein kleines, unauffälliges Metallteil: „Daran konnte man erkennen, wie stark sich der Hochofen durch die Hitze ausgedehnt hat.“Immer noch kennt der 81-Jährige jedes Detail der Anlage.
Er weiß zu schätzen, dass der Hochofen erhalten worden ist. So könnten Schüler und Studenten nachvollziehen, unter welchen Bedingungen früher gearbeitet worden ist. „Das Gelände muss auch in Zukunft erhalten bleiben. Das ist Geschichte zum Anfassen, an manchen Stellen riecht man noch das Öl“, sagt Häusler.
In der Ferne ist die Silhouette des riesigen Geländes der Thyssenkrupp Steel Europe AG zu sehen. In den Duisburger Stadtteilen Bruckhausen und Beeckerwerth wird in großen Mengen Stahl hergestellt. „Im Vergleich dazu war das hier eine kleine Klitsche“, sagt Häusler.
Durch den Abriss von Teilen des Werks ist das Gelände grüner geworden: Heute stehen Sträucher und Bäume rund um das massive Konstrukt. Zwischen rostigen Trägern sprießen Knospen. Häusler gefällt das: „Von wegen verschmutztes, graues Ruhrgebiet. Die Natur holt sich die Landschaft zurück.“
Vor allem für Sportler ist das stillgelegte Hüttenwerk zum Paradies geworden: Es gibt eine offene Halle für Skater und Mountainbiker, einen Fußballplatz und Wanderwege. Auf dem Gelände steht mit dem Tauchgasometer das größte Indoor-tauchgewässer in Europa. Dort kann bei einem Durchmesser von 45 Metern 13 Meter tief getaucht werden. Unter Wasser gibt es ein künstliches Riff, das Wrack einer Yacht und einen Flugzeug-rumpf.
Wo früher Koks und Eisenerze zwischengelagert wurden, steht heute mit dem Klettergarten „Emscherpark“die größte künstliche Outdoor-kletteranlage in Deutschland. „Wir haben uns gedacht: Aus dem Bunker können wir etwas machen“, sagt Horst Neuendorf, Zweiter Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins (DAV) Sektion Duisburg. Auf der Anlage kann das ganze Jahr über von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geklettert werden. Auch der 70-Jährige geht dort regelmäßig „die Wände hoch“. „An einem guten Sommertag kommen fast 500 Besucher“, sagt er.
Zu ihnen gehören auch Caroline Thelen und Gudrun Lücking. „Die Anlage ist einzigartig“, sagt Lücking. „Sie ist weitläufig, bietet viele Routen und ist vor allem unter freiem Himmel. Man verbringt im Jahr schon genug Zeit in der Kletterhalle.“Die Frauen kommen häufig nach Duisburg. „Die Anlage ist sehr gut gepflegt“, sagt Thelen. „Man kennt sich und findet hier immer einen Partner zum Klettern.“
Den Klettergarten gibt es seit 1990, der DAV hat ihn seither stetig erweitert. Mit 7500 Mitgliedern ist der DAV Duisburg der zweitgrößte Sportverein der Stadt – nach dem MSV Duisburg. „Unsere Besucher kommen von überall her“, sagt Neuendorf. Auf dem Gelände gibt es außerdem einen 530 Meter langen Klettersteig – nach eigenen Angaben der längste außerhalb der Alpen.
Rund 650 Routen mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad hat der Klettergarten, ständig kommen neue dazu. „Ich habe mal eine Tour ‚Hochwasserfrust‘ genannt, weil mein Garten nach dem Ruhr-hochwasser überschwemmt war“, erzählt Neuendorf. „An dem Tag war ich zwei Stunden klettern gegen den Frust, und habe dabei die Tour eingemeißelt.“