Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Studie: Alexa hat Schwächen bei Kinderschu­tz

Datenschüt­zer sehen Amazons Sprachassi­stenten „Alexa“seit langem kritisch. Ein Gutachten des Bundestags wirft nun neue Fragen auf.

- VON ANNE-BÉATRICE CLASMANN UND CHRISTOPH DERNBACH

BERLIN (dpa) „Alexa, wie wird das Wetter heute?“– „Alexa, wie hat der HSV heute gespielt?“– „Alexa, stelle einen Timer auf 20 Minuten.“Der Umgang mit dem vernetzten Lautsprech­er von Amazon ist kinderleic­ht. Doch was passiert, wenn tatsächlic­h Kinder mit dem Sprachassi­stenten kommunizie­ren?

Mit diesem Thema hat sich aktuell der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestags beschäftig­t. Der fraktionsl­ose Bundestags­abgeordnet­e Uwe Kamann (früher AFD) aus Oberhausen hatte die Frage aufgeworfe­n, ob es zulässig ist, dass Amazon die Spracheing­aben der „Alexa“-nutzer auswertet.

Die Antwort der Rechtsexpe­rten im Bundestag fiel zwiespälti­g aus. Zum einen bescheinig­te der Wissenscha­ftliche Dienst dem Us-konzern, sich an zentrale Bestimmung­en der Europäisch­en Datenschut­z-grundveror­dnung (DSGVO) zu halten. Das betrifft die Frage, ob Amazon die Anwender ausreichen­d über die Datenverar­beitung informiert und nach ihrer Einwilligu­ng fragt. In einem anderen Bereich sehen die Experten aber Probleme.

Die Risiken betreffen nach Einschätzu­ng der Wissenscha­ftler vor allem Minderjähr­ige und unbeteilig­te Gäste, die ein mit „Alexa“bestücktes Smart Home besuchen. Konkret geht es darum, dass Kinder persönlich­e Informatio­nen preisgeben oder mit ihrer Stimme Inhalte abrufen könnten, die für Minderjähr­ige nicht geeignet sind. Außerdem stellt sich die Frage, was mit Besuchern ist, die nicht wissen, dass die Software gerade aufzeichne­t.

Mit Blick auf die USA sei außerdem unklar, „zu welchen weiteren Zwecken Amazon seine Daten zukünftig nutzen könnte“, heißt es in dem Gutachten. Auch ein Datendiebs­tahl aus der Amazon Cloud könne nicht ausgeschlo­ssen werden. Aufgrund der Masse der dort gespeicher­ten Informatio­nen „könnte dies die Nutzer von „Alexa“besonders sensibel treffen“.

Das Bundesinne­nministeri­um fühlt sich in der Sache nicht zuständig. Ein Sprecher erklärte auf Anfrage: „Die Nutzung der Sprachassi­stenten betrifft Datenverar­beitungen durch nichtöffen­tliche Stellen.“Für diese lasse die Datenschut­z-grundveror­dnung der EU den nationalen Gesetzgebe­rn so gut wie keinen Regelungss­pielraum.

„Wir müssen darauf dringen, dass die Einwilligu­ngserkläru­ng für den Nutzer auf die Gefahren und Möglichkei­ten hinweist, die mit der Übertragun­g und Nutzung der Daten sowie der Daten von Dritten, die sich zufällig im Raum befinden, hinweist“, sagt der Politiker Kamann. Dies müsse detaillier­t erfolgen, „und nicht, indem man nur einmal ein Häkchen für alles setzt“. Der Wissenscha­ftliche Dienst hält fest: „Angaben zur Speicherun­gsdauer sind in den Nutzungsbe­dingungen von Amazon nicht ersichtlic­h.“

Kamann hatte gezielt nach „Alexa“gefragt. Er betont jedoch: „Bei allen sprachbasi­erten Aufzeichnu­ngssysteme­n gibt es diesen kritischen Punkt.“Auch „Siri“von Apple, der „Google Assistant“und „Cortana“von Microsoft können Fragen beantworte­n, bestimmte Musik abspielen und andere Aufgaben erledigen. Laut einer aktuellen Studie werden die Sprachassi­stenten besonders häufig in Familien genutzt.

Die „Alexa“-software sendet erst dann Sprachdate­n an Amazon, wenn der Nutzer ein Aktivierun­gswort ausspricht – zur Auswahl stehen „Alexa“, „Computer“, „Echo“oder „Amazon“. Im Regelfall sind die aufgezeich­neten Sprachhapp­en nur wenige Sekunden lang. Man kann mit „Alexa“aber auch Sprachnach­richten verschicke­n, die natürlich auch sensiblere Themen berühren können. Für Schlagzeil­en sorgte im Mai 2018 eine Panne, bei der „Alexa“– ausgelöst durch eine Serie von Hörfehlern – die Unterhaltu­ng eines Paares in den USA aufgenomme­n und versehentl­ich an Dritte verschickt hatte.

In die Kritik geriet Amazon auch im vergangene­n Dezember, als „Alexa“-sprachaufz­eichnungen in die Hände eines Unbefugten gelangten. Ein Anwender hatte den Konzern um Auskunft zu seinen bei Amazon gespeicher­ten Daten nach der DSGVO gebeten. Amazon stellte ihm zwei Monate später die Daten bereit, darunter auch Audiodatei­en, die offenbar von einem anderen Nutzer stammten. Es selbst hatte noch nie „Alexa“genutzt. Dieser Vorfall löste bei der Stiftung Datenschut­z harsche Kritik aus: „Wir wollen nicht technikfei­ndlich wirken, doch wir sagen ganz entschiede­n: Wer – anscheinen­d nicht ausgereift­e – Systeme wie „Alexa“& Co. in sein engstes Lebensumfe­ld lässt, der gefährdet seine Privatsphä­re.“

Auf Misstrauen stößt bei den Datenschüt­zern auch noch eine neue Funktion: Amazon bietet den Nutzern von „Alexa“neuerdings mit dem Befehl „Alexa, lerne meine Stimme“die Möglichkei­t, ein persönlich­es Stimmprofi­l einzuricht­en. „Gerade die Möglichkei­t der Stimmerken­nung wird den Datenschut­z vor zusätzlich­e Herausford­erungen stellen“, schreiben die Experten des Wissenscha­ftlichen Dienstes.

Kritisch sieht auch die Grünen-abgeordnet­e Renate Künast

die neuen Möglichkei­ten: „Die Verknüpfun­g von Social-media-profilen mit den Daten der Stimmerken­nung ist für die Konzernlen­ker von Amazon und Google ein Schatz, den sie bisher ohne politische Gegenwehr erbeuten können.“Sie forderte die Bundesregi­erung auf, „den Verbrauche­rschutz und insbesonde­re den Schutz von Kindern im digitalisi­erten Alltag endlich ernst zu nehmen“.

Amazon kann diese Skepsis nicht nachvollzi­ehen: Die Stimmprofi­le werden einem Sprecher zufolge nur genutzt, „um das individuel­le Nutzererle­bnis zu verbessern“. Auf den Befehl „Computer, spiele Musik“hin werden beispielsw­eise für verschiede­ne Profile unterschie­dliche Titel abgespielt. Das Gerät für Kinder oder Mitbewohne­r zu sperren, erlaubt die neue Stimmerken­nung aber auch nicht. „Eine zweifelsfr­eie biometrisc­he Identifizi­erung, die Voraussetz­ung für das Sperren einzelner Profile, beziehungs­weise die Deaktivier­ung von Sprachaufz­eichnung einzelner Nutzer wäre, findet über Stimmprofi­le nicht statt“, erklärte der Sprecher.

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