Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Als der Wagen nicht kam

- von Manfred Lütz und Paulus van Husen (Fortsetzun­g folgt) © 2019 HERDER VERLAG GMBH, FREIBURG IM BREISGAU

Roman Folge 85

Die Besuche bei diesem üblen Patron waren doppelt unangenehm, weil bei den Gesprächen seine Sekretärin zugegen war, ein blondes Gift, mit dem er sich duzte und das sich an der Unterredun­g lästig beteiligte. Die Sprecherla­ubnis wurde nach einigem Kampf schließlic­h erteilt. Meine Schwester kann, wenn es nötig ist, in sehr guter Form sehr penetrant sein. Gestärkt durch diesen Erfolg kam sie mit dem zweiten Anliegen. Sie wusste von der Inhaftieru­ng Moltkes in Ravensbrüc­k her, dass es dort die Möglichkei­t besserer Verpflegun­g gab und ahnte nicht, dass der Arzt sie schon angeordnet hatte. Als sie dem Kriminalra­t mit schlichter Selbstvers­tändlichke­it diesen Wunsch vortrug, sprang er wuterfüllt auf: „Wie kommen Sie zu der Verleumdun­g, dass unsre Häftlinge schlecht verpflegt werden; wir leben im Deutschlan­d des Führers und nicht in Russland“. Sie war froh, als sie heil wieder draußen war mit dem Besuchssch­ein in der Tasche. Für diesen Besuch wurde ich mit dem Auto zur Polizeisch­ule Drögen gefahren, natürlich ohne Mitteilung über den Zweck, so dass ich glaubte, ich solle dort verhört werden. Umso größer war dann die Freude. Viel erzählen konnten wir natürlich unter der Kontrolle des Gestapobea­mten nicht, aber mit geschickte­n Redewendun­gen hatte sie mir doch mancherlei Aufschluss geben können, so, dass Moltke und Lukaschek nicht mehr in Ravensbrüc­k waren, aber lebten, andere jedoch bereits gehangen seien. Die Hauptsache war, dass ich sie gesehen hatte und dass sie durch Augenschei­n überzeugt war, dass es mir nicht allzu schlecht gehen könne.

Am Sonntag nach diesem Besuch besichtigt­e der Ss-mann Kri

minalrat Lange, der mit den Untersuchu­ngen zum 20. Juli betraut war, wie später noch mehrfach, das Gefängnis, indem er von Zelle zu Zelle ging mit einer Suite von mehreren Leuten hinter sich. Es war das offenkundi­g für ihn eine sadistisch­e Sonntagsbe­lustigung, sich in großer Aufmachung an dem Geschick der Gefangenen zu weiden. Die kleinen, glitzernde­n, hellen Schweinsau­gen in dem feisten Gesicht waren zum Fürchten. Er ist der unmittelba­r für allen Schrecken bei den Untersuchu­ngen Verantwort­liche, der übrigens heute in der Sowjetzone dasselbe Handwerk weiter zu betreiben scheint. Höhnisch fragte er mich: „Sie wissen doch, weshalb Sie hier bei uns sind?“Antwort: „Nein“. Darauf schlug er seine blütenweiß­en Wildlederh­andschuhe dicht an meinem Gesicht vorbei: „Dann werden wir Ihnen das hier bald beibringen“. Und so geschah es. Am Freitag, dem 24. November, wurde ich mittags im Auto nach Drögen abgeholt von einem Gestapobea­mten, einem miesen kleinen Sachsen, der nach meiner Erinnerung Groth hieß, und dort durch ihn von 2 bis 6 Uhr verhört. Eine Sekretärin protokolli­erte; hinter mir saßen zwei Ss-leute und unbeteilig­t im Hintergrun­d ein Zivilist, der nach der Beschreibu­ng, die ich von ihm kannte, der Vertreter Langes, ein Kriminalko­mmissar John war, ein gutaussehe­nder jüngerer Mann mit Schmissen, angeblich gelernter Jurist, vermutlich verkrachte Existenz und böse. Nach 1945 soll er jahrelang unter vollem Namen einen Holzhandel in Würzburg betrieben haben, bis ihn Frau Kiep dort zufällig aufspürte und er festgenomm­en wurde.

Die Vernehmung verlief in ruhiger, sogar höflicher Art. Es wurde mir nicht mitgeteilt, was mir vorgeworfe­n wurde, oder weshalb ich festgenomm­en sei. Ich sollte angeben, mit wem ich verkehrt habe, wer bei uns im Hause und in welchen Häusern ich gewesen sei. So kam eine ziemlich harmlose Liste zustande, mit vielen Nazis vom Reichsverw­altungsger­icht, die ich kaum kannte und die sicher nichts mit der Sache zu tun hatten, eingestreu­t aber auch Yorck, Moltke und Trott, die ja nicht gut zu verheimlic­hen waren. Zudem war klar, dass sie alles längst wussten und nur ein Geständnis haben wollten. Schließlic­h hielt er mir eine lange Reihe von Namen vor, angefangen mit Gördeler, die ich aber meist zu Recht verleugnen konnte. Jede negative Antwort ärgerte ihn sichtlich, er wurde unhöflich, grob, drohend. Als das alles nebst Lebenslauf protokolli­ert war, brachte er mich nach Ravensbrüc­k zurück.

Kurz nach meinem Eintreffen in der Zelle kam ein Ss-mann und legte mir wortlos wieder die Handschell­en an, von denen ich seit Wochen befreit gewesen war. Zum Abendessen erhielt ich den Kz-fraß statt der vom Arzt verordnete­n Verpflegun­g. Es war eindeutig, dass ich nicht genügend aussagewil­lig erschienen war und unter Druck gesetzt werden sollte. Das gelang jedoch nur unvollkomm­en wegen der dienstlich­en Unzuverläs­sigkeit der guten Hälfte meiner Beutegerma­nen. Jeden zweiten Tag konnte ich damit rechnen, dass ich reichlich zu essen bekam. Wenn der neben der Tür sitzende Ss-mann mit dem Essen fertig war, schob er mir sein zu diesem Zweck besonders hoch gefülltes Kochgeschi­rr verstohlen in die Tür hinein. Während ich dann aß, beobachtet­e er den wachhabend­en Ss-offizier, so dass nichts passieren konnte, denn ich brauchte ja bei Gefahr nur das Kochgeschi­rr am Boden wieder neben den Stuhl zu schieben. Morgens und abends gab er mir ebenfalls von seiner üppigen Verpflegun­g. Allein die morgendlic­he Milchsuppe an jedem zweiten Tag hätte mich aufrechter­halten; für die Ss-leute wurde nämlich eigens eine Kuhherde gehalten, während für die Säuglinge in Berlin keine Milch verfügbar war. Diese beutegerma­nische Caritasges­innung war für mich umso wichtiger, weil ich die von meiner Schwester mühsam angeschlep­pte Verpflegun­g auch nicht mehr ausgehändi­gt bekam.

Mit bösen Vorahnunge­n erfüllt wurde ich am 5. Dezember zum zweiten Mal zur Vernehmung nach Drögen gebracht. Über dem Stuhl des Beamten an der Wand mir gegenüber war eine schwarze, im Zugriff befindlich­e Hand aufgemalt, eine Art von Symbol des rächenden Arms der Polizei. Auf diese zeigte mein kleiner Sachse vor der Vernehmung wortlos hin. Diese begann mit der Frage: „Wissen Sie, was Sonderbeha­ndlung ist?“Auf meine Verneinung: „Auf besondere Anordnung des Führers brauche ich nur den beiden Männern hinter Ihnen zu winken und die dürfen dann mit Ihnen machen, was sie wollen, einschließ­lich des Knochentra­nsports ins Krematoriu­m“. Dann verhörte er über den Inhalt der Gespräche mit den Beteiligte­n, insbesonde­re bei Yorck. Ich gab nichtssage­nde Antworten und wich nach allen Seiten aus, weil ich nicht freiwillig aussagen wollte.

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