Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Als der Wagen nicht kam
Roman Folge 85
Die Besuche bei diesem üblen Patron waren doppelt unangenehm, weil bei den Gesprächen seine Sekretärin zugegen war, ein blondes Gift, mit dem er sich duzte und das sich an der Unterredung lästig beteiligte. Die Sprecherlaubnis wurde nach einigem Kampf schließlich erteilt. Meine Schwester kann, wenn es nötig ist, in sehr guter Form sehr penetrant sein. Gestärkt durch diesen Erfolg kam sie mit dem zweiten Anliegen. Sie wusste von der Inhaftierung Moltkes in Ravensbrück her, dass es dort die Möglichkeit besserer Verpflegung gab und ahnte nicht, dass der Arzt sie schon angeordnet hatte. Als sie dem Kriminalrat mit schlichter Selbstverständlichkeit diesen Wunsch vortrug, sprang er wuterfüllt auf: „Wie kommen Sie zu der Verleumdung, dass unsre Häftlinge schlecht verpflegt werden; wir leben im Deutschland des Führers und nicht in Russland“. Sie war froh, als sie heil wieder draußen war mit dem Besuchsschein in der Tasche. Für diesen Besuch wurde ich mit dem Auto zur Polizeischule Drögen gefahren, natürlich ohne Mitteilung über den Zweck, so dass ich glaubte, ich solle dort verhört werden. Umso größer war dann die Freude. Viel erzählen konnten wir natürlich unter der Kontrolle des Gestapobeamten nicht, aber mit geschickten Redewendungen hatte sie mir doch mancherlei Aufschluss geben können, so, dass Moltke und Lukaschek nicht mehr in Ravensbrück waren, aber lebten, andere jedoch bereits gehangen seien. Die Hauptsache war, dass ich sie gesehen hatte und dass sie durch Augenschein überzeugt war, dass es mir nicht allzu schlecht gehen könne.
Am Sonntag nach diesem Besuch besichtigte der Ss-mann Kri
minalrat Lange, der mit den Untersuchungen zum 20. Juli betraut war, wie später noch mehrfach, das Gefängnis, indem er von Zelle zu Zelle ging mit einer Suite von mehreren Leuten hinter sich. Es war das offenkundig für ihn eine sadistische Sonntagsbelustigung, sich in großer Aufmachung an dem Geschick der Gefangenen zu weiden. Die kleinen, glitzernden, hellen Schweinsaugen in dem feisten Gesicht waren zum Fürchten. Er ist der unmittelbar für allen Schrecken bei den Untersuchungen Verantwortliche, der übrigens heute in der Sowjetzone dasselbe Handwerk weiter zu betreiben scheint. Höhnisch fragte er mich: „Sie wissen doch, weshalb Sie hier bei uns sind?“Antwort: „Nein“. Darauf schlug er seine blütenweißen Wildlederhandschuhe dicht an meinem Gesicht vorbei: „Dann werden wir Ihnen das hier bald beibringen“. Und so geschah es. Am Freitag, dem 24. November, wurde ich mittags im Auto nach Drögen abgeholt von einem Gestapobeamten, einem miesen kleinen Sachsen, der nach meiner Erinnerung Groth hieß, und dort durch ihn von 2 bis 6 Uhr verhört. Eine Sekretärin protokollierte; hinter mir saßen zwei Ss-leute und unbeteiligt im Hintergrund ein Zivilist, der nach der Beschreibung, die ich von ihm kannte, der Vertreter Langes, ein Kriminalkommissar John war, ein gutaussehender jüngerer Mann mit Schmissen, angeblich gelernter Jurist, vermutlich verkrachte Existenz und böse. Nach 1945 soll er jahrelang unter vollem Namen einen Holzhandel in Würzburg betrieben haben, bis ihn Frau Kiep dort zufällig aufspürte und er festgenommen wurde.
Die Vernehmung verlief in ruhiger, sogar höflicher Art. Es wurde mir nicht mitgeteilt, was mir vorgeworfen wurde, oder weshalb ich festgenommen sei. Ich sollte angeben, mit wem ich verkehrt habe, wer bei uns im Hause und in welchen Häusern ich gewesen sei. So kam eine ziemlich harmlose Liste zustande, mit vielen Nazis vom Reichsverwaltungsgericht, die ich kaum kannte und die sicher nichts mit der Sache zu tun hatten, eingestreut aber auch Yorck, Moltke und Trott, die ja nicht gut zu verheimlichen waren. Zudem war klar, dass sie alles längst wussten und nur ein Geständnis haben wollten. Schließlich hielt er mir eine lange Reihe von Namen vor, angefangen mit Gördeler, die ich aber meist zu Recht verleugnen konnte. Jede negative Antwort ärgerte ihn sichtlich, er wurde unhöflich, grob, drohend. Als das alles nebst Lebenslauf protokolliert war, brachte er mich nach Ravensbrück zurück.
Kurz nach meinem Eintreffen in der Zelle kam ein Ss-mann und legte mir wortlos wieder die Handschellen an, von denen ich seit Wochen befreit gewesen war. Zum Abendessen erhielt ich den Kz-fraß statt der vom Arzt verordneten Verpflegung. Es war eindeutig, dass ich nicht genügend aussagewillig erschienen war und unter Druck gesetzt werden sollte. Das gelang jedoch nur unvollkommen wegen der dienstlichen Unzuverlässigkeit der guten Hälfte meiner Beutegermanen. Jeden zweiten Tag konnte ich damit rechnen, dass ich reichlich zu essen bekam. Wenn der neben der Tür sitzende Ss-mann mit dem Essen fertig war, schob er mir sein zu diesem Zweck besonders hoch gefülltes Kochgeschirr verstohlen in die Tür hinein. Während ich dann aß, beobachtete er den wachhabenden Ss-offizier, so dass nichts passieren konnte, denn ich brauchte ja bei Gefahr nur das Kochgeschirr am Boden wieder neben den Stuhl zu schieben. Morgens und abends gab er mir ebenfalls von seiner üppigen Verpflegung. Allein die morgendliche Milchsuppe an jedem zweiten Tag hätte mich aufrechterhalten; für die Ss-leute wurde nämlich eigens eine Kuhherde gehalten, während für die Säuglinge in Berlin keine Milch verfügbar war. Diese beutegermanische Caritasgesinnung war für mich umso wichtiger, weil ich die von meiner Schwester mühsam angeschleppte Verpflegung auch nicht mehr ausgehändigt bekam.
Mit bösen Vorahnungen erfüllt wurde ich am 5. Dezember zum zweiten Mal zur Vernehmung nach Drögen gebracht. Über dem Stuhl des Beamten an der Wand mir gegenüber war eine schwarze, im Zugriff befindliche Hand aufgemalt, eine Art von Symbol des rächenden Arms der Polizei. Auf diese zeigte mein kleiner Sachse vor der Vernehmung wortlos hin. Diese begann mit der Frage: „Wissen Sie, was Sonderbehandlung ist?“Auf meine Verneinung: „Auf besondere Anordnung des Führers brauche ich nur den beiden Männern hinter Ihnen zu winken und die dürfen dann mit Ihnen machen, was sie wollen, einschließlich des Knochentransports ins Krematorium“. Dann verhörte er über den Inhalt der Gespräche mit den Beteiligten, insbesondere bei Yorck. Ich gab nichtssagende Antworten und wich nach allen Seiten aus, weil ich nicht freiwillig aussagen wollte.