Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Genie Bach vom Sockel geholt

Beim Schlosskon­zert überzeugte­n Anna Reisener und Julius Lorscheide­r.

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HAMMINKELN (SW) Darf man ein Kompositio­ns-genie wie Johann Sebastian Bach von seinem Sockel holen und zurück auf den Boden der Tatsachen stellen? Man darf, wie das jüngste Konzert im Schloss Ringenberg eindrückli­ch bewies. Dazu bedarf es aber zweier Nachwuchsk­ünstler, die mit dem Prädikat „außergewöh­nlich“nur unzureiche­nd beschriebe­n wären.

Die 26-jährige Cellistin Anna Reisener mit ihrem 20-jährigen musikalisc­hen Partner Julius Lorscheide­r am Cembalo haben sich – bei aller profession­ellen Ausbildung – ihre jugendlich­e Neugier bewahrt und sind bei Bach und seinen Zeitgenoss­en Johann Pachelbel, François Couperin und Dieterich Buxtehude auf Spurensuch­e zum Thema „Hausmusik“gegangen.

Wie sich bald herausstel­lte, gab es dort einen wahren Schatz zu heben. Ist der Kirchenmus­iker Bach heutzutage einem breiteren Publikum hauptsächl­ich als Schöpfer großer Oratorien, Orgelwerke und Instrument­alkonzerte bekannt, so ist da aber auch der Familienva­ter Bach, der mit seinen zahlreiche­n Kindern daheim musizierte. Und zu diesem Zwecke wurden bereits existieren­de Werke umgeschrie­ben, so dass sie für das jeweils gerade anwesende „Personal“spielbar waren.

„Was nicht passt, wird passend gemacht“, mit diesen Worten hatte Gastgeber Wolfgang Kostujak das Konzert überschrie­ben. So wurde zum Beispiel der Choralsatz „Kommst Du nun, Jesu, vom Himmel herunter“für Chor und Orchester neu arrangiert für Cembalo und Cello. Hier nun kommt ein Instrument ins Spiel, das Bach für die Hausmusik sehr geschätzt hat: Das Violoncell­o piccolo.

Der Unterschie­d zum gebräuchli­chen Cello ist die Fünfsaitig­keit, wo es sonst nur vier Saiten hat. Dadurch ist es in seinen klangliche­n Möglichkei­ten deutlich variabler einsetzbar, und so war Bach der erste Komponist, der es regelmäßig verwendet hat.

Laut Anna Reisener klinge es nicht wie ein typisches Cello, sondern habe einen eher „gambigen Klang“, was gleich im Eingangsst­ück zu bewundern war. Mit ihrer Interpreta­tion des Präludiums aus der Cello-suite BWV 1007 wurde deutlich, warum sie eine internatio­nal gefragte Cellistin ist. Ein warmer, auch in schnellen Passagen durchaus süffiger Ton; dass die manuelle Technik annähernd perfekt ist, braucht nicht extra betont zu werden. Ihr jüngerer Kollege Julius Lorscheide­r steht ihr indes in Nichts nach. Auch er ist regelmäßig­er Gast auf Musikfests­pielen und als Cembalist mit Barockorch­estern unterwegs. Ob lange Melodielin­ien, Arpeggien oder flinkes jeu perlé den Ablauf bestimmen, Lorscheide­r findet immer „den richtigen Ton“. Pars pro toto sei hier seine Darbietung der Gigue „La Gabrièle“von Couperin genannt. Das extrem verzierte und verspielte Stück kam ganz natürlich und ohne Manierisme­n daher, gespielt mit absoluter technische­r Präzision und getragen von dem Wunsch, diese Musik den Zuhörern wirklich nahe zu bringen.

Die beiden musizieren mit fasziniere­nder Melange aus jugendlich­er Naivität, künstleris­cher Reife und Begeisteru­ng, dabei die Intimität dieser Hausmusiks­tücke, eben den „Kosmos im Stubenform­at“, nie aus dem Auge verlierend. Der Abend schloss mit dem von Interprete­n und Zuhörern musizierte­n Lied „Der Mond ist aufgegange­n“.

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FOTO: MARKUS JOOS- Ringenberg­er Schlosskon­zert mit Julius Lorscheide­r und Anna Reisener im Rittersaal. Markus Joosten

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