Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der grüne Himmel über der Murg
Im Nordschwarzwald rund um Baiersbronn gibt es viel Wald und am Wegesrand grüne Kräuter, mit denen man Zipperlein heilen kann. Und viel frische Luft macht hungrig – umso besser, dass die Gegend pro Kopf die meisten Michelin-sterne hat.
BAIERSBRONN Unfassbar, welche Geräusche solch ein kleiner Bach machen kann: Wie ein Strom bahnt sich die Rotmurg ihren Weg über die namensgebenden großen roten Steine, tut so, als sei sie ein ganz großes Gewässer. Zumindest für das ganze Murgtal ist sie das auch. Denn dieser Fluss schmiegt sich über 80 Kilometer durch die Nordschwarzwald-region, entsteht aus zwei größeren Quellbächen in der Gemeinde Baiersbronn. Sie teilt sich in Rechtmurg und Rotmurg und fließt bei Kilometer 344,5 in den Rhein.
„Und jetzt mal tief Luft holen, atmen, tief atmen und schön die Seele baumeln lassen”, rät genau an diesem rauschenden Ufer der Rotmurg Heilklima-wanderer Ulli Schmelzle. Der 70-Jährige kennt sich aus mit dem Klima im Heilkurort Obertal, einem von neun Teilorten Baiersbronns. Schließlich geht er fast jeden Tag eine der Heilklimarouten mit seinen Gästen ab. Dabei erklärt er Gesteinsarten und -farben, erinnert an das erste Bergrennen im Jahr 1946 für Autos und Motorräder und weist immer wieder auf Besonderheiten in der Natur hin. Die Heilklima-wanderung ist aber nur ein Angebot von vielen in Baiersbronn, der als Ort mit der höchsten Michelin-sterne-dichte pro Einwohner gilt. „Acht Sterne auf 15.000 Einwohner”, sagt Touristiker Patrick Schreib und erklärt: „Zu uns kommen die Gäste wegen der Natur, wegen Wellness und natürlich wegen des Genusses.”
450 Gastgeber in 50 Hotels und 400 Ferienwohnungen oder Pensionen freuen sich jedes Jahr über 830.000 Übernachtungen. Dabei kommen anders als viele denken nicht nur Senioren nach Baiersbronn: „Natürlich haben wir viele Stammgäste, die schon seit Jahrzehnten bei uns ihren Urlaub verbringen”, so Schreib. Aber allein durch das Revival des Wanderns würden seit einigen Jahren auch Jüngere den Nordschwarzwald entdeckten. „Erst recht, seitdem wir uns auf Mountainbike-touren spezialisiert haben.” Die Teilnehmer der Fahrten, die über ein spezielles Streckennetz führen und schon mal fünf Stunden dauern können, lernen dann, ganz sportlich Kurven zu fahren oder Höhenmeter zu absolvieren.
Neben dem Fahrradsport steht das Wandern im Fokus von Gastgebern und Gästen. Denn Baiersbronn hat ein absolutes Alleinstellungsmerkmal: seinen Wald. Mehr als 80 Prozent der Gemeindefläche sind mit Wald bedeckt. „Man muss den Wald schon mögen, wenn man bei uns Urlaub macht“, sagt Schreib.
Es gibt 550 Kilometer Wanderwege zu verschiedenen Themen. Man kann auf Spuren der Holzmacher gehen, in die Eiszeit abtauchen oder Genussplätze entdecken. Es gibt eigene Wander-infozentren, in denen man sich sogar Rucksäcke oder Schneeschuhe ausleihen kann, eine App plant die eigene Wandertour.
Eine der Touren bietet zum Beispiel Anne Reichel zum Thema Wildpflanzen an. Die Naturpädagogin kann stundenlang über Wiesenknopf (auch Pimpinelle genannt) reden, welche Wirkung es medizinisch hat, wie man damit den Schafskäse anreichert, was man mit Löwenzahn, Spitzwegerich (gut bei Insektenstichen) oder Bärwurz anstellen kann, wie man Giersch erkennt (am dreikantigen Stengel) und wozu dieses eigentliche Unkraut verwendet werden kann: „Es schmeckt wie Petersilie, darum einfach über die Möhren streuen oder in den Kräuterquark rühren.” Außerdem gelte es als „Zipperleinskraut” und soll gegen Arthrose wirken.
Und noch eine Geschichte, die sie einfach so beim Spaziergang erzählt, und dabei weiter pflückt. Denn hier wächst der wilde Thymian – „und der macht Mut”: Die römischen Feldherren hätten am Tag vor einer wilden Schlacht ein Thymian-bad genommen und seien gestärkt ausgestiegen…
Der Sinn für Kulinarik und vor allem für regionale Produkte spiegelt sich auch in den „Baiersbronner Schätzen” wider, die einige Gastronomen anbieten: Waldhonig wird auf dem Seidtenhof hergestellt, auf dem auch das Fichtenspitzeneis gerührt wird, Klosterreichenbacher Wildspezialitäten kommen aus einer regionalen Metzgerei, der „Röte Ziegenkäse mit Dost” (Oregano) wird auf einem Biohof in Schönegrund hergestellt, und der Apfelessig stammt vom Abrahamshof. Und dann ist da noch die Buhlbacher Forelle, auch sie einer der „Baiersbronner Schätze“. Sie entstammt einer Forellenzucht, die jetzt modernisiert wurde.
Familie Bareiss, seit Generationen Betreiber eines großen Hotels mit Spa und Drei-sterne-restaurant in Mitteltal, hat aus der kleinen Anlage mit Wanderhütte eine schicke Gastronomie geschaffen. Das Besondere: In 13 Zuchtteichen, die
mit frischem Quellwasser direkt aus dem Wald gespeist werden, werden Saiblinge, Forellen, Regenbogen-, Lachs- und Goldforellen gezüchtet. Die Fischwirte geben ihnen 18 Monate Zeit zu wachsen, bevor die Fische mit dem Käscher entnommen, direkt verarbeitet und im Restaurant serviert werden. Weil früher mal Krebse und Felchen in der Murg gelebt haben, will man diese Tiere dort jetzt auch wieder im Rahmen eines Forschungsprojektes mit Unterstützung des Bundesministeriums für Forschung und Bildung züchten und zum Teil wieder aussetzen.
Wer seinen Saibling im Forellenhof verspeist hat und Lust auf einen kleinen Spaziergang hat, kann ein paar Meter davon entfernt in die Geschichte der Glasbläserei eintauchen. Dort befand sich vom 18. bis ins 19. Jahrhundert die bedeutendste Glashütte des Schwarzwalds, in der ein ganz besonderes Produkt entwickelt wurde: die Champagnerflasche mit der typischen Delle im Flaschenboden, genannt „Buhlbacher Schlegel“. Aus dem Sekt- und Weingut Kessler war an die Techniker der damaligen Glashütte die Bitte herangetragen worden, eine Flasche zu entwerfen, die dem hohen Druck in der Fertigung standhält. Bis dahin hatte es 30 Prozent Glasbruch gegeben. Zwei Millionen Flaschen wurden dort Jahr für Jahr mundgeblasen und in die Welt exportiert. 1909 musste die Glashütte schließen, Förderverein und Stadt kümmern sich jetzt um den Erhalt der historischen Gebäude.
Noch mal das Thema Genuss: Badischer Wein ist bekannt – aber Wein aus dem Schwarzwald? Eher nicht. Aber auf dem Weingut Eberstein und seinen Rebflächen am Hang des gleichnamigen Schlosses in Gernsbach wird dann doch von Familie Decker auf sieben Hektar Sauvignon Blanc, Riesling und Merlot produziert.
Die Reise wurde unterstützt durch Baiersbronn Touristik.