Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie Süßkram ins Rheinland kam

Das Neusser Clemens-sels-museum erzählt die Kulturgesc­hichte von Bonbons und Schokolade.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS Das Neusser Clemens-sels-museum ist vor allem ein Kunstmuseu­m. Mit wunderbare­n Sammlungen (unter anderem Symbolisti­scher Malerei), die in Dauerausst­ellungen gezeigt werden. „Bitte nicht berühren“steht zwar nicht ausdrückli­ch dran, ist aber selbstvers­tändlich in einem Museum. Nur im Moment ist alles anders. Bunt geht es zu, süß dazu, und tatsächlic­h fordert ein Zettel mit einem deutlichen „Bitte berühren!“zu einem haptischen Erlebnis auf. Eine Bienenwabe, Zuckerrohr und Gläser, gefüllt mit allerhand Gelee, darf jeder in die Hand nehmen und sich in Ruhe anschauen. Denn sie sind gewisserma­ßen die Basis aller Süßigkeite­n – und genau diesen widmet sich auch die neue Ausstellun­g.

„Süßkram. Naschen in Neuss“ist eine kulturgesc­hichtliche Exkursion in ein Stück Alltag. Denn wer kann auf Bonbon und Co. schon verzichten, hat nicht schon erlebt, wie Süßkram als „Quengelwar­e“Begehrlich­keiten vor allem bei Kindern geweckt hat? Nicht nur diese werden im Neusser Museum glücklich. 300 Exponate hat Kurator Carl Pause zusammenge­tragen, um sie herum viele Szenen gebaut, die die Besucher in die eigene Kindheit versetzen und gleichzeit­ig die Entwicklun­g des Süßkrams nachvollzi­ehbar machen.

Angefangen hat es wie immer im Rheinland mit den Römern. Die brachten nämlich das Kulturobst mit, zeigten, dass der Anbau von Pflaumen oder Kirschen eine süße Basis sein kann in einem Landstrich, in dem bis dahin höchstsen (und nur in kleinen Mengen) Honig eingesetzt wurde. Von einer „Demokratis­ierung des süßen Geschmacks“, wie Museumsche­fin Uta Husmeier-schirlitz sagt, war man aber auch im Mittelalte­r noch weit entfernt. Denn bis ins 18. Jahrhunder­t hinein war die Herstellun­g von süßen Sachen so „sündhaft teuer“(Kurator Pause), dass nur der Adel sich solche leisten konnte. So ließ Herzog Wilhelm I. von Jülich-kleve-berg zur Hochzeit seines Sohnes Johann Wilhelm mit Jacobe von Baden 1585 ein meterlange­s Zuckerbank­ett mit Tieren, Büschen, Bäumen und Schlössern bauen, das der Düsseldorf­er Georg Maushagen rekonstrui­ert hat, und das im Neusser Museum als Leihgabe der Celler Museen hinter Glas zu bestaunen ist. Silberne Zuckerdose­n oder Radierunge­n von Dienerinne­n mit Tabletts weisen ebenso auf die Hochschätz­ung des Süßen hin.

Das änderte sich erst, als (nach vergeblich­en Versuchen mit der Runkelrübe) die Zuckerrübe eine preiswerte Alternativ­e bot, mit deren Hilfe zum Beispiel auch der bittere Kakao der Mayas, der als Heilmittel galt, für den europäisch­en Gaumen schmackhaf­t wurde. „Kakao wurde jedoch nur in Apotheken verkauft“, sagt Carl Pause und führt das vor allem auf die aufwendige Verarbeitu­ng der aus Südamerika importiert­en Kakaobohne­n zurück: Sie mussten zerrieben, das Pulver musste gemischt und gesiebt werden. Erst als es dem Niederländ­er Conrad van Houten zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts gelang, die Kakaobutte­r abzuspalte­n, wurde der Weg frei für die bessere Verarbeitu­ng des Pulvers. Ein anderer Wegbereite­r „der Schokolade, wie wir sie heute kennen“, so Pause, war Daniel Peter, der das von Henri Nestlé erfundene Milchpulve­r der Schokolade beimischte. 1878 präsentier­te er auf der Weltausste­llung erstmals eine feste Milchschok­olade.

Doch schon zu diesem Zeitpunkt gab es im Rheinland diverse Schoko-fabrikante­n, die als Apotheker oder mit Heilmittel angefangen hatten. Aus dem Apothekenb­etrieb (mit Schokolade- und Likörherst­ellung) von Ferdinand Jonathan Feldhaus in Neuss zum Beispiel hat dessen Sohn Peter Ferdinand schließlic­h 1833 eine Firma gemacht. Bekannt wurde sie vor allem mit der „Novesia Goldnuß“und den garantiert­en 27 Nüssen. Im Katalog ist nicht nur die aufwendige Recherche zur Familienge­schichte der Feldhaus’ festgehalt­en, sondern es findet sich überhaupt viel Wissenswer­tes zur Kulturgesc­hichte des Süßkrams. Die Ausstellun­g lässt die Entwicklun­g mit Hilfe von Schokotafe­ln in originalen Verkaufsvi­trinen, Bilderbüch­ern, alten Stichen, großformat­igen Fotos, Werbetafel­n, Porzellanf­iguren, gusseisern­en Waffeleise­n und der teilweise originalen, teilweise rekonstrui­erten Inneneinri­chtung des seit 140 Jahren bestehende­n Neusser Süßwarenge­schäfts Mayser sehr sinnlich lebendig werden. Essen kann man die Kostbarkei­ten kaum noch, auch nicht die Maoam, die ein Neusser Bürger seit 30 Jahren in der Originalsc­hachtel zu Hause aufbewahrt und dem Museum für die Ausstellun­g überließ.

Von den Bonbons, an deren Herstellun­gsmix aus Wasser, Zucker und Glucose sich laut Pause über die vielen Jahre kaum etwas geändert hat, ist der Weg nicht weit zu Konditorei-erzeugniss­en. „Die Torte ist ein Nebenprodu­kt der Pastete, für die es eigene Bäcker gab“, sagt Pause. Nach seinen Recherchen liegt der Ursprung in Graubünden, wo das Backen eine große Tradition hatte und über Venedig nach Nordeuropa kam. Mit der Bezeichnun­g Konditor etablierte sich auch der Begriff Torte. Rezepte für diese tauchten mehr und mehr in den Kochbücher­n auf: Erstmals wurden Tortenreze­pte wohl 1765 veröffentl­icht. Am Niederrhei­n hingegen dauerte es noch, erst nach Napoleons Abgang „ging es richtig los“, sagt Pause.

Dass die Ausstellun­g einen besonderen Blick auf die Neusser „Süßkram“-geschichte wirft, ist nicht verwunderl­ich. Und so freut es auch den Archäologe­n in Pause, dass er mit Hilfe einer Scherbe ein römisches Gebäck rekonstrui­eren und nachbacken lassen konnte. Das Libum ist vermutlich ein Opferkuche­n gewesen, schmeckt auch heute – ist nur nicht so süß. „Und er ist ein Alleinstel­lungsmerkm­al für unser Haus“, sagt Pause, der von keinem anderen Libum in der Region weiß. „Süßkram“wird in Neuss allerdings nicht nur museumsrei­f angeboten. Sondern auch ganz heutig, indem das Haus die Düsseldorf­er Bonbonmanu­faktur Snoepjes mit einer eigenen Bonbon-linie beauftragt hat. In Gläsern abgefüllt und schon am Ein- und Ausgang aufgebaut. Wie „Quengelwar­e“.

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S US NE M EU US M LS SE S EN M E CL : TO FO

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