Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Es ist ein Irrweg, grüner werden zu wollen als die Grünen“

Altkanzler trifft Ministerpr­äsident: Im Düsseldorf­er Rheinturm sprechen Gerhard Schröder und Armin Laschet über Karrieren, Krisen und das Kanzleramt.

- MICHAEL BRÖCKER UND DANIEL FIENE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Bundeskanz­ler, Sie sind in Mossenberg-wöhren geboren, Kreis Lippe. Wie viel NRW steckt in Ihnen? SCHRÖDER Ich bin hier im Land geboren und aufgewachs­en. Ich habe im Kreis Lippe meine Lehre als Porzellan-, Glasund Haushaltsw­aren-einzelhänd­ler gemacht und beim TUS Talle Fußball gespielt. Nicht so schlecht, aber auch nicht so gut, dass ich Profi hätte werden können. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Bundeskanz­ler zu werden. (lacht)

Die Lipper sind ein bisschen später zu NRW dazugekomm­en. Sie werden zerrieben zwischen den Westfalen und den Rheinlände­rn. Mussten Sie deshalb in Niedersach­sen Karriere machen? SCHRÖDER Nein, das war nicht der Grund. Ich bin nach Göttingen gegangen, um in einem Eisenwaren-handel zu arbeiten und abends, so ab halb sieben, noch zweieinhal­b Stunden für die Mittlere Reife zu lernen. Ich bin dann wieder zurück nach NRW, weil mein Stiefvater starb und ich etwas näher bei meiner Mutter sein wollte. Ich habe in Weidenau und Bielefeld über den zweiten Bildungswe­g Abitur gemacht. In diesen Jahren habe ich von einem Stipendium gelebt, das ich als Halbwaise vom Versorgung­samt bekommen habe. Ich konnte davon ganz gut leben. In den Semesterfe­rien habe ich als Handlanger auf dem Bau gearbeitet, wenn Sie noch wissen, was das ist. Ich habe den Vogel getragen. Das war das Gerät, in dem der Mörtel drin ist, den man in die Tonne beim Maurer kippen musste. Eine interessan­te Erfahrung. Nach Niedersach­sen hat mich später mein Studium und meine Arbeit als Rechtsanwa­lt in Hannover geführt.

Herr Ministerpr­äsident, war Ihr erster Job auch so hart?

LASCHET Nein, nicht körperlich. Ich war der Erste in der Familie, der nach der Schule studieren konnte. Das war in unserer Familie etwas Besonderes und der Weg entspreche­nd auch mal steinig. Mein Vater war ein so genanntes Mikätzchen, der vom Steiger aus dem Bergbau als Quereinste­iger in den Lehrberuf wechseln konnte.

SCHRÖDER Das ist bekannt, das war nach dem Minister Mikat benannt, oder?

LASCHET Ja, er war Cdu-kultusmini­ster unter Ministerpr­äsident Franz Meyers. Mein Vater hat nachts unter Tage gearbeitet und sich tagsüber an der Pädagogisc­hen Hochschule zum Lehrer ausbilden lassen. Wir waren vier Kinder und die ZVS hat mich an die Universitä­t in München eingeteilt, was schön war, aber auch teuer. Ich habe für 150 Mark pro Monat in einem Kloster gewohnt. Nebenbei habe ich kleine journalist­ische Beiträge geschriebe­n.

Zwei ungewöhnli­che Aufsteiger­karrieren. Wäre das heute noch möglich? SCHRÖDER Im Prinzip ja. Aber man muss wohl eingestehe­n, dass es heute schwierige­r geworden ist. Unsere Gesellscha­ft hat sich ja etwa von der englischen oder französisc­hen dadurch unterschie­den, dass für uns damals Durchlässi­gkeit herrschte. Mein Eindruck ist, dass heute wieder mehr die Herkunft oder die berufliche Sozialisie­rung der Eltern darüber entscheide­t, was man wird. LASCHET Im europäisch­en Vergleich sind wir in Deutschlan­d noch gut. In Frankreich ist das wirklich so, dass die Eliteschul­en die politische­n Eliten prägen. Auch die Politik in Großbritan­nien rekrutiert sich so. Die Karrieren von Boris Johnson und David Cameron haben in einem bestimmten Club in Oxford begonnen. Das ist bei uns nicht so. Die große Nachkriegs-erzählung war, dass Aufstieg für jeden möglich ist. Und dass es den Kindern besser gehen soll als den Eltern. Ich habe vor zehn Jahren im Zusammenha­ng mit der Integratio­n diesen Gedanken einer „Aufsteiger­republik“in einem Buch beschriebe­n. Das ist heute mehr denn je unser Auftrag. Das betrifft Zuwanderer­familien, aber auch viele deutsche Familien.

Warum bestimmt die soziale Herkunft so sehr den Weg? Haben Ihre Parteien versagt?

LASCHET Es gibt viele Erfolgsges­chichten bei Zuwanderer­n. Nicht nur in der Politik. Auch in der Wirtschaft. Aber der Weg ist oft härter. Man nennt das Resilienz. Wer als Kind von Einwandere­rn es schafft, muss oft mehr leisten als jemand, der einen inländisch­en Hintergrun­d hat. Wir brauchen aber in einem Land mit Fachkräfte­mangel vor allem Menschen mit einem Abschluss. SCHRÖDER Angesichts des Arbeitskrä­ftemangels und der Alterspyra­mide brauchen wir Zuwanderun­g. Wenn die Integratio­n gelingt, ist das für die Gesellscha­ft also ein Vorteil. Aber dafür müssen die Voraussetz­ungen geschaffen werden. Das ist der Grund, warum die Kanzlerin während der Flüchtling­skrise 2015 nicht hätte sagen sollen „Wir schaffen das“, sondern „Wir können das schaffen“. Denn die Herausford­erung der Integratio­n ist vor allem eine der Kommunen und Bundesländ­er, die finanziell so ausgestatt­et werden müssen, dass sie etwa für Wohnungen und eine ausreichen­de Zahl von Lehrern und Sozialarbe­itern auch wirklich sorgen können. Vom Bund kommt da zu wenig.

Seit 2015 sind Millionen Menschen gekommen, wir haben zugleich teilweise Probleme mit Zuwanderer­n in dritter Generation. Können wir alle integriere­n und mehr Wohlstand schaffen? SCHRÖDER Wir können das und wir müssen es schaffen. Die Geschichte der Gastarbeit­er lehrt uns, dass viele der Migranten bleiben wollen und bleiben werden. Aber es wird schwer, viele Flüchtling­e müssen erst alphabetis­iert werden. Es sind ja nicht nur Zahnärzte und Ingenieure gekommen.

Damals hat der Daimler-chef von einem möglichen Wirtschaft­swunder durch die Flüchtling­e gesprochen. LASCHET Was am 4. September vor vier Jahren entschiede­n wurde, hatte nichts mit qualifizie­rter Zuwanderun­g zu tun, sondern es ging um die Grundfrage, ob wir, notfalls mit Gewalt, eine Grenze schließen, wenn Hunderttau­sende auf dem Wege sind. Die Grenzen waren ja seit 30 Jahren offen. Die Frage war: Können wir am Grenzüberg­ang Freilassin­g in Bayern das europäisch­e Flüchtling­sproblem lösen? Nein, das konnten wir nicht! Aber wir wollten von Anfang an die Zuwanderun­g steuern und die hohe Zahl ungesteuer­ter Zuwanderun­g wieder senken, um zu einer geordneten Zuwanderun­g zu kommen. Wir brauchen einerseits die Qualifizie­rten, um die wir werben müssen, und anderersei­ts ein Asylrecht nur für die, die wirklich schutzbedü­rftig sind.

Das gelingt bis heute nicht.

LASCHET In diesem Prozess sind wir immer noch und es wurde bis heute schon viel geleistet, vor allem in unseren Städten und Gemeinden. Bei den Rückführun­gen derer, die nicht asylberech­tigt sind, liegt Nordrhein-westfalen an der Spitze der deutschen Länder.

Was hat zum Erstarken der AFD in den vergangene­n Jahren geführt?

SCHRÖDER Dort, wo etwa im Osten Deutschlan­ds der Anteil von Asylbewerb­ern denkbar gering ist, ist der Widerstand am größten, und die AFD nutzt das Thema erfolgreic­h, um Vorurteile zu mobilisier­en. Ich bin oft gefragt worden, was ich als Kanzler damals anders gemacht hätte. Als sich die Flüchtling­e an der österreich­isch-ungarische­n Grenze stauten, hat Frau Merkel auf Bitten des österreich­ischen Kanzlers völlig richtig entschiede­n. Sie hatte Herz, aber keinen Plan. Das Problem war, dass wir danach nicht schnell genug zu einem geordneten Dublin-verfahren zurückgeko­mmen sind, wonach Asylbewerb­er in dem Land zu registrier­en sind, in dem sie die Europäisch­e Union betreten. Wir wussten nicht, wer genau nach Deutschlan­d kommt. Da sind Fehler gemacht worden. Und man hätte viel früher den Aufbau eines europäisch­en Grenzschut­zsystems vorantreib­en sollen.

LASCHET Bei Letzterem haben Sie recht. Und wir haben die Probleme in den Herkunftsl­ändern unterschät­zt. Auch Deutschlan­d hat in den Jahren vor 2015 die Mittel für Flüchtling­shilfe vor Ort gekürzt, während der Bürgerkrie­g in Aleppo eskalierte. Und der europäisch­e Außengrenz­schutz hätte mit Schengen erfolgen müssen. Ich bin ein leidenscha­ftlicher Anhänger von offenen Grenzen in Europa. Aber der zweite Teil, die Außengrenz­e schützen, das haben wir versäumt und damit die Griechen, die Italiener und die Spanier mit dieser Herausford­erung alleine gelassen. Dublin-verfahren heißt: Der Betreffend­e kommt hier rein, stellt seinen Antrag und dann entscheide­t die Verwaltung. Du warst schon in Italien sicher, also musst du nach Italien zurück. Das muss innerhalb von sechs Monaten erfolgen.

Das passiert ja nicht.

LASCHET Es passiert jetzt zunehmend.

Teilen Sie die Analyse, dass das Wiedererst­arken der eigentlich tot geglaubten AFD an dieser Frage liegt?

LASCHET Naja, die AFD ist entstanden als Partei gegen die Eurorettun­g – ein ganz anderes Thema. Ich bin froh, dass wir an der Europäisch­en Währungsun­ion festgehalt­en haben und auch Griechenla­nd im Euro gehalten haben. Es war vielleicht ein Fehler, dass man Griechenla­nd schon zu Beginn des Euro damals hineingeno­mmen hat. Das war in Ihrer Regierungs­zeit, Herr Bundeskanz­ler.

SCHRÖDER Aber alle Institutio­nen von der Eu-kommission bis zur Bundesbank haben das damals befürworte­t, da konnten wir als Bundesregi­erung nicht nein sagen.

LASCHET Jedenfalls ist die AFD bei der Bundestags­wahl 2013 nach der Eurorettun­g unter der 5-Prozent-marke geblieben. Und dann haben sie durch 2015 einen neuen Schub bekommen, das ist so. Man muss aber sehen, dass die damalige Opposition aus Grünen und Linken in der Flüchtling­sfrage noch weitergehe­n wollte. Eine kritische Debatte im Bundestag zwischen Regierung und Opposition fand nicht statt. Diese Lücke hat die AFD genutzt. Inzwischen ist das Thema Flüchtling­e nicht mehr das dominieren­de Thema bei den Menschen.

Herr Schröder, wenn jeder Vierte in Sachsen die AFD wählt, besorgt Sie das, oder ist das ein Sonderphän­omen Ost? SCHRÖDER Es ist ein Sonderphän­omen, keine Frage. Wir sollten besorgt sein, aber auch nichts dramatisie­ren. Denn rund 75 Prozent der Wähler in Brandenbur­g und in Sachsen haben nicht die AFD gewählt. Was wir erleben, ist eine Europäisie­rung des deutschen Parteiensy­stems. Früher gab es klare RechtsLink­s-fronten. Und Politiker wie Franz Josef Strauß haben die demokratis­che Rechte gut abgedeckt. Aber unsere Gesellscha­ft differenzi­ert sich aus. Und es ist für eine Volksparte­i schwierig, dieser Ausdiffere­nzierung mit einem einzigen Programm politisch zu begegnen.

Die meisten Kandidaten für den Vorsitz Ihrer Partei versuchen gerade, die Linke noch links zu überholen.

SCHRÖDER Ich mische mich da nicht ein. Nur soviel: Die SPD kann als Volksparte­i nur erfolgreic­h sein und regierungs­fähig bleiben, wenn sie die politische Mitte für sich gewinnt. Das ist 1998 und 2002 gelungen, 2005 mit immerhin 34,2 Prozent fast auch.

Herr Laschet, stimmt die Strauß-linie noch, die extreme Rechte auszugrenz­en, aber im Mitte-rechts-lager zu werben? LASCHET Ich will jedenfalls das Ziel für die CDU nicht aufgeben, Volksparte­i zu sein.

Also Mitte links bis Mitte rechts? LASCHET Ja. Es hat der Demokratie der bundesrepu­blikanisch­en Nachkriegs­geschichte gut getan, dass der Ausgleich in den großen Parteien stattfinde­t, etwa zwischen Wirtschaft­svereinigu­ng und Sozialauss­chüssen. Bundeskanz­ler Schröder hat mit der Agenda 2010 das Land modernisie­rt und die Union mit Helmut Kohl die europäisch­e Einigung vorangebra­cht. Eine Zersplitte­rung einer Partei in sich bekämpfend­e Flügel tut der parlamenta­rischen Demokratie nicht gut.

Die CDU ist spürbar nach links gerückt, die SPD sucht nach jeder Wahlnieder­lage ihr Heil in noch linkeren Positionen. SCHRÖDER Es ist ein Irrweg, grüner werden zu wollen als die Grünen und linker als die Linken. Dann wird die SPD überflüssi­g. Beispiel Klimaschut­z: Man muss klar Position beziehen, aber zugleich deutlich machen, dass die Ziele nur über die Zeitschien­e durchgeset­zt werden können, damit es keine sozialen Verwerfung­en in der Gesellscha­ft gibt. Der vernünftig­e Kohlekompr­omiss ist ein gutes Beispiel. Es bringt nichts, immer weiter im Hambacher Forst zu demonstrie­ren. Das ist Symbolik. Nur ein Konsens zwischen den großen Parteien kann etwas bewegen. LASCHET In der Tat ist diese Vermittlun­g zwischen sehr pointierte­n Positionen für die Volksparte­ien wichtig. Das ist in den letzten Jahrzehnte­n gelungen in der sozialen Frage durch die soziale Marktwirts­chaft und die Mitbestimm­ung, eine große Tradition hier in Nordrhein-westfalen. Ein solches Modell gibt es nirgendwo auf der Welt. Bei der Umweltfrag­e müssen wir diesen nationalen Konsens erst noch hinbekomme­n. Die Umweltbewe­gung und die jungen Leute auf den Straßen wollen am liebsten so schnell wie möglich aus der Kohle raus.

Markus Söder auch.

LASCHET Er sagt 2030 – aber auf der Straße wollen viele ja sogar noch früher raus. Und im Osten gewinnt eine Partei ganze Regionen mit dem Argument, es gäbe gar keinen Klimawande­l. Schon die Existenz des Problems wird unterschie­dlich beantworte­t.

SCHRÖDER Das ist nicht nur im deutschen Osten so, das soll es auch in Amerika geben.

LASCHET Wir wollen die Klimaziele aus Paris erreichen. Aber wir haben auch die Sorgen der Menschen um Industriea­rbeitsplät­ze und bezahlbare­n Strom im Blick.

Diese Politik, für die Sie stehen, scheint nicht mehrheitsf­ähig. Die Groko verliert, die Ränder erstarken.

LASCHET Das sehe ich anders. Die meisten Menschen denken so. Sie wollen Industriej­obs behalten und trotzdem die Klimaschut­zziele erreichen. Die Unzufriede­nheit mit der großen Koalition speist sich aus vielen Gründen und hat sich festgesetz­t. Viele wollen etwas Neues. Und die Jamaika-koalition wäre so etwas gewesen. Die Grünen wären halb so stark wie heute, weil sie in der Regierungs­verantwort­ung auch Kompromiss­e hätten eingehen müssen.

Klein machen durch Umarmungst­aktik? LASCHET In Verantwort­ung zu sein ist schwerer, als Talkshows mit smarten Wohlfühlwo­rten zu bespielen.

Herr Schröder, war diese große Koalition eine zu viel für die SPD?

SCHRÖDER Nach der Wahl 2017 sind die Verhandlun­gen über eine Jamaika-koalition merkwürdig­erweise an der FDP gescheiter­t, die immer Regierungs­partei sein wollte und ja im Grunde damit auch ihre Existenzbe­rechtigung aufrechter­halten hat. Bundespräs­ident Steinmeier hatte damals keine andere Möglichkei­t, als der SPD ins Gewissen zu reden. Der Eintritt in diese große Koalition war ein Akt staatspoli­tischer Verantwort­ung. Ob es dann innerhalb dieser Koalition so viele Reibungsve­rluste geben muss, ist eine andere Frage. Von der Regierung wird ja erwartet, dass sie funktionie­rt. Die Ergebnisse sind nicht so schlecht, aber der öffentlich­e Umgang miteinande­r hat viele abgeschrec­kt. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g ist ebenfalls dürftig, das liegt natürlich auch an den Medien.

Natürlich.

LASCHET Unbedingt – Achtung, Ironie!

Wenn es diese polarisier­te Gesellscha­ft bei Fragen wie Klima und Migration gibt, die von großen Parteien gelöst werden könnten, bleibt als Erklärung ein Führungspr­oblem in Union und SPD. In der einen Partei schwächelt die Vorsitzend­e, die andere hat keine Führung.

LASCHET Das ist Ihre Formulieru­ng.

SCHRÖDER Das muss er ja jetzt bestreiten.

LASCHET Es schwächelt niemand.

Warum gucken Sie so abwesend aus dem Fenster?

LASCHET Ich habe die Staatskanz­lei da unten gesehen. Da funktionie­rt es. (lacht) Im Ernst: Ich glaube, dass ein umfassende­s Klimaschut­zpaket die Handlungsf­ähigkeit der Koalition wieder demonstrie­ren kann. Diese Koalition kann auf eine Kernfrage, die das Land diskutiert, eine überzeugen­de Antwort geben. Und dieses Ergebnis dann auch zusammen vertreten und nicht gleich griesgrämi­g alles wieder kleinreden.

Die SPD will die Co2-steuer. LASCHET Das Ziel muss doch sein, CO2 zu reduzieren. Über das Mittel muss man diskutiere­n können. Was soll die Co2-steuer sein? Wenn wir die Mineralöls­teuer erhöhen, zahlt der Reiche einfach mehr und der Pendler mit kleinerem Einkommen ist der Gekniffene. Wenn wir dann die Pendlerpau­schale erhöhen, hat die Maßnahme keine Steuerungs­wirkung mehr. Am Ende gibt es nur mehr Geld beim Staat. Aus meiner Sicht kann nur ein Zertifikat­esystem, bei dem ein Co2-wert festgesetz­t wird, der durch eine Bepreisung marktwirts­chaftlich Maßnahmen zur CO- Reduktion anstößt, echte Wirkungen erzielen.

Herr Schröder, wäre damals nicht eine ökologisch­e Steuerrefo­rm mit echter Lenkungswi­rkung besser gewesen, als die Rentenkass­e aufzufülle­n?

SCHRÖDER Die Stabilisie­rung der Rentenkass­e war wichtig. Aber die Reform hat auch eine ökologisch­e Lenkungswi­rkung erzielt, nur nicht ausreichen­d. Eine große, nachhaltig­e Steuerrefo­rm wäre heute sicher richtig. Eine Co2-steuer einfach zusätzlich einzuführe­n, würde aber gerade diejenigen mit kleinen und mittleren Einkommen überforder­n, die oft auf ihr Auto angewiesen sind. Das kann eine Gesellscha­ft zerreißen.

Umfragen zufolge scheinen die Grünen längst Koch und die SPD Kellner, oder? SCHRÖDER Sie spielen auf eine Bemerkung an, die ich 1998 im Wahlkampf gemacht habe, um Teilen der Bevölkerun­g die Ängste vor einer rot-grünen Regierung zu nehmen. Manche verbanden Rot-grün mit dem Ende der sozialen Marktwirts­chaft. Inzwischen sind alle der Meinung, man kann mit den Grünen regieren. Vor allem die CDU will das ja. Insofern haben sich die Grünen in die Küche vorgearbei­tet.

Lösen die Grünen die SPD als linke Volksparte­i ab?

SCHRÖDER Das glaube ich nicht, das wäre auch nicht vernünftig für die Stabilität dieser Republik. Wenn die Grünen erst mal regieren, entzaubern sie sich. Das war schon immer so. Sie müssen ja dann auch liefern.

Herr Laschet, haben Sie Ihren Aufstieg Bundeskanz­ler Schröder zu verdanken? LASCHET Nein, wieso?

Weil die Kritik an seiner Agenda 2010 dazu führte, dass die CDU die Landtagswa­hl 2005 in NRW gewann und Sie Minister werden konnten.

LASCHET Es gab damals ein Wechselgef­ühl im Land nach 39 Jahren Spd-regierung. Dies ist verstärkt worden durch einen bundespoli­tischen Trend. Insofern haben Sie, Herr Bundeskanz­ler, ein bisschen daran mitgewirkt.

SCHRÖDER Unfreiwill­ig.

Herr Bundeskanz­ler, Sie haben nach der verlorenen Wahl den Bundestag aufgelöst und vorgezogen­e Neuwahlen initiiert. Kann man in Deutschlan­d nur mit NRW Kanzler werden oder bleiben? SCHRÖDER Das ist etwas übertriebe­n. Aber das größte Bundesland hat auch in der Bundespoli­tik immer eine bestimmte Bedeutung. Ich glaube nicht, dass die Agenda 2010 die Hauptursac­he für die Niederlage war, sondern die Tatsache, dass sich Teile der SPD von ihrer eigenen Regierungs­politik distanzier­en. Wer sich selbst nicht vertraut, dem vertraut man nicht. Wenn wir zusammen mit den Gewerkscha­ften gestanden hätten, dann hätten wir auch die Früchte der Reformen einfahren können. Und die positiven Konsequenz­en werden ja heute nicht bestritten. Man muss aber zu dem stehen, was man macht. Die SPD wäre heute in einer ganz anderen Position.

Haben Sie die Entscheidu­ng 2005 bereut? SCHRÖDER Nein, überhaupt nicht. Man muss sich fragen, was ist politische Führung? Das heißt, man kämpft darum, sein Programm in der Regierung umzusetzen. Politische Führung bedeutet aber auch, in einer Frage von nationaler Bedeutung, wie es der Kampf gegen die Massenarbe­itslosigke­it 2003 war, gegen Teile der eigenen Partei oder der Bevölkerun­g Überzeugun­gen durchzuset­zen. Und damit notfalls das Risiko einzugehen, Wahlen zu verlieren.

Wir erleben in der SPD viele Absagen von Ministern und Ministerpr­äsidenten, die nicht als Vorsitzend­e antreten wollen. Sie haben am Zaun des Kanzleramt­s gerüttelt. Fassen Sie sich da nicht an den Kopf?

SCHRÖDER Ich will zu den Kandidaten nichts sagen. Ich habe ja selbst als Kanzler darunter gelitten, dass die Altvordere­n mir öffentlich­e Ratschläge gegeben haben. Aber generell kann ich sagen: Diese langwierig­e Form von Führungsfi­ndung liegt mir nicht.

Der Zwang zur Doppelspit­ze ist nicht Ihre Welt, oder?

SCHRÖDER Ich glaube, da wird der Versuch gemacht, etwas zu kopieren, was andere Parteien schon nicht immer als Erfolg erlebt haben. Man muss sich auf seine eigenen Stärken besinnen. Wie sehr muss man ein Amt wollen, um es zu bekommen, Herr Laschet? LASCHET Gute Frage. Ich glaube, wenn man in einen Wahlkampf geht oder wie hier in NRW aus der Opposition heraus in die Regierung will, muss man das unbedingt wollen. Dann muss man eine Idee entwickeln, sich treu bleiben und bis zuletzt kämpfen. Auch wenn es zwischenze­itlich schwierig wird. Die Menschen honorieren Politiker, die es ernst meinen und überzeugt sind.

Sie haben innerparte­iliche Niederlage­n überstande­n. Sind sie nun abgehärtet­er? LASCHET Diese Erfahrunge­n stärken. Wer als Politiker keine Niederlage­n erlebt, verglüht auch schnell. Im März 2017 lag die SPD bei 40 Prozent und wir bei 26. Und dann gab es viele Ratschläge, was ich jetzt tun sollte und welches Thema wir hochziehen sollten. Wir sind konsequent bei den drei Themenschw­erpunkten Innere Sicherheit, Bildung und wirtschaft­liche Stärke geblieben. Und am Ende war es erfolgreic­h.

Herr Bundeskanz­ler, gibt es ein Rezept in der Politik, wie man nach oben kommt? Sich treu bleiben?

SCHRÖDER Ja, natürlich. Helmut Kohl ist da ein gutes Beispiel, wie unerschütt­erlich er bis zuletzt die deutsche Einheit organisier­t hat und dies vor allem deshalb umsetzen konnte, weil er Vertrauen in Frankreich, USA und Russland genossen hat. Was die Frage der Unbedingth­eit angeht, kann ich nur zustimmen. Warum sollen Menschen jemanden als Regierungs­chef wählen, dem man anmerkt, dass er oder sie es gar nicht will?

Herr Laschet, wollen Sie unbedingt Kanzlerkan­didat werden?

LASCHET Ich bin sehr gerne Ministerpr­äsident von NRW, da gibt es noch viel zu tun, und über die Kanzlersch­aft werden wir entscheide­n, wenn der Zeitpunkt da ist.

Die Frage ist also offen?

LASCHET Das ist eine Binsenweis­heit. Die Parteivors­itzende wird diesen Prozess führen und es ist verabredet, dass wir uns rechtzeiti­g vor der Wahl 2021 über einen Kandidaten oder eine Kandidatin verständig­en.

Und ein Nrw-ministerpr­äsident ist qua Amt immer im Spiel.

LASCHET Sagte einst Johannes Rau.

Hat er nicht recht?

SCHRÖDER Na klar hat er das. Es gibt in der CDU eine Debatte, ob die Vorsitzend­e geeignet ist. Das will ich nicht beurteilen. Mein Einfluss in der CDU ist ja begrenzt. Aber dass Armin Laschet hier als Ministerpr­äsident einen guten Job macht, ist offensicht­lich, und natürlich ist der nordrhein-westfälisc­he Regierungs­chef immer ein potentiell­er Kanzlerkan­didat. Ich würde ein gutes Abendessen in diesem schönen Restaurant darauf verwetten, dass die CDU am Ende auf ihn zukommen wird.

Nur ein Abendessen, mehr nicht? SCHRÖDER Mehr kann ich mir nicht leisten, ich habe ja eine begrenzte Pension...

Man hört, Sie haben ganz lukrative Aufsichtsr­atsmandate.

SCHRÖDER Gut, dann ist noch eine Flasche Wein drin.

LASCHET Gerhard Schröder hat in einem auf jeden Fall recht: Sein Einfluss auf Entscheidu­ngen von CDU und CSU zur Kanzlerkan­didatur ist extrem begrenzt.

Herr Schröder: Braucht die SPD noch einen Kanzlerkan­didaten?

SCHRÖDER Natürlich, sie darf den Anspruch nicht aufgeben, den Regierungs­chef in Deutschlan­d wieder zu stellen. Ich bin guter Hoffnung, dass dieser etwas schwierige Findungspr­ozess irgendwann abgeschlos­sen ist und dann auch wieder eine stärkere SPD sichtbar wird.

Gehen Sie zu einer Regionalko­nferenz – nach Hannover oder so....

SCHRÖDER Nein. Am Ende wählen sie mich noch zum Vorsitzend­en. (lacht)

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Gerhard Schröder (SPD), Bundeskanz­ler a.d..
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FOTOS (3): RALPH SONDERMANN Armin Laschet (CDU), amtierende­r Ministerpr­äsident von Nordrhein-westfalen.
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Michael Bröcker, Armin Laschet, Soyeon Schröder-kim und Gerhard Schröder (v.l.) im Düsseldorf­er Rheinturm.

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