Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Es ist ein Irrweg, grüner werden zu wollen als die Grünen“
Altkanzler trifft Ministerpräsident: Im Düsseldorfer Rheinturm sprechen Gerhard Schröder und Armin Laschet über Karrieren, Krisen und das Kanzleramt.
Herr Bundeskanzler, Sie sind in Mossenberg-wöhren geboren, Kreis Lippe. Wie viel NRW steckt in Ihnen? SCHRÖDER Ich bin hier im Land geboren und aufgewachsen. Ich habe im Kreis Lippe meine Lehre als Porzellan-, Glasund Haushaltswaren-einzelhändler gemacht und beim TUS Talle Fußball gespielt. Nicht so schlecht, aber auch nicht so gut, dass ich Profi hätte werden können. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Bundeskanzler zu werden. (lacht)
Die Lipper sind ein bisschen später zu NRW dazugekommen. Sie werden zerrieben zwischen den Westfalen und den Rheinländern. Mussten Sie deshalb in Niedersachsen Karriere machen? SCHRÖDER Nein, das war nicht der Grund. Ich bin nach Göttingen gegangen, um in einem Eisenwaren-handel zu arbeiten und abends, so ab halb sieben, noch zweieinhalb Stunden für die Mittlere Reife zu lernen. Ich bin dann wieder zurück nach NRW, weil mein Stiefvater starb und ich etwas näher bei meiner Mutter sein wollte. Ich habe in Weidenau und Bielefeld über den zweiten Bildungsweg Abitur gemacht. In diesen Jahren habe ich von einem Stipendium gelebt, das ich als Halbwaise vom Versorgungsamt bekommen habe. Ich konnte davon ganz gut leben. In den Semesterferien habe ich als Handlanger auf dem Bau gearbeitet, wenn Sie noch wissen, was das ist. Ich habe den Vogel getragen. Das war das Gerät, in dem der Mörtel drin ist, den man in die Tonne beim Maurer kippen musste. Eine interessante Erfahrung. Nach Niedersachsen hat mich später mein Studium und meine Arbeit als Rechtsanwalt in Hannover geführt.
Herr Ministerpräsident, war Ihr erster Job auch so hart?
LASCHET Nein, nicht körperlich. Ich war der Erste in der Familie, der nach der Schule studieren konnte. Das war in unserer Familie etwas Besonderes und der Weg entsprechend auch mal steinig. Mein Vater war ein so genanntes Mikätzchen, der vom Steiger aus dem Bergbau als Quereinsteiger in den Lehrberuf wechseln konnte.
SCHRÖDER Das ist bekannt, das war nach dem Minister Mikat benannt, oder?
LASCHET Ja, er war Cdu-kultusminister unter Ministerpräsident Franz Meyers. Mein Vater hat nachts unter Tage gearbeitet und sich tagsüber an der Pädagogischen Hochschule zum Lehrer ausbilden lassen. Wir waren vier Kinder und die ZVS hat mich an die Universität in München eingeteilt, was schön war, aber auch teuer. Ich habe für 150 Mark pro Monat in einem Kloster gewohnt. Nebenbei habe ich kleine journalistische Beiträge geschrieben.
Zwei ungewöhnliche Aufsteigerkarrieren. Wäre das heute noch möglich? SCHRÖDER Im Prinzip ja. Aber man muss wohl eingestehen, dass es heute schwieriger geworden ist. Unsere Gesellschaft hat sich ja etwa von der englischen oder französischen dadurch unterschieden, dass für uns damals Durchlässigkeit herrschte. Mein Eindruck ist, dass heute wieder mehr die Herkunft oder die berufliche Sozialisierung der Eltern darüber entscheidet, was man wird. LASCHET Im europäischen Vergleich sind wir in Deutschland noch gut. In Frankreich ist das wirklich so, dass die Eliteschulen die politischen Eliten prägen. Auch die Politik in Großbritannien rekrutiert sich so. Die Karrieren von Boris Johnson und David Cameron haben in einem bestimmten Club in Oxford begonnen. Das ist bei uns nicht so. Die große Nachkriegs-erzählung war, dass Aufstieg für jeden möglich ist. Und dass es den Kindern besser gehen soll als den Eltern. Ich habe vor zehn Jahren im Zusammenhang mit der Integration diesen Gedanken einer „Aufsteigerrepublik“in einem Buch beschrieben. Das ist heute mehr denn je unser Auftrag. Das betrifft Zuwandererfamilien, aber auch viele deutsche Familien.
Warum bestimmt die soziale Herkunft so sehr den Weg? Haben Ihre Parteien versagt?
LASCHET Es gibt viele Erfolgsgeschichten bei Zuwanderern. Nicht nur in der Politik. Auch in der Wirtschaft. Aber der Weg ist oft härter. Man nennt das Resilienz. Wer als Kind von Einwanderern es schafft, muss oft mehr leisten als jemand, der einen inländischen Hintergrund hat. Wir brauchen aber in einem Land mit Fachkräftemangel vor allem Menschen mit einem Abschluss. SCHRÖDER Angesichts des Arbeitskräftemangels und der Alterspyramide brauchen wir Zuwanderung. Wenn die Integration gelingt, ist das für die Gesellschaft also ein Vorteil. Aber dafür müssen die Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist der Grund, warum die Kanzlerin während der Flüchtlingskrise 2015 nicht hätte sagen sollen „Wir schaffen das“, sondern „Wir können das schaffen“. Denn die Herausforderung der Integration ist vor allem eine der Kommunen und Bundesländer, die finanziell so ausgestattet werden müssen, dass sie etwa für Wohnungen und eine ausreichende Zahl von Lehrern und Sozialarbeitern auch wirklich sorgen können. Vom Bund kommt da zu wenig.
Seit 2015 sind Millionen Menschen gekommen, wir haben zugleich teilweise Probleme mit Zuwanderern in dritter Generation. Können wir alle integrieren und mehr Wohlstand schaffen? SCHRÖDER Wir können das und wir müssen es schaffen. Die Geschichte der Gastarbeiter lehrt uns, dass viele der Migranten bleiben wollen und bleiben werden. Aber es wird schwer, viele Flüchtlinge müssen erst alphabetisiert werden. Es sind ja nicht nur Zahnärzte und Ingenieure gekommen.
Damals hat der Daimler-chef von einem möglichen Wirtschaftswunder durch die Flüchtlinge gesprochen. LASCHET Was am 4. September vor vier Jahren entschieden wurde, hatte nichts mit qualifizierter Zuwanderung zu tun, sondern es ging um die Grundfrage, ob wir, notfalls mit Gewalt, eine Grenze schließen, wenn Hunderttausende auf dem Wege sind. Die Grenzen waren ja seit 30 Jahren offen. Die Frage war: Können wir am Grenzübergang Freilassing in Bayern das europäische Flüchtlingsproblem lösen? Nein, das konnten wir nicht! Aber wir wollten von Anfang an die Zuwanderung steuern und die hohe Zahl ungesteuerter Zuwanderung wieder senken, um zu einer geordneten Zuwanderung zu kommen. Wir brauchen einerseits die Qualifizierten, um die wir werben müssen, und andererseits ein Asylrecht nur für die, die wirklich schutzbedürftig sind.
Das gelingt bis heute nicht.
LASCHET In diesem Prozess sind wir immer noch und es wurde bis heute schon viel geleistet, vor allem in unseren Städten und Gemeinden. Bei den Rückführungen derer, die nicht asylberechtigt sind, liegt Nordrhein-westfalen an der Spitze der deutschen Länder.
Was hat zum Erstarken der AFD in den vergangenen Jahren geführt?
SCHRÖDER Dort, wo etwa im Osten Deutschlands der Anteil von Asylbewerbern denkbar gering ist, ist der Widerstand am größten, und die AFD nutzt das Thema erfolgreich, um Vorurteile zu mobilisieren. Ich bin oft gefragt worden, was ich als Kanzler damals anders gemacht hätte. Als sich die Flüchtlinge an der österreichisch-ungarischen Grenze stauten, hat Frau Merkel auf Bitten des österreichischen Kanzlers völlig richtig entschieden. Sie hatte Herz, aber keinen Plan. Das Problem war, dass wir danach nicht schnell genug zu einem geordneten Dublin-verfahren zurückgekommen sind, wonach Asylbewerber in dem Land zu registrieren sind, in dem sie die Europäische Union betreten. Wir wussten nicht, wer genau nach Deutschland kommt. Da sind Fehler gemacht worden. Und man hätte viel früher den Aufbau eines europäischen Grenzschutzsystems vorantreiben sollen.
LASCHET Bei Letzterem haben Sie recht. Und wir haben die Probleme in den Herkunftsländern unterschätzt. Auch Deutschland hat in den Jahren vor 2015 die Mittel für Flüchtlingshilfe vor Ort gekürzt, während der Bürgerkrieg in Aleppo eskalierte. Und der europäische Außengrenzschutz hätte mit Schengen erfolgen müssen. Ich bin ein leidenschaftlicher Anhänger von offenen Grenzen in Europa. Aber der zweite Teil, die Außengrenze schützen, das haben wir versäumt und damit die Griechen, die Italiener und die Spanier mit dieser Herausforderung alleine gelassen. Dublin-verfahren heißt: Der Betreffende kommt hier rein, stellt seinen Antrag und dann entscheidet die Verwaltung. Du warst schon in Italien sicher, also musst du nach Italien zurück. Das muss innerhalb von sechs Monaten erfolgen.
Das passiert ja nicht.
LASCHET Es passiert jetzt zunehmend.
Teilen Sie die Analyse, dass das Wiedererstarken der eigentlich tot geglaubten AFD an dieser Frage liegt?
LASCHET Naja, die AFD ist entstanden als Partei gegen die Eurorettung – ein ganz anderes Thema. Ich bin froh, dass wir an der Europäischen Währungsunion festgehalten haben und auch Griechenland im Euro gehalten haben. Es war vielleicht ein Fehler, dass man Griechenland schon zu Beginn des Euro damals hineingenommen hat. Das war in Ihrer Regierungszeit, Herr Bundeskanzler.
SCHRÖDER Aber alle Institutionen von der Eu-kommission bis zur Bundesbank haben das damals befürwortet, da konnten wir als Bundesregierung nicht nein sagen.
LASCHET Jedenfalls ist die AFD bei der Bundestagswahl 2013 nach der Eurorettung unter der 5-Prozent-marke geblieben. Und dann haben sie durch 2015 einen neuen Schub bekommen, das ist so. Man muss aber sehen, dass die damalige Opposition aus Grünen und Linken in der Flüchtlingsfrage noch weitergehen wollte. Eine kritische Debatte im Bundestag zwischen Regierung und Opposition fand nicht statt. Diese Lücke hat die AFD genutzt. Inzwischen ist das Thema Flüchtlinge nicht mehr das dominierende Thema bei den Menschen.
Herr Schröder, wenn jeder Vierte in Sachsen die AFD wählt, besorgt Sie das, oder ist das ein Sonderphänomen Ost? SCHRÖDER Es ist ein Sonderphänomen, keine Frage. Wir sollten besorgt sein, aber auch nichts dramatisieren. Denn rund 75 Prozent der Wähler in Brandenburg und in Sachsen haben nicht die AFD gewählt. Was wir erleben, ist eine Europäisierung des deutschen Parteiensystems. Früher gab es klare RechtsLinks-fronten. Und Politiker wie Franz Josef Strauß haben die demokratische Rechte gut abgedeckt. Aber unsere Gesellschaft differenziert sich aus. Und es ist für eine Volkspartei schwierig, dieser Ausdifferenzierung mit einem einzigen Programm politisch zu begegnen.
Die meisten Kandidaten für den Vorsitz Ihrer Partei versuchen gerade, die Linke noch links zu überholen.
SCHRÖDER Ich mische mich da nicht ein. Nur soviel: Die SPD kann als Volkspartei nur erfolgreich sein und regierungsfähig bleiben, wenn sie die politische Mitte für sich gewinnt. Das ist 1998 und 2002 gelungen, 2005 mit immerhin 34,2 Prozent fast auch.
Herr Laschet, stimmt die Strauß-linie noch, die extreme Rechte auszugrenzen, aber im Mitte-rechts-lager zu werben? LASCHET Ich will jedenfalls das Ziel für die CDU nicht aufgeben, Volkspartei zu sein.
Also Mitte links bis Mitte rechts? LASCHET Ja. Es hat der Demokratie der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte gut getan, dass der Ausgleich in den großen Parteien stattfindet, etwa zwischen Wirtschaftsvereinigung und Sozialausschüssen. Bundeskanzler Schröder hat mit der Agenda 2010 das Land modernisiert und die Union mit Helmut Kohl die europäische Einigung vorangebracht. Eine Zersplitterung einer Partei in sich bekämpfende Flügel tut der parlamentarischen Demokratie nicht gut.
Die CDU ist spürbar nach links gerückt, die SPD sucht nach jeder Wahlniederlage ihr Heil in noch linkeren Positionen. SCHRÖDER Es ist ein Irrweg, grüner werden zu wollen als die Grünen und linker als die Linken. Dann wird die SPD überflüssig. Beispiel Klimaschutz: Man muss klar Position beziehen, aber zugleich deutlich machen, dass die Ziele nur über die Zeitschiene durchgesetzt werden können, damit es keine sozialen Verwerfungen in der Gesellschaft gibt. Der vernünftige Kohlekompromiss ist ein gutes Beispiel. Es bringt nichts, immer weiter im Hambacher Forst zu demonstrieren. Das ist Symbolik. Nur ein Konsens zwischen den großen Parteien kann etwas bewegen. LASCHET In der Tat ist diese Vermittlung zwischen sehr pointierten Positionen für die Volksparteien wichtig. Das ist in den letzten Jahrzehnten gelungen in der sozialen Frage durch die soziale Marktwirtschaft und die Mitbestimmung, eine große Tradition hier in Nordrhein-westfalen. Ein solches Modell gibt es nirgendwo auf der Welt. Bei der Umweltfrage müssen wir diesen nationalen Konsens erst noch hinbekommen. Die Umweltbewegung und die jungen Leute auf den Straßen wollen am liebsten so schnell wie möglich aus der Kohle raus.
Markus Söder auch.
LASCHET Er sagt 2030 – aber auf der Straße wollen viele ja sogar noch früher raus. Und im Osten gewinnt eine Partei ganze Regionen mit dem Argument, es gäbe gar keinen Klimawandel. Schon die Existenz des Problems wird unterschiedlich beantwortet.
SCHRÖDER Das ist nicht nur im deutschen Osten so, das soll es auch in Amerika geben.
LASCHET Wir wollen die Klimaziele aus Paris erreichen. Aber wir haben auch die Sorgen der Menschen um Industriearbeitsplätze und bezahlbaren Strom im Blick.
Diese Politik, für die Sie stehen, scheint nicht mehrheitsfähig. Die Groko verliert, die Ränder erstarken.
LASCHET Das sehe ich anders. Die meisten Menschen denken so. Sie wollen Industriejobs behalten und trotzdem die Klimaschutzziele erreichen. Die Unzufriedenheit mit der großen Koalition speist sich aus vielen Gründen und hat sich festgesetzt. Viele wollen etwas Neues. Und die Jamaika-koalition wäre so etwas gewesen. Die Grünen wären halb so stark wie heute, weil sie in der Regierungsverantwortung auch Kompromisse hätten eingehen müssen.
Klein machen durch Umarmungstaktik? LASCHET In Verantwortung zu sein ist schwerer, als Talkshows mit smarten Wohlfühlworten zu bespielen.
Herr Schröder, war diese große Koalition eine zu viel für die SPD?
SCHRÖDER Nach der Wahl 2017 sind die Verhandlungen über eine Jamaika-koalition merkwürdigerweise an der FDP gescheitert, die immer Regierungspartei sein wollte und ja im Grunde damit auch ihre Existenzberechtigung aufrechterhalten hat. Bundespräsident Steinmeier hatte damals keine andere Möglichkeit, als der SPD ins Gewissen zu reden. Der Eintritt in diese große Koalition war ein Akt staatspolitischer Verantwortung. Ob es dann innerhalb dieser Koalition so viele Reibungsverluste geben muss, ist eine andere Frage. Von der Regierung wird ja erwartet, dass sie funktioniert. Die Ergebnisse sind nicht so schlecht, aber der öffentliche Umgang miteinander hat viele abgeschreckt. Die öffentliche Wahrnehmung ist ebenfalls dürftig, das liegt natürlich auch an den Medien.
Natürlich.
LASCHET Unbedingt – Achtung, Ironie!
Wenn es diese polarisierte Gesellschaft bei Fragen wie Klima und Migration gibt, die von großen Parteien gelöst werden könnten, bleibt als Erklärung ein Führungsproblem in Union und SPD. In der einen Partei schwächelt die Vorsitzende, die andere hat keine Führung.
LASCHET Das ist Ihre Formulierung.
SCHRÖDER Das muss er ja jetzt bestreiten.
LASCHET Es schwächelt niemand.
Warum gucken Sie so abwesend aus dem Fenster?
LASCHET Ich habe die Staatskanzlei da unten gesehen. Da funktioniert es. (lacht) Im Ernst: Ich glaube, dass ein umfassendes Klimaschutzpaket die Handlungsfähigkeit der Koalition wieder demonstrieren kann. Diese Koalition kann auf eine Kernfrage, die das Land diskutiert, eine überzeugende Antwort geben. Und dieses Ergebnis dann auch zusammen vertreten und nicht gleich griesgrämig alles wieder kleinreden.
Die SPD will die Co2-steuer. LASCHET Das Ziel muss doch sein, CO2 zu reduzieren. Über das Mittel muss man diskutieren können. Was soll die Co2-steuer sein? Wenn wir die Mineralölsteuer erhöhen, zahlt der Reiche einfach mehr und der Pendler mit kleinerem Einkommen ist der Gekniffene. Wenn wir dann die Pendlerpauschale erhöhen, hat die Maßnahme keine Steuerungswirkung mehr. Am Ende gibt es nur mehr Geld beim Staat. Aus meiner Sicht kann nur ein Zertifikatesystem, bei dem ein Co2-wert festgesetzt wird, der durch eine Bepreisung marktwirtschaftlich Maßnahmen zur CO- Reduktion anstößt, echte Wirkungen erzielen.
Herr Schröder, wäre damals nicht eine ökologische Steuerreform mit echter Lenkungswirkung besser gewesen, als die Rentenkasse aufzufüllen?
SCHRÖDER Die Stabilisierung der Rentenkasse war wichtig. Aber die Reform hat auch eine ökologische Lenkungswirkung erzielt, nur nicht ausreichend. Eine große, nachhaltige Steuerreform wäre heute sicher richtig. Eine Co2-steuer einfach zusätzlich einzuführen, würde aber gerade diejenigen mit kleinen und mittleren Einkommen überfordern, die oft auf ihr Auto angewiesen sind. Das kann eine Gesellschaft zerreißen.
Umfragen zufolge scheinen die Grünen längst Koch und die SPD Kellner, oder? SCHRÖDER Sie spielen auf eine Bemerkung an, die ich 1998 im Wahlkampf gemacht habe, um Teilen der Bevölkerung die Ängste vor einer rot-grünen Regierung zu nehmen. Manche verbanden Rot-grün mit dem Ende der sozialen Marktwirtschaft. Inzwischen sind alle der Meinung, man kann mit den Grünen regieren. Vor allem die CDU will das ja. Insofern haben sich die Grünen in die Küche vorgearbeitet.
Lösen die Grünen die SPD als linke Volkspartei ab?
SCHRÖDER Das glaube ich nicht, das wäre auch nicht vernünftig für die Stabilität dieser Republik. Wenn die Grünen erst mal regieren, entzaubern sie sich. Das war schon immer so. Sie müssen ja dann auch liefern.
Herr Laschet, haben Sie Ihren Aufstieg Bundeskanzler Schröder zu verdanken? LASCHET Nein, wieso?
Weil die Kritik an seiner Agenda 2010 dazu führte, dass die CDU die Landtagswahl 2005 in NRW gewann und Sie Minister werden konnten.
LASCHET Es gab damals ein Wechselgefühl im Land nach 39 Jahren Spd-regierung. Dies ist verstärkt worden durch einen bundespolitischen Trend. Insofern haben Sie, Herr Bundeskanzler, ein bisschen daran mitgewirkt.
SCHRÖDER Unfreiwillig.
Herr Bundeskanzler, Sie haben nach der verlorenen Wahl den Bundestag aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen initiiert. Kann man in Deutschland nur mit NRW Kanzler werden oder bleiben? SCHRÖDER Das ist etwas übertrieben. Aber das größte Bundesland hat auch in der Bundespolitik immer eine bestimmte Bedeutung. Ich glaube nicht, dass die Agenda 2010 die Hauptursache für die Niederlage war, sondern die Tatsache, dass sich Teile der SPD von ihrer eigenen Regierungspolitik distanzieren. Wer sich selbst nicht vertraut, dem vertraut man nicht. Wenn wir zusammen mit den Gewerkschaften gestanden hätten, dann hätten wir auch die Früchte der Reformen einfahren können. Und die positiven Konsequenzen werden ja heute nicht bestritten. Man muss aber zu dem stehen, was man macht. Die SPD wäre heute in einer ganz anderen Position.
Haben Sie die Entscheidung 2005 bereut? SCHRÖDER Nein, überhaupt nicht. Man muss sich fragen, was ist politische Führung? Das heißt, man kämpft darum, sein Programm in der Regierung umzusetzen. Politische Führung bedeutet aber auch, in einer Frage von nationaler Bedeutung, wie es der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit 2003 war, gegen Teile der eigenen Partei oder der Bevölkerung Überzeugungen durchzusetzen. Und damit notfalls das Risiko einzugehen, Wahlen zu verlieren.
Wir erleben in der SPD viele Absagen von Ministern und Ministerpräsidenten, die nicht als Vorsitzende antreten wollen. Sie haben am Zaun des Kanzleramts gerüttelt. Fassen Sie sich da nicht an den Kopf?
SCHRÖDER Ich will zu den Kandidaten nichts sagen. Ich habe ja selbst als Kanzler darunter gelitten, dass die Altvorderen mir öffentliche Ratschläge gegeben haben. Aber generell kann ich sagen: Diese langwierige Form von Führungsfindung liegt mir nicht.
Der Zwang zur Doppelspitze ist nicht Ihre Welt, oder?
SCHRÖDER Ich glaube, da wird der Versuch gemacht, etwas zu kopieren, was andere Parteien schon nicht immer als Erfolg erlebt haben. Man muss sich auf seine eigenen Stärken besinnen. Wie sehr muss man ein Amt wollen, um es zu bekommen, Herr Laschet? LASCHET Gute Frage. Ich glaube, wenn man in einen Wahlkampf geht oder wie hier in NRW aus der Opposition heraus in die Regierung will, muss man das unbedingt wollen. Dann muss man eine Idee entwickeln, sich treu bleiben und bis zuletzt kämpfen. Auch wenn es zwischenzeitlich schwierig wird. Die Menschen honorieren Politiker, die es ernst meinen und überzeugt sind.
Sie haben innerparteiliche Niederlagen überstanden. Sind sie nun abgehärteter? LASCHET Diese Erfahrungen stärken. Wer als Politiker keine Niederlagen erlebt, verglüht auch schnell. Im März 2017 lag die SPD bei 40 Prozent und wir bei 26. Und dann gab es viele Ratschläge, was ich jetzt tun sollte und welches Thema wir hochziehen sollten. Wir sind konsequent bei den drei Themenschwerpunkten Innere Sicherheit, Bildung und wirtschaftliche Stärke geblieben. Und am Ende war es erfolgreich.
Herr Bundeskanzler, gibt es ein Rezept in der Politik, wie man nach oben kommt? Sich treu bleiben?
SCHRÖDER Ja, natürlich. Helmut Kohl ist da ein gutes Beispiel, wie unerschütterlich er bis zuletzt die deutsche Einheit organisiert hat und dies vor allem deshalb umsetzen konnte, weil er Vertrauen in Frankreich, USA und Russland genossen hat. Was die Frage der Unbedingtheit angeht, kann ich nur zustimmen. Warum sollen Menschen jemanden als Regierungschef wählen, dem man anmerkt, dass er oder sie es gar nicht will?
Herr Laschet, wollen Sie unbedingt Kanzlerkandidat werden?
LASCHET Ich bin sehr gerne Ministerpräsident von NRW, da gibt es noch viel zu tun, und über die Kanzlerschaft werden wir entscheiden, wenn der Zeitpunkt da ist.
Die Frage ist also offen?
LASCHET Das ist eine Binsenweisheit. Die Parteivorsitzende wird diesen Prozess führen und es ist verabredet, dass wir uns rechtzeitig vor der Wahl 2021 über einen Kandidaten oder eine Kandidatin verständigen.
Und ein Nrw-ministerpräsident ist qua Amt immer im Spiel.
LASCHET Sagte einst Johannes Rau.
Hat er nicht recht?
SCHRÖDER Na klar hat er das. Es gibt in der CDU eine Debatte, ob die Vorsitzende geeignet ist. Das will ich nicht beurteilen. Mein Einfluss in der CDU ist ja begrenzt. Aber dass Armin Laschet hier als Ministerpräsident einen guten Job macht, ist offensichtlich, und natürlich ist der nordrhein-westfälische Regierungschef immer ein potentieller Kanzlerkandidat. Ich würde ein gutes Abendessen in diesem schönen Restaurant darauf verwetten, dass die CDU am Ende auf ihn zukommen wird.
Nur ein Abendessen, mehr nicht? SCHRÖDER Mehr kann ich mir nicht leisten, ich habe ja eine begrenzte Pension...
Man hört, Sie haben ganz lukrative Aufsichtsratsmandate.
SCHRÖDER Gut, dann ist noch eine Flasche Wein drin.
LASCHET Gerhard Schröder hat in einem auf jeden Fall recht: Sein Einfluss auf Entscheidungen von CDU und CSU zur Kanzlerkandidatur ist extrem begrenzt.
Herr Schröder: Braucht die SPD noch einen Kanzlerkandidaten?
SCHRÖDER Natürlich, sie darf den Anspruch nicht aufgeben, den Regierungschef in Deutschland wieder zu stellen. Ich bin guter Hoffnung, dass dieser etwas schwierige Findungsprozess irgendwann abgeschlossen ist und dann auch wieder eine stärkere SPD sichtbar wird.
Gehen Sie zu einer Regionalkonferenz – nach Hannover oder so....
SCHRÖDER Nein. Am Ende wählen sie mich noch zum Vorsitzenden. (lacht)