Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Drang, Gottes Wort zu verkünden
In der Rheinischen Landeskirche wollen immer mehr Laien Gottesdienste abhalten und sich zu sogenannten Prädikanten ausbilden lassen. Die Zahl der Bewerber übersteigt mittlerweile die Ausbildungskapazitäten.
MOERS Sein erstes Mal liegt erst wenige Monate zurück. Und natürlich habe der 53-Jährige Bammel davor gehabt. Vor seinem ersten Gottesdienst und dem Moment, als er aus der Rolle des Gottesdienstbesuchers heraustritt und vorne steht, um selbst zur Gemeinde zu sprechen. Etwa 25 Stunden hat Jörg Zimmer zuvor an seiner ersten Predigt gearbeitet und gefeilt. Verbunden mit der bangen Frage im Hinterkopf, ob er die richtigen Worte gefunden und das richtige Thema gewählt hat. „Man geht ja nicht einfach in einen Gottesdienst rein und nimmt einen x-beliebigen Bibeltext, der einem selbst gerade Freude macht“, sagt er.
Jörg Zimmer befindet sich in der Ausbildung zu einem sogenannten Prädikanten der evangelischen Kirche im Rheinland (EKIR). Dort gibt es zurzeit rund 860 Prädikanten – womöglich so viele wie nie zuvor. Wer dieses ehrenamtliche Amt ausführt, darf Gottesdienste halten und die sogenannten Kasualien (unter anderem Taufe, Hochzeiten, Beerdigung und Abendmahl) durchführen. Bei allem, was die Verkündigung angeht, ist der Prädikant dem Pfarrer gleichgestellt. Das sei eine Besonderheit der Rheinischen Landeskirche, sagt Zimmer.
„Die Nachfrage zur Ausübung dieses Amtes ist enorm. Sie ist derzeit sogar so groß, dass wir längst nicht allen Bitten nachkommen können, weil uns dafür die Ausbildungskapazitäten fehlen“, sagt Jens Peter Iven, Ekir-sprecher. Diese sollen aber schnellstmöglich ausgebaut werden. Denn für die Kirche sind die Prädikanten angesichts des zunehmenden Pfarrermangels sehr wichtig. „Wir brauchen sie. Wir haben nur noch rund 1800 Pfarrer“, sagt Iven. Neben den ehrenamtlichen gibt es auch noch 150 Prädikanten, die bei der EKIR fest beschäftigt sind – etwa als Gemeindepädagogen.
Jörg Zimmer, der hauptberuflich Sprecher der Stadtsparkasse am Niederrhein ist, musste sich gedulden, bis er mit seiner Ausbildung Anfang des Jahres beginnen durfte. Bereits im August 2016 hatte das Presbyterium der evangelischenkirchengemeinde in Moers ihm eine Empfehlung für diese Aufgabe ausgesprochen, der auch der Superintendant gefolgt ist. Die Zeit bis zum Beginn seiner Ausbildung bezeichnet Zimmer selbst als Ruhephase, in der er sich eingelesen habe ins Neue und Alte Testament. „Auch wenn man das schon kennt, ist es etwas ganz anderes sich als Prädikant mit den Schriften auseinanderzusetzen.“
Der evangelischen Landeskirche geht es bei den Prädikanten auch darum, dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen Gottes Wort verkünden, um so ganz unterschiedliche spirituelle Impulse setzen zu können. Auch ein ehemaliger Bayer-chef soll als Prädikant tätig sein. „Die Palette reicht vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Gabelstaplerfahrer“, sagt Iven. Die Tätigkeit des Prädikanten geht auf daswort Luthers zurück, wonach jeder, der im Glauben steht, letztendlich auch Pfarrer sein kann.
Zimmer selbst ist schon immer fest mit der Kirche verbunden gewesen. Eigentlich wollte er Theologie studieren und Pfarrer werden. Aus verschiedenen Gründen ist daraus nichts geworden. Stattdessen studierte ergermanistik und auf Lehramt. Der Kontakt zur Kirche ging aber nie verloren. „Ich verspürte immer den Drang der Verkündigung“, so Zimmer. Ihm selbst habe Jesus Christus von Jugend an Kraft gegeben. „Von der Kraft, die mir daraus erwachsen ist, möchte ich in meinem Amt etwas weitergeben.“
Um Prädikant werden zu können, muss man Gemeindemitglied sein und möglichst über eine umfassende Allgemeinbildung verfügen. Zunächst muss die Leitung einer Gemeinde (Presbyterium) dem Mitglied eine solche Befähigung aussprechen. Nach Angaben des evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region beginnt der zweijährige Vorbereitungsdienst, die sogenannte Zurüstung, mit einem einwöchigen Einführungskursus. In der Probezeit müssen mindestens zehn Gottesdienste unter Anleitung eines örtlichen theologischen Mentors gehaltenwerden. Die
Kandidaten müssen Kurse zu Themen wie Gottesdienst und liturgische Präsenz besuchen. Die Zurüstung wird mit dem Kolloquium abgeschlossen. Danach erfolgt die Ordination durch den Superintendenten des Kirchenkreises.
Soweit ist Jörg Zimmer noch nicht. Er hat amfreitag gerade seinen dritten Gottesdienst in einem Moerser Seniorenzentrum gehalten. In seiner Amtstracht, einem Talar, den er in Eisenach hat anfertigen lassen, hat er eine Predigt gehalten, die den Wünschen der Senioren entsprochen hat. „Hier habe ich gelernt, dass die dort lebenden Menschen im Gottesdienst gerne Texte beten und singen, die ihnen seit ihrer Jugend vertraut sind“, erklärt der 53-Jährige.