Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Vielleicht ist Schreibenmeine Zwangsstörung“
Das Düsseldorfer Schauspielhaus bringt Helene Hegemanns Roman „Bungalow“auf die Bühne. Jetzt war die Autorin dort zu Gast.
DÜSSELDORFHELENE Hegemann hat ein gutes Gefühl mit Düsseldorf, ohne dass sie das genau begründen könnte. Am Schauspielhaus wird Ende September ihr dritter Roman „Bungalow“seine Uraufführung erleben, das Theater verleibt sich ihren Stoff ein. Doch Hegemann ist keine Theatergängerin, hat den Regisseur Simon Solberg „nur auf eine Tasse Kaffee“getroffen und keine Proben besucht. An diesem Tag will sie kurz die Schauspieler kennenlernen, darum die Stippvisite am Rhein. „Wenn man einen Stoff aus der Hand gibt, am besten kompromisslos“, sagt sie. Sie habe keinerlei Vorstellungen, wie man ihren Roman auf die Bühne bringen könne. „Würde ich das selbst machen, würde das schon gar nicht meinen eigenen Ansprüchen genügen“, sagt sie, „dann lieber die Verantwortung komplett abgeben.“
„Bungalow“ist ein harter Stoff: Hegemann erzählt darin von einem 13-jährigen Mädchen, das bei seiner alleinerziehenden Mutter in einer Hochhaussiedlung aufwächst, wie man sie aus Berlin kennt. Die Mutter ist schizophren und alkoholsüchtig, die Ich-erzählerin lebt in der dauernden Gefahr, von der Mutter attackiert zu werden oder sie in Zuständen völliger Auflösung vorzufinden. Doch nicht nur die intimste Beziehung des jungen Mädchens ist absolut brüchig, auch in der Außenwelt geht es immer apokalyptischer zu. In der Siedlung kommt es massenhaft zu Selbstmorden. Es gibt Anzeichen für einen bevorstehendenkrieg. Die Geschichte ist aus der Rückschau erzählt. Die Hauptfigur hat die Apokalypse bereits erlebt und schreibt, um sich klar zu werden, warum die Dinge sich so entwickelt haben. In der Kritik wurde der Roman deswegen auch in die Reihe dystopischer Erzählungen einsortiert, die das Unbehagen der Gegenwart in eine dunkle Zukunft projizieren.
Das provoziert Widerspruch bei Hegemann. „Ich halte mein Buch für kein bisschen dystopisch“, sagt sie, „abgesehen von ein paar Taxidrohnen hat das nichts mit Science Fiction zu tun.“Hegemann fand es spannend, die Gegenwart zu beschreiben als erinnere sie sich daran. „Über die 1920er Jahre würden wir heute auch anders reden, wenn darauf kein Weltkrieg gefolgt wäre“, sagt sie. Eine solche inszenierte Rückschau habe sie erzählerisch gereizt.
Warum sie ihren Lesern Geschichten von höchster Beklemmungsstufe zumutet, darauf hat Hegemann keine Antwort. Sie verfolge kein Ziel, wolle niemanden warnen oder irgendetwas bezwecken mit ihrer Literatur. Hegemann bleibt höflich bei solchen Fragen, doch sieht man ihr den Überdruss an, wenn sie um Einlassungen zum eigenen Werk gebeten wird. „Ich schreibe nicht gern“, sagt sie. „Ich muss es nur immer wieder tun. Vielleicht ist es eine Zwangsstörung.“Sie schaut ernst dabei. Oft nennt sie ihr Schreiben auch Beruf, als wolle sie allen romantischen Vorstellungen durch Nüchternheit begegnen.
„Es gibt da so eine niederschmetternde Standardsituation“, erzählt sie, „wenn ich mich Schriftstellerin nenne, sagen die Leute oft: ,Das ist ja toll, ich wollte auch schon oft ein Buch schreiben, hab aber einfach nicht die Zeit dafür.’“Hegemann lacht. Die Leute haben keine Ahnung. „Schreiben bedeutet in den meisten Fällen Selbstgeißelung“, sagt sie.
Ihren Debütroman „Axolotl Roadkill“schrieb Hegemann mit 17. Er wurde von der Kritik gefeiert – bis auffiel, dass kurze Passagen darin von einem anderen Autoren stammen, und Hegemann das nicht kenntlich gemacht hatte. Plagiatsvorwurf. Literaturskandal. Demontage eines Fräuleinwunders.
Drei Jahre vergingen, bis Hegemann ihren nächsten Roman veröffentlichte. Dabei ist sie eine der wenigen Stimmen in der deutschen Literatur, die mit einem wahrhaftigen Ton von sozialer Benachteiligung erzählen können. Von Ausgrenzungserfahrungen und dem Widerstand, den das in einem Menschen weckt. Natürlich wird an dieser Stelle immer darauf hingewiesen, dass sie selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen ist. Es gibt diese Nähe zu ihrer Biografie. Doch hat Hegemann gerade mit „Bungalow“bewiesen, dass sie bei weitem nicht nur über sich schreibt, sondern die Gesellschaft insgesamt im Blick hat.
Nach der Aufregung um ihren Debütroman hat sie den am Ende lieber selbst verfilmt. „Ich wollte die Chance nutzen, die ich als Frau Anfang 20 hatte, weil ich die Filmrechte nicht verkauft hatte“, sagt sie. Außerdem misstraute sie den Regisseuren, die ihr Interesse am Stoff bekundet hatten. „Das hätte zu weiteren Missverständnissen geführt“, sagt sie.
Für Hegemann ist die Regiearbeit beim Film nicht vergleichbar mit der am Theater. „Literatur hat mehr mit Film gemein als mit Theater“, sagt sie. Auch einen Romane erzähle man in Schnitten, zoome ran, mache zeitliche Sprünge, während beim Theater die Möglichkeit des Schneidens nicht gegeben sei. „Da zählt eher die Struktur dessen, wie die Geschichte gerahmt ist.“Darum gebe es eigentlich niemanden, der in beiden Medien wirklich gut sei. Hegemann mag das Erzählen mit Auslassungen und Sprüngen, das Brüchige liegt ihr mehr.
Gerade schreibt sie an Kurzgeschichten und zwei Drehbüchern. Sie ist eine disziplinierte Arbeiterin, die gern am Morgen schreibt und Stille benötigt. „Obwohl ich lieber der Typ wäre, der in der S-bahn arbeitet.“Hegemann lacht.
Und dann sagt sie doch noch etwas dazu, warum sie die Wirklichkeit, in der sich viele behaglich in ihrem Wohlstand eingenistet haben, so apokalyptisch schildert. „Es gibt derzeit bei vielen vermeintlich liberalen, weltoffenen Menschen eine extrem arrogante Haltung, nur die eigene Sichtweise für richtig zu halten. Kapitalismus ist eine Stellvertreter-religion, ein Glaubenssystem. Dafür haben aber die wenigstens aufgeklärten Westler ein Bewusstsein.“
„Schreiben bedeutet in den meisten Fällen Selbstgeißelung“Helene Hegemann (27) Autorin