Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Brexit vor dem höchsten britischen Gericht
Der Supreme Court muss entscheiden, ob Premier Boris Johnson die Queen täuschte, um das Parlament zu suspendieren.
LONDON (witt) Jetzt muss das höchste Gericht des Königreichs entscheiden. Vor dem Supreme Court in London begann am Dienstag eine dreitägige Anhörung über den umstrittenen Schritt von Premierminister Boris Johnson, das Parlament in eine fünfwöchige Zwangspause zu schicken. Johnson hatte Ende August die Queen Elizabeth II. gebeten, eine sogenannte Prorogation zu verfügen. Mit ihr konnte das Parlament letzte Woche suspendiert werden. Es soll erst am 14. Oktober, zwei Wochen vor dem Halloween-brexit, mit der „Queen‘s Speech“, der Verlesung des legislativen Programms der Regierung, wieder eröffnet werden. Bis einschließlich Donnerstag werden in London brisante Fragen verhandelt werden. War die Kaltstellung des Parlaments rechtswidrig? Hat der Premierminister vielleicht sogar die Queen getäuscht?
Denn genau das hatte der Court of Session im schottischen Edinburgh am letzten Mittwoch befunden: Die Prorogation sei illegal, urteilte er, weil Premier Boris Johnson „von dem missbräuchlichen Zweck“geleitet gewesen sei, „das Parlament zu behindern“. Richter Lord Brodie sagte, dass der wesentliche Grund für die Zwangssuspendierung die Absicht gewesen sei, „zu verhindern, dass das Parlament Gesetze bezüglich des Brexit erlässt“. Zudem sollte sie „der Exekutive erlauben, eine Politik eines No-deal-brexit ohne weitere parlamentarische Einmischung zu verfolgen“. Das Gericht erklärte, dass die Begründung, die der Premierminister der Queen gegeben hatte und damit auch die darauf folgende Prorogation, „unrechtmäßig war und daher null und nichtig ist“. Allerdings legte die Regierung dagegen Berufung ein.
Die letztinstanzliche Entscheidung, die jetzt elf Richter und Richterinnen treffen müssen, wird sich auf zwei Aspekte konzentrieren. Ist eine Prorogation justiziabel? Anders gesagt: Darf ein Gericht der Politik dreinreden und Vorgaben machen? Der zweite Aspekt ist: War die Begründung, die Johnson für die Prorogation anführte, zutreffend? Der Premierminister hatte argumentiert, dass die Zwangspause notwendig sei, um ein neues Regierungsprogramm ausarbeiten zu können. Unsinn, antworteten seine Gegner, dazu bräuchte es keine fünfwöchige Suspendierung, die längste seit 40 Jahren. Vielmehr wolle er am Parlament vorbeiregieren, um seinen harten Brexit-kurs durchzudrücken.
Gleich zwei Ex-premierminister und konservative Parteifreunde widersprechen Johnson. David Cameron denkt zwar nicht, dass die Prorogation illegal ist, aber er bezeichnete sie als „eine schäbige Maßnahme, um die Debatte zu behindern“. Sein Vorgänger John Major wird sogar vor dem Supreme Court persönlich aussagen, warum er die Zwangspause für illegal hält.
Ein Urteil wird nicht vor Freitag erwartet und könnte vielleicht erst in der nächsten Woche erfolgen. Dann würde er Boris Johnsons Auftritt auf der Generalversammlung der UN in New York überschatten, wo er hinter den Kulissen seinen Plan für den Brexit mit Eu-ratspräsident Donald Tusk, der deutschen Kanzlerin und anderen europäischen Regierungschefs erörtern will.