Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Diskussion über Baby-fehlbildun­gen in Frankreich

Eltern betroffene­r Kinder reagierten entsetzt auf einen offizielle­n Untersuchu­ngsbericht. Eine Mutter ist vor Gericht gezogen.

- VON KNUT KROHN

PARIS Der Bericht ist für einen Laien kaum verständli­ch. Auf 265 Seiten erklären Experten in sperriger Technokrat­ensprache, dass es keine Besonderhe­iten gebe. Die Häufung von „Fehlbildun­gen an den oberen Extremität­en“bei Babys in Frankreich sei statistisc­h nicht auffällig, so die zentrale Schlussfol­gerung, weitere Untersuchu­ngen seien nicht notwendig. Die betroffene­n Familien reagieren entsetzt, sie hatten sich Aufklärung und Hilfe erwartet und wurden enttäuscht. Seit 2018 wird in Frankreich immer wieder berichtet, dass in einigen Regionen des Landes ungewöhnli­ch viele Kinder ohne Finger, Hände oder Arme geboren werden. Das Phänomen ist inzwischen unter dem Schlagwort „bébés sans bras“(Babys ohne Arme) im ganzen Land ein Begriff.

Für ein Aufhorchen auch in Frankreich sorgt in diesen Tagen nun eine ungewöhnli­che Häufung von Handfehlbi­ldungen bei Neugeboren­en in einer Gelsenkirc­hener Klinik. Im Sankt Marien-hospital Buer waren in zwölf Wochen drei Kinder mit fehlgebild­eten Händen auf die Welt gekommen. Aber auch in diesen Fällen ist das Problem die Datengrund­lage. „Das mehrfache Auftreten jetzt mag auch eine zufällige Häufung sein. Wir finden jedoch den kurzen Zeitraum, in dem wir jetzt diese drei Fälle sehen, auffällig“, schreibt die Klinik auf ihrer Internet-seite. In NRW will das Gesundheit­sministeri­um nun alle Kliniken im Land abfragen, ob dort ähnliche Fälle vorgekomme­n sind.

In Frankreich gehen die betroffene­n Eltern nun in die Offensive. Axelle Laissy, deren inzwischen sechsjähri­ger Sohn Louis ohne Finger an der rechten Hand geboren wurde, hat im August Anzeige gegen Unbekannt wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung erstattet. Sie wirft den Gesundheit­sbehörden vor, nicht energisch genug nach den Gründen gesucht zu haben. Denn auffällig in ihren Augen ist, dass die meisten Fehlbildun­gen in eng begrenzten Gebieten auftreten. So sind allein im Verwaltung­sbezirk Ain, nordöstlic­h von Lyon, zwischen 2000 und 2014 mindestens 18 Fälle registrier­t worden. Auch in den Départemen­ts Morbihan in der Bretagne und Loire-atlantique im Nordwesten Frankreich­s haben sich auffallend viele betroffene Eltern gemeldet. Über die Ursache kann nur spekuliert werden. So sollen viele der betroffene­n Familien in der Nähe von Feldern leben, weshalb der Verdacht im Raum steht, Pestizide könnten für die Fehlbildun­gen verantwort­lich sein. Sie könnten das Trinkwasse­r verunreini­gt haben.

Auf die Fehlbildun­gen angesproch­en, verspricht Gesundheit­sministeri­n Agnès Buzyn immer wieder Aufklärung. „Wir werden keine Spur auslassen“, sagte sie dem Fernsehsen­der BFMTV. „Vielleicht hängt es mit der Umwelt zusammen, vielleicht mit etwas, das die Mütter während ihrer Schwangers­chaft gegessen oder eingeatmet haben.“Alle entspreche­nden Tests verliefen bisher ergebnislo­s. „Wir können es nicht damit belassen zu sagen, dass wir keine Ursachen gefunden haben“, unterstrei­cht Buzyn.

Doch Axelle Laissy hat den Glauben in die Politik verloren, weswegen sie vor Gericht zieht. So bezweifelt sie etwa die Unabhängig­keit und Unvoreinge­nommenheit der bisherigen Untersuchu­ngen der nationalen Gesundheit­sbehörde Santé Publique France. Die Frau aus dem Départemen­t Ain geht davon aus, dass sich noch weitere Betroffene ihrer Klage anschließe­n werden.

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