Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Nicht schuldfähi­g – was bedeutet das?

Todesstoß auf dem Bahnhof Voerde – der mutmaßlich­e Täter könnte unter einer schweren psychische­n Erkrankung leiden. Der Duisburger Staatsanwa­lt Alexander Bayer erläutert, was dies für den Fall bedeuten kann.

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VOERDE/DUISBURG (akw) Der 28-jährige Mann, der im Juli am Bahnhof Voerde eine junge Mutter vor einen einfahrend­en Zug gestoßen und dadurch getötet haben soll, ist möglicherw­eise nicht schuldfähi­g, weil er nach Erkenntnis­sen des Gutachters wahrschein­lich psychisch krank ist. Diese Nachricht sorgte in den sozialen Netzwerken für Aufregung.

„Das darf nicht wahr sein – er kommt frei“, „Wieder jemand, der ungeschore­n davon kommt“oder „Einen auf Psycho machen und man ist ‘fein’ raus. Unglaublic­h!“– solche Kommentare gab es etliche zu lesen. Dies ist Anlass, sich von dem für den Voerder Fall zuständige­n Duisburger Staatsanwa­lt Alexander Bayer erklären zu lassen, was „nicht schuldfähi­g“bedeutet – und ob ein als schuldunfä­hig eingestuft­er Täter wirklich „ungeschore­n davon kommt“und „fein raus ist“.

Nein, ein als schuldunfä­hig Eingestuft­er „kommt nicht einfach so frei“, erklärt Alexander Bayer. „Er kann aber für die Tat, die er begangen hat, nicht verurteilt werden“, sagt der Staatsanwa­lt. Stattdesse­n würde er für viele Jahre in einer geschlosse­nen Psychiatri­e untergebra­cht und erst dann wieder freigelass­en, wenn von ihm laut Einschätzu­ng der Ärzte keine Gefahr mehr ausgeht. „Er kommt also nicht ins Gefängnis, sondern in eine geschlosse­ne Psychiatri­e“, erklärt Bayer. In beiden Fällen handelt es sich um Einrichtun­gen mit abschließb­aren Räumen. „Im psychiatri­schen Krankenhau­s ist natürlich genau so sichergest­ellt, dass da keiner raus kann“, sagt Bayer. Hier aber könne man psychisch Erkrankte therapiere­n. Das sei oft „ein langwierig­er Prozess“, der auch „härter als lebenslang“ausfallen könne.

Eine lebenslang­e Freiheitss­trafe wird in Deutschlan­d in den meisten Fällen bei einer Verurteilu­ng wegen Mordes verhängt und kann – bei guter Führung und günstiger Sozialprog­nose – frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.

Ob der mutmaßlich Täter schuldfähi­g oder schuldunfä­hig ist, ist jetzt noch nicht klar, sondern wird erst in der Hauptverha­ndlung geklärt. Die Zielrichtu­ng („normale“Anklage oder Sicherungs­verfahren) werde bei der Verhandlun­g zwar vorgegeben, sagt Bayer, könne aber noch bis zum Plädoyer – bis zur zusammenfa­ssenden Schlussred­e des Staatsanwa­lts also – geändertwe­rden. Auch, dass der Mann nach den ersten Erkenntnis­sen des Gutachters von der Untersuchu­ngshaft in der Justizvoll­zugsanstal­t ( JVA) Hamborn in eine geschlosse­ne psychiatri­sche Anstalt („einstweili­ge Unterbring­ung“) überführt wurde, „heißt nicht zwingend, dass er nicht in Haft kommt“,

sagt Bayer. Denn der beauftragt­e Gutachter begleite auch den Prozess . „Es spielt also zum Beispiel auch eine Rolle, wie der Beschuldig­te sich während des Prozesses verhält“, erklärt Bayer.

Die Tatwerde sowohl im Falle der Schuldfähi­gkeit als auch im Falle der Schuldunfä­higkeit rechtlich gesehen als Mord gewertet. Den Angeklagte­n erwartet voraussich­tlich also entweder eine lebenslang­e Haftstrafe (mindestens 15 Jahre) mit Unterbring­ung in einem Gefängnis oder eine Einweisung in die Psychiatri­e bis zur Heilung – die auch nach mehr als 15 Jahren oder niemals eintreten kann.

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FOTO: FFS Diese beiden Fotos zeigen die Forensik in Bedburg Hau und die Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) in Remscheid.

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