Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ist „Containern“wirklich Diebstahl?

Unter einem besonders schweren Fall des Diebstahls kann man sich einiges vorstellen – aber das Herausfisc­hen von aussortier­ten Lebensmitt­eln aus dem Müll? Ja, befand eine Staatsanwa­ltschaft in Bayern.

- VON ALEV DOGAN

DÜSSELDORF Das Amtsgerich­t Fürstenfel­dbruck in Bayern hatte im Januar 2019 zwei Studentinn­en des besonders schweren Diebstahls für schuldig gesprochen. Sie hatten Lebensmitt­el aus den Müllcontai­nern eines Supermarkt­es entwendet. Die beiden wollen nun Beschwerde vor dem Bundesverf­assungsger­icht einlegen – denn „Containern“dürfe nicht illegal sein.

„Die entwendete Ware war für die Eigentümer wertlos“Amtsgerich­t Fürstenfel­dbruck

„Containern“, so nennt man es, wenn Menschen im Müll nach aussortier­ten Lebensmitt­eln suchen, die man noch essen kann. Insbesonde­re Müllcontai­ner von Supermärkt­en und Großrestau­rants werden dafür aufgesucht. Das machten im Juni 2018 auch die beiden Studentinn­en, die nun in Karlsruhe Klage einreichen.

Polizisten erwischten die zwei Studentinn­en beim „containern“vor einem Supermarkt in Olching bei München. Der Supermarkt erstattete Strafanzei­ge, die Staatsanwa­ltschaft ermittelte wegen eines besonders schweren Fall des Diebstahls. Das Amtsgerich­t Fürstenfel­dbruck sprach die beiden schuldig und verwarnte sie mit je acht Stunden Sozialarbe­it bei der örtlichen Tafel. Die beantragte Geldstrafe von jeweils 1200 Euro mussten die beiden Mitte-20-jährigen nicht zahlen, das Gericht hielt ihnen zugute, „dass die entwendete Ware für den Eigentümer wertlos war“. Lassen sie sich aber noch einmal beim „Containern“erwischen, droht eine Geldbuße.

Im Nachgang wurde dieses Urteil vom Bayerische­n Obersten Landesgeri­cht ebenfalls bestätigt: „Der Umstand, dass die Lebensmitt­el zur Entsorgung in einen Abfallcont­ainer geworfen wurden, sagt darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgült­ig ist, nicht zwingend etwas aus“, hieß es in dem Beschluss. Der Container habe auf Firmengelä­nde gestanden und sei verschloss­en gewesen. Außerdem bezahle der Supermarkt eine Firma für die Entsorgung.

Jetzt, eineinhalb Jahre und zwei Gerichtsur­teile später, wollten die Studentinn­en Caro, 28, und Franzi, 26, ihre Klageschri­ft in Karlsruhe einreichen. Am Freitag um 12 Uhr wollten sie Beschwerde beim Bundesverf­assungsger­icht einreichen. Im Internet haben sie ihren Fall öffentlich gemacht und informiere­n in einem Blog über die neuesten Entwicklun­gen. Sie schreiben: „Nach reichliche­n Überlegung­en haben wir uns dazu entschiede­n, gemeinsam mit unseren Anwältinne­n und der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF) eine Verfassung­sklage einzureich­en, denn trotz unserer Verurteilu­ng bleibt weiterhin die Absurdität

bestehen, dass in Zeiten der Klimakrise der Schutz unserer Lebensgrun­dlagen hintangest­ellt wird.“Sie schreiben außerdem, dass das Problem der Lebensmitt­elverschwe­ndung bereits seit Jahren auch der Politik bekannt sei, der Handlungsb­edarf sei allgegenwä­rtig.

In Deutschlan­d landen nach Berechnung­en der Universitä­t Stuttgart jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Müll. Die Umweltorga­nisation WWF geht sogar von mehr als 18 Millionen Tonnen aus. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsena­tor Till Steffen (Grüne), das Containern zu legalisier­en, scheiterte im Juni auf der Justizmini­sterkonfer­enz in Lübeck am Widerstand der Cdu-länder. Auch Nordrhein-westfalens Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) lehnte die von Hamburg vorgeschla­gene Legalisier­ung ab.

Unterstütz­t werden die beiden Frauen von der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt hat, Grund- und Menschenre­chte vor Gericht einzuklage­n. (mit dpa)

 ?? FOTO: DPA ?? Weggeworfe­ne Lebensmitt­el in einer Mülltonne. Über die Eigentumsv­erhältniss­e des Mülls ist ein Rechtsstre­it entstanden, der bald die Richter in Karlsruhe beschäftig­en könnte.
FOTO: DPA Weggeworfe­ne Lebensmitt­el in einer Mülltonne. Über die Eigentumsv­erhältniss­e des Mülls ist ein Rechtsstre­it entstanden, der bald die Richter in Karlsruhe beschäftig­en könnte.

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