Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
HINTERGRUND & MEINUNG
Landauf, landab wird der Niedergang des Martinsbrauchtums befürchtet. Ist Halloween wirklich eine Gefahr?
Kommentar zur Woche: St. Martin oder Saures?
Wir freuen uns schon auf denmartinszug am Samstagabend, auf die geschmückten Häuser und die Kerzen in den Fenstern. St. Martin ist ein Fest des Lichtes, des Teilens, des Beisammenseins. Als Martinssammler haben wir in den vergangenen Tagen viele Nachbarn besucht – und manchmal gaben selbst die eine Spende, die keinen Nachwuchs mehr im Kleinkindalter haben. Das zeigt: Dieses Fest gehört für viele immer noch zu den schönsten Traditionen des Niederrheins. Wir hörten an den Türen aber auch das Wehklagen darüber, dass Halloween dem Martin zunehmend den Rang ablaufe, dass Kinder diesen Halloween-grusel viel „cooler“fänden als das ach so angestaubte Martinsbrauchtum. Darin klingt immer auch die Sorge mit, dass sich unser Land verändert, dass fremde Kulturen unsere Sitten und Gebräuche verschwinden lassen – dass also das, was wir als Heimat empfinden, uns fremd wird. Gibt es Anlass für diese Sorge? Das würde ja bedeuten, dass es das Martinsfest schon immer gab, dass Gesellschaft sich niemals wandelt. Wenn man sich dann aber die Geschichte des Martinsbrauchs anschaut, dann erkennt man: Auch dieses Fest unterlag Veränderungen. Und ja: Es gibt sogar Parallelen zwischenmartinsbrauch und Halloween.
Die Frage also ist, ob da wirklich zwei Anlässe miteinander konkurrieren oder ob nicht Halloween neben Martin existieren kann? Wo ist die Konkurrenz? Es gibt keine organisierten Halloween-züge, es bedarf keiner kommunalen Genehmigungen – und es bedarf keiner Ehrenamtler, die ein Halloween-brauchtum sichern. Dieses Fest hat also anarchische Züge. So schnell es populär wurde, so schnell kann es auch wieder vergessen werden. Ist es nur mein Gefühl oder sind in diesem Jahr schon weniger Häuser an Halloween geschmückt gewesen? Was die anarchischen Strukturen angeht, gibt es sogar Parallelen zu St. Martin. Dieses Fest war nämlich im Mittelalter ebenfalls kein geordneter Laternengang. Man trank an diesem Martinstag, tanzte ums Feuer, rannte mit Strohfackeln umher. Eskalation war Programm. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es schließlich sogar polizeiliche Verbote für solche Feiern. Erst das katholische Rheinland erweckte die Tradition im 20. Jahrhundert wieder zum Leben, dann in geordneter Form.
Wer will, dass wir auch in vielen Jahren noch am 11. November mit Laternenzügen an den Heiligen Martin erinnern, muss sich für dieses Fest einsetzen. Es lohnt sich: St. Martin vermittelt unseren Kindern auch Werte. Dass man gibt in der Not. Es hat Gründe, warum bisher noch kein Klimaaktivist auf die Energieverschwendung durch leuchtende Laternen an St. Martin aufmerksam gemacht hat. Halloween, dieser kommerziell aufgeladene Gruselkarneval, muss hingegen nach meinem Dafürhalten nicht erhalten bleiben.
Einem Kulturkampf gegen Halloween aber verweigere ich mich. Sollen doch die, die Halloween mögen, weiter Halloween feiern. In einer globalisierten Welt verändern sich auch Traditionen. Wir leben – gottlob – in einem freien Land. Jeder soll nach seiner Art glücklich werden, solange er die Belange anderer berücksichtigt. Man darf sich also bei uns als Skelett verkleiden und im Dunkeln frech Süßigkeiten einfordern. Man darf auch sagen, dass man Halloween in Mitteleuropa immer noch für ein sehr unpassendes Fest hält. Und man darf sogar die Tür verschlossen lassen, wenn Kinder schellen.