Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Auf Spurensuche in „Gottes Grafschaft“
Rabea Gruber hat ein Semester im britischen Leeds studiert. Der Brexit begleitete sie dabei auf Schritt und Tritt.
LEEDS „Pack vielleicht doch deinen Reisepass ein. Bevor es nachher beim Rückflug noch Probleme gibt.“Am Wochenende vor meinem Abflug machte sich meine Mutter also doch langsam Sorgen wegen des Brexits. Das war Ende Januar, rund zwei Monate vor der ursprünglichen Frist für den Eu-austritt Englands. Und wenn die Briten doch ohne Deal aus der EU ausscheiden würden – was wäre dann mit den Reiseregelungen?
Dass sich das Brexit-drama derart endlos hinziehen würde, konnte damals natürlich noch keiner ahnen. Mein Einwand, dass sich die Bestimmungen auch bei einem NoDeal wohl kaum so schnell ändern würden, verpuffte trotzdem ungehört zwischen den halb gepackten Taschen. Das Verlassen des Landes wäre im Zweifelsfall sicher nicht das Problem Und so stand ich ein paar Tage später mit Personalausweis und Reisepass am Düsseldorfer Flughafen. Sicher ist sicher.
In Leeds angekommen, war der Brexit erst mal kein großes Thema für mich. Mein Auslandssemester würde er nicht betreffen, denn die Erasmus+ - Verträge zwischen meiner Heimatuniversität in Dortmund und der Uni in Leeds gelten noch bis 2020. Ich musste mir also keine Sorgen machen, bei einem möglichen Austritt Ende März abreisen zu müssen, und konnte mich ganz auf mein Studium konzentrieren.
Shakespeare, Hardy und Brontë begleiteten mich durch die Seminare, und ich fühlte mich pudelwohl in den kleinen, roten Backsteingebäuden mit den knarzenden Holztreppen, in denen das Institut für Englische Literatur seine Räume hat. Überhaupt kam mir Yorkshire schrecklich idyllisch vor mit seinen Hügeln, Mooren und Schafen. Als mein Freund mich für ein Wochenende besuchte, nötigte ich ihn dazu, mit mir nach Haworth zu fahren, wo die Brontë-familie gelebt hat. Bei Wind und Matsch wanderten wir dort über die Anhöhen, denen Emily Brontë einst mit dem Roman „Sturmhöhe“ein Denkmal setzte. Der Himmel war eisblau und die Sonne lächelte sanft auf das Heidekraut hinunter. Dort verstand ich, warum Yorkshire von den Einheimischen stets als „God’s Own County“, also Gottes Grafschaft, bezeichnet wird.
Mitten drin in Gottes Grafschaft liegt Leeds, eine ehemalige Industriestadt. Wie vielen dieser Städte fiel ihr der Strukturwandel nicht immer leicht. Das kenne ich aus dem Pott, und vielleicht habe ich mich auch deswegen schnell heimisch in Leeds gefühlt. Dennoch waren die Spannungen in der Stadt teils mit Händen zu greifen: Beim Referendum 2016 hatte ungefähr die Hälfte der Bewohner für und die Hälfte gegen den Brexit gestimmt. Nun argumentierten sie alle gegeneinander – wenn sie denn miteinander sprachen. Einige Briten erzählten mir von Freundschaften und Beziehungen, die am Referendum zerbrochen waren. Viele Studierende schämten sich für die Schlagzeilen aus ihrem
Parlament und interessierten sich für meine (deutsche) Sicht auf das Thema. Ich sagte dann meist etwas in die Richtung, dass es mir leidtue, wir aber doch auch nach der Trennung Freunde bleiben könnten. Galgenhumor funktionierte bei meinen britischen Bekannten ganz gut.
Eine Woche vor dem geplanten Austrittstermin Ende März fuhr ich morgens um fünf mit einem alten Reisebus nach London, wo für eine zweite Volksabstimmung demonstriert wurde. Etwa eine Million Menschen waren dort auf der Straße, schätzte die BBC. Ein „People’s Vote“kam dann nicht. Der EU-AUStritt allerdings auch nicht, wie wir später erfuhren.
Danach tauchte das böse B-wort seltener in den Nachrichten und in den Gesprächen auf. „Es wird schon weitergehen“, sagte meine Freundin Liv dazu, „aber frag mich nicht wie.“Wir saßen in einem kleinen Café und von draußen schien die Sonne herein, die nun auch in Nordengland an Kraft gewonnen hatte. Ende Mai schrieben wir Klausuren, Mitte Juni verabschiedete ich mich von Yorkshires Sturmhöhen und flog zurück nach Deutschland. Den Reisepass brauchte ich nicht.
Kürzlich gab es an der Uni in Dortmund eine kleine Messe. Dort stellen Studierende, die im Ausland waren, ihre Austauschstädte vor. Ich zeigte Bilder von Mooren und Backsteinhäusern und diskutierte mit anderen darüber, wie und wann nun Großbritannien aus der EU austreten wird. Es ist noch immer ziemlich unklar, welche Bedingungen nach einem Brexit für ein Auslandssemester in Großbritannien gelten werden. Hoffentlich verhindert der Eu-austritt aber nicht, dass neue Studierende ihre Fußabdrücke im Matsch von God’s Own County hinterlassen. Es wäre zu schade.