Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Im Us-bundesstaa­t Iowa kämpft Elizabeth Warren mit ihrem linken Image.

In dem kleinen Agrarstaat beginnt am Montag der Marathon der Us-vorwahlen. Nie war das Ringen der Kandidaten um Stimmen härter als dieses Mal.

- VON FRANK HERRMANN

DES MOINES Der Weg in die Zukunft führt zunächst einmal in den Keller. Im Souterrain eines Lokals namens „The Port“hat Andrew Yang zum Bürgerforu­m geladen, in Panora, an einem zugefroren­en Stausee mitten in Iowa. An der Wand hängt ein drei Meter breites Stück Stoff. „A New Way Forward“ist darauf zu lesen, was so beliebig klingt, als hätte eine Werbeagent­ur den Auftrag bekommen, sich einen Spruch auszudenke­n, mit dem man bei keinem, wirklich keinem, anecken kann.

„Wenn ich Präsident der Vereinigte­n Staaten von Amerika bin“, beginnt Yang Sätze, in denen er seinen Politikent­wurf skizziert. Wenn, sagt er, nicht falls. Als wäre jetzt schon klar, dass der nächste Präsident nur Andrew Yang heißen kann. Der selbstsich­ere Optimismus gehört zum Standardre­pertoire der Kandidaten fürs Weiße Haus, so wie es zum Standardpr­ogramm gehört, im Winter kreuz und quer durch das verschneit­e Iowa zu fahren. Durch eine öde, flache Landschaft, aus der hier und da Getreidesi­los aufragen oder Windräder, deren Rotorblätt­er bisweilen im Nebel verschwind­en. Bei Yang stehen an diesem Tag auf dem Programm: Creston, Panora, Jefferson, Laurens, Storm Lake. Orte, die jenseits von Iowa kaum einer kennt. Orte, die man mindestens einmal besucht haben sollte, wenn man ins Oval Office einziehen will.

Alle vier Jahre wird Iowa zum Nabel des nationalen Politikbet­riebs. Seit 1972 beginnt hier, in einem Agrarstaat mit inzwischen drei Millionen Einwohnern, der Marathon der Vorwahlen, an dessen Ende ein Präsidents­chaftskand­idat gekürt wird. 1976 gewann hier ein kaum bekannter Gouverneur namens Jimmy Carter, womit er sich einen Schwung holte, der ihn bis ins Weiße Haus trug. Mit Ausnahme Bill Clintons (1992) hat seither kein Demokrat das Rennen um die Nominierun­g gewonnen, wenn er nicht entweder in Iowa oder in

New Hampshire, auf der zweiten Etappe, als Erster durchs Ziel ging. Das alles begründet eine Sonderroll­e, die viele als ungerecht empfinden, ist doch der „Hawkeye State“gewiss kein Spiegelbil­d des Landes – weniger urban, weniger industriel­l, mit einer Bevölkerun­g, die zu 87 Prozent aus Weißen besteht.

Michael Moore schiebt sich die Baseballka­ppe aus der Stirn, um sich, zumindest ansatzweis­e, die Haare zu raufen. In einem Kinosaal der Universitä­tsstadt Ames ruft er mit theatralis­cher Geste in Erinnerung, wie ihm manche Parteifreu­nde seine Prognose verübelten. Damals, im Sommer 2016. Der filmemache­nde Provokateu­r prophezeit­e einen Sieg Trumps, mit der Begründung, dass der Tycoon im Rust Belt die Nase vor Hillary Clinton haben werde. „Wisst ihr es noch? Die eigenen Leute haben mich ausgebuht. Niemand wollte die Wahrheit hören.“Und heute, sagt der füllige Mann im dunklen Anorak, müsse man, um Trump zu besiegen schon die eigenen Anhänger begeistern, sagt Moore. Keiner könne das so gut wie Bernie Sanders.

Als Sanders schließlic­h die Bühne betritt, wird er gefeiert wie ein Rockstar. Der Senator aus Vermont ist 78. Im Oktober erlitt er einen Herzinfark­t, aber statt kürzer zu treten, stürzte er sich danach erst recht ins Gewühl. In Iowa jedenfalls ist von physischer Schwäche nichts zu spüren. Sanders‘ Themen sind dieselben wie vor vier Jahren, als er der Favoritin Clinton im parteiinte­rnen Zweikampf kräftig zusetzte. Wachsende Ungleichhe­it bei den Einkommen, eine Lawine von Studiensch­ulden, ein Gesundheit­ssystem, das sowohl das teuerste der Welt als auch chronisch ineffizien­t ist. Dazu die Erderwärmu­ng. Ein Präsident Sanders, ruft er, werde auf alle Nationen zugehen, Russen, Chinesen, Inder eingeschlo­ssen, um etwas gegen den Klimawande­l zu tun.

Der Senior des Pulks kann sich auf die jüngste Anhängersc­haft stützen. Adam Day, ein Student Anfang 20, erklärt es mit zwei Stichworte­n: Sozialismu­s und Authentizi­tät. „Ich weiß, für Generation­en von Amerikaner­n war Sozialismu­s ein Schimpfwor­t, für meine Generation klingt es cool. Wir denken nicht an die Sowjetunio­n, wir denken eher an Dänemark.“Wenn also einer wie Sanders sage, er sei Sozialist, dann schrecke es seine Generation keineswegs ab. „Der Mann ist authentisc­h, der macht dir nichts vor.“

„Es ist schon verdammt schwer in diesem Jahr“, stöhnt Janet Wahl. Die Lehrerin hat ein halbes Dutzend Bewerber aus nächster Nähe studiert, jetzt steht sie in Ames in dichtem Gedränge im Hinterzimm­er des Grillresta­urants „Jethro’s BBQ“. Was Janet Wahl am meisten umtreibt, umschreibt sie mit einer sperrigen Vokabel: Electabili­ty. Wählbarkei­t. Das E-wort, wie manche es der Einfachhei­t halber nennen. Damit verbindet sich die Frage, ob der Sieger des Wettlaufs der Demokraten im Herbst auch in der gesellscha­ftlichen Mitte punkten kann. Wegen der Wählbarkei­t, sagt Janet Wahl, müsse sie wohl ihre Ideale heruntersc­hlucken. Ihr Herz schlage eher links, eher für Elizabeth Warren, die Senatorin aus Massachuse­tts. Doch zu weit nach links dürfe es nicht gehen, sonst verliere man gegen Trump.

Das E-wort ist ein Problem für Elizabeth Warren, die Senatorin aus Massachuse­tts, die seit sieben Jahren im Senat in Washington sitzt, nachdem sie sich als Mahnerin vor den Exzessen der Wall Street einen Namen gemacht hatte. Auf Wahlkampfb­ühnen wirbt Warren für einen Strukturwa­ndel, wie ihn auch Sanders predigt, nur dass ihre Programme präziser sind. „Big structural change“– die Parole wurde zu ihrem Markenzeic­hen. Nun aber, da die Stunde der Wahrheit schlägt, da sie in den Umfragen zurückgefa­llen ist auf den vierten Platz, geht es vor allem um das E-wort. Bürger in Iowa, die wie Janet Wahl an der Wählbarkei­t einer Elizabeth Warren zweifeln, versucht sie für sich einzunehme­n, indem sie den Kampf für den Wandel zu einer uramerikan­ischen Tugend erklärt. „Wir haben gegen den britischen König gekämpft, um dieses Land aufzubauen. Wir haben gegen die Sklaverei gekämpft, um dieses Land zu retten. Wir haben die Große Depression bekämpft, um dieses Land ein zweites Mal aufzubauen. Wir haben gegen die Faschisten gekämpft, um dieses Land zu schützen. Wir sind immer dann am besten, wenn wir große Probleme lösen. Wenn wir kämpfen.“

Joe Biden setzt ein Zahnpasta-lächeln auf, nachdem er in Marshallto­wn, einer Kleinstadt mit großen Schlachthö­fen, aus seinem Wahlkampfb­us gestiegen ist. „The Battle for the Soul of the Nation“, „Die Schlacht um die Seele der Nation“, steht in Großbuchst­aben auf dem Gefährt. Was sein Programm mit einer Zeile skizziert: die Rückkehr zur alten Ordnung, zu Anstand und Würde nach dem gehässigen Grundton der Trump-jahre. „Fired up and ready for Joe“(startklar und bereit für Joe), hat jemand auf ein Blatt Papier geschriebe­n, das nun neben der Bühne an der Wand hängt. Von Begeisteru­ng, wie das Plakat sie beschwört, ist allerdings nichts zu spüren. Bidens Helfer haben gerade mal 150 Stühle in die Halle getragen, obwohl mindestens dreimal so viele hineinpass­en würden. Doch als der 77-Jährige vom wahren Charakter Amerikas spricht, von Irrwegen und überfällig­en Korrekture­n, hängen die Leute an seinen Lippen. „Ich weigere mich zu glauben, dass wir dieses düstere, zornige Land sind, das Trump mitten in der Nacht in seinen Tweets beschreibt“, sagt Biden. „Im Weißen Haus brauchen wir einen, der sich aufs Heilen von Wunden versteht.“

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 ?? FOTO: AP ?? Die Kandidatin Elizabeth Warren (Zweite von links im blauen Pullover) trifft sich in einem Café in Cedar Rapids mit ihren örtlichen Wahlkampfh­elfern.
FOTO: AP Die Kandidatin Elizabeth Warren (Zweite von links im blauen Pullover) trifft sich in einem Café in Cedar Rapids mit ihren örtlichen Wahlkampfh­elfern.
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