Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Weltkirche schaut auf Deutschland
ANALYSE In Frankfurt hat der Synodale Weg zu Reformen in der katholischen Kirche begonnen. Dass überhaupt alle Bischöfe teilnehmen, muss man schon einen Erfolg nennen. Die Fortschritte sind klein, die Aufmerksamkeit ist riesig.
Das mit dem Tagungsort hat schon mal nicht geklappt. Ursprünglich sollte nämlich im geschichtsträchtigen Kaiserdom zu Frankfurt getagt werden. Der aber wird so aufwendig renoviert, dass für die 230 Delegierten der Platz nicht ausgereicht hätte. Also treffen sich die Mitglieder der großen Synodalversammlung – Priester und Laien – heute zu ihrer ersten richtigen Sitzung in den Räumen des ehemaligen Dominikanerklosters gleich nebenan. Der versprüht den Charme der 60er Jahre und ist überdies evangelisch. Aber was soll’s? Die katholische Kirche in Deutschland ist an einem Punkt angekommen, an dem sie kaum eine Wahl zu haben scheint. Denn die Zahl ihrer Verluste ist groß: an Vertrauen, an Glauben, an Mitgliedern. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagt ein Teilnehmer.
Der unprätentiöse Tagungsraum darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Frankfurt große Kirchenfragen zumindest offen debattiert werden. „Wir haben der Welt etwas zu sagen – oder besser vorzuleben“, sagte gestern Abend zur Eröffnung im Dom Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK). Auch darum scheinen die Katholiken in Frankfurt unter besonderer Beobachtung zu stehen: Aus 30 Ländern – und natürlich auch aus dem Vatikan – sind Gäste angereist, um von der Tribüne aus zu verfolgen, was die Deutschen zur Zukunft der Kirche aushecken und zu sagen zu haben. Denn auch das werden bei aller Reformfreude die Delegierten zu bedenken haben: dass die deutschen Katholiken vornehmlich in Rom nach wie vor als verkappte Protestanten gelten. Und dass ihre theologischen Impulse nicht erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Spuren hinterlassen.
Gerade mit Blick auf die Weltkirche werden die späteren Voten der Versammlung in drei Kategorien gefasst: für Entscheidungen, die in Deutschland in Kraft gesetzt werden können, für Beschlüsse, die mit römischem Vorbehalt dem Papst vorgelegt werden, und schließlich solche, die als Votum an ein Konzil zu richten sind.
Wobei die vier großen Themen, über die in der Synodalversammlung und intensiv in kleineren Foren beraten wird, allesamt weltkirchlich relevant erscheinen. Wenn es um die Stellung der Frau geht – also um mögliche Weiheämter; um das priesterliche Leben – also auch um ein Ende des Pflichtzölibats, um Sexualmoral und Kirchenhierarchie. Das allein hatte gereicht, um die katholische Kirche im Vorfeld weltweit in Aufregung zu versetzen. Der lange Papst-brief „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“vom Juni des vergangenen Jahres war in diesem Sinne auch ein Dokument, mit dem römische Wachsamkeit demonstriert werden sollte.
Wohin der Synodale Weg – der besser als ein Reformdialog zu verstehen ist – führt, weiß niemand. Kardinal Reinhard Marx sprach sogar von einem „Experiment, dass es so vorher noch nicht gegeben hat“. Der Impuls dazu kam nicht aus eigenem Antrieb: „Der Ausgangspunkt ist eine Krise“, so Marx, „die Erschütterung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche.“
Für Betroffene geht der synodale Weg nicht weit genug oder ist sogar verfehlt. Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“forderte in Frankfurt am Rande der Eröffnung, die Synodalversammlung nicht beginnen zu lassen, ehe nicht die Bischöfe eine Einigung über die Entschädigung der Missbrauchsopfer gefunden hätten. Lautstark ist auch die Frauenaktionsgruppe „Maria 2.0“vertreten. „Ich küsse keine Kirche mehr wach, ich haue auf den Tisch. Es reicht, unsere Geduld ist am Ende“, so Sprecherin Monika Humpert. Nach ihren Worten kommen Reformdialoge „für vernünftige Korrekturen viel zu spät. Das sind alles nur noch ein paar Schönheitsoperationen.“Etliche Gruppen der Kirchenvolksbewegung sind in Frankfurt gut sichtbar – mit Gebet und Lichterandachten, Kundgebungen vor dem Dom, Mahn- und Nachtwachen. So gelangten alle Teilnehmer der Synodalversammlung beim feierlichen Einzug zum Eröffnungsgottesdienst gestern nur durch eine große Protestgruppe von Maria 2.0: „Frauen, worauf wartet ihr“, stand auf einem Plakat. „Gleiche Rechte, gleiche Würde!“hieß es auf einem meterlangen Banner. Manche Bischöfe wählten den Nebeneingang, einige beeilten sich, andere schüttelten herzlich die Hände der Demonstrantinnen wie Stars auf dem roten Teppich der Berlinale. Es scheint, als sei das katholische Leben erwacht: vielstimmig und vielgestaltig.
Im zweijährigen Reformprozess ist die Synodalversammlung in Frankfurt eine von vieren. Und so klein die Fortschritte auch sein mögen, so ist es doch ein Erfolg, dass erst einmal alle Ortsbischöfe teilnehmen; also auch solche, die vom Sinn des Synodalen Weges nicht oder nur wenig überzeugt sind – wie der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, und der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer. Diese formale Geschlossenheit wurde in gewisser Weise erkauft, nämlich mit dem Recht eines jeden Bischofs, über die Umsetzung möglicher Reformen am Ende in seinem jeweiligen Bistum selbst zu entscheiden. Verbindlichkeit sieht anders aus. Außerdem können Beschlüsse der Synodalversammlung nur mit Zwei-drittel-mehrheit gefasst werden, die auch noch eine Zwei-drittel-mehrheit der Bischöfe enthalten muss. Rein rechnerisch reichten somit die Stimmen von 24 Bischöfen aus, Beschlüsse der gesamten Versammlung abzulehnen.
Heute nimmt das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“seine Reformgespräche auf. Und Kardinal Marx erinnerte vorsorglich daran, dass „alle, die sich Christen nennen, sorgsam und voller Respekt miteinander umgehen sollen“. Schließlich dürfe auch das bei allem Eifer nicht vergessen werden: „Christus ist in unserer Mitte.“
„Der Ausgangspunkt ist eine Krise: die Erschütterung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche“Kardinal Reinhard Marx Vorsitzender Deutsche Bischofskonferenz