Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ken Loach ist immer noch wütend
Großes Sozialdrama vom 83-jährigen Altmeister: „ Sorry we missed you“.
(dpa) Ricky und Abby Turner hatten einmal eine Zukunft. Der Traum vom Eigenheim schien greifbar nahe, dann aber crashte während der Finanzkrise ihre Bank, das Geld war weg. Ricky verlor seine Arbeit, und alle Hoffnungen und Wünsche lösten sich ins Nichts auf. Seitdem lebt das Paar mit den beiden Kindern in einem feuchten, schmutzigen, heruntergekommenen Zuhause in Newcastle – und jeder Tag ist ein harter Überlebenskampf. Abby bringt als Altenpflegerin etwas Geld nach Hause, Ricky hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Ein sozialer Abstieg in rasender Geschwindigkeit. Dann aber scheint es einen Hoffnungsschimmer zu geben.
„Sorry We Missed You“heißt der neue Film von Ken Loach („Ich, Daniel Blake“), mit dem er vehement soziale Gerechtigkeit und ein menschenwürdiges Leben einfordert. 83 Jahre ist der Regisseur alt – und noch immer ist er wütend. Und immer wieder stellt er die prekäre Wirklichkeit der Arbeiterklasse in einer globalisierten Welt ins Zentrum seiner Filme.
Auch Ricky (Kris Hitchen) schrammt mit seiner Familie immer am Abgrund entlang, dann aber eröffnet sich eine Chance: Er bekommt einen Job als Paketzusteller. Das klingt erst einmal ganz gut: „Du arbeitest mit uns, nicht für uns“, sagt ihm salbungsvoll seiner neuer Boss Maloney, der aber ihn Wahrheit die Mentalität eines Pitbulls besitzt. Ricky wird das bald zu spüren bekommen.
Der Stress, die Belastung, der permanente Zeitdruck - bei Ricky liegen schon bald die Nerven blank. Da wird mit Kunden über Fußball gestritten, da führt ein fehlender Ausweis zu Handgreiflichkeiten. Noch schlimmer: Da Ricky als freier Unternehmer arbeitet, bekommt er bei Fehlstunden oder im Krankheitsfall kein Geld. Und permanent drohen empfindliche Strafen. Das Schlimmste aber soll noch kommen.
Vor allem die Kinder leiden unter der angespannten Situation. Seb schwänzt permanent die Schule und hängt lieber mit seinen Sprayer-freunden herum, und die kleine Liza Jane sieht ihre Eltern kaum noch. Die beiden sind nur von einem einzigen Wunsch beseelt - dass alles wieder so sein soll wie früher. Und Abby? Auch die einfühlsame und verständnisvolle Pflegerin (Debbie Honeywood), die sich in ihrem Job so viel Zeit für die Menschen nimmt, kann irgendwann nicht mehr.
Loach geht es nicht nur um die verheerenden Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse: „Ich hoffe, die Leute interessiert es, was mit der Familie in „Sorry We Missed You“passiert und ich hoffe, dass sie darüber nachdenken, welche Bedeutung es für sie und ihre eigene Familie hat“, sagte er dem „New Musical Express“.
Ken Loach ist ein großer Geschichtenerzähler. Bei aller Niedergeschlagenheit gibt es doch immer wieder auch kleine Momente des Glücks. „Sorry We Missed You“– das ist aufwühlendes Kino, das inzwischen immer seltener wird.
Sorry we missed you, Großbritannien, Frankreich, Belgien 2019 – Regie: Ken Loach, mit Kris Hitchen, 100 Min.