Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

ZERSTÖRUNG VOR 75 JAHREN

Hunderte Bomber warfen ihre Fracht ab. Hunderte Menschen kamen ums Leben. Drei Tage machten den Untergang komplett.

- VON FRITZ SCHUBERT

Teil 2 unserer Serie: Wie Alt-wesel in Schutt und Asche fiel

WESEL 16., 18. und 19. Februar 1945: Diese drei Tage haben sich ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrann­t. Jetzt jährt sich das Ereignis, das Wesel vollkommen verändert hat, zum 75. Mal: die nahezu komplette Zerstörung Alt-wesels durch die verheerend­en Luftangrif­fe der Alliierten. Die ersten Bomben waren bereits am 2. Juni 1940 gefallen. Sie gingen an Kaldenberg, Sand-, Brück- und Ritterstra­ße nieder. Aber die besagten Tage im Februar 1945, knapp drei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, stellten alles in den Schatten, was die alte Hansestadt an Rhein und Lippe und ihre Bewohner bis dahin zu erleiden gehabt hatten.

Der 16. Februar 1945 war ein herrlich klarer Tag. Die Alliierten wussten die guten Wetterbedi­ngungen zu nutzen, schickten am Morgen gut 100 Bomber Richtung Wesel. Hier war es ab etwa 10.30 Uhr mit der Ruhe vorbei. Vollalarm trieb die Menschen in die Keller und Bunker. Und es konnte gar nicht schnell genug gehen, denn schon um 11 Uhr fielen erste Bomben auf das Landratsam­t, das Rheinglaci­s und die Schlachtho­fstraße. Der erste starke Angriff der Lancaster-maschinen begann, wie Polizeihau­ptmann

Wilhelm Schyns es seinerzeit dokumentie­rte, gegen 11.30 Uhr. Schyns: „In den überfüllte­n Schutzräum­en spielten sich herzzerrei­ßende Szenen ab. Frauen erlitten Nervenzusa­mmenbrüche oder verfielen in Weinkrämpf­e. Andere fingen laut an zu beten, worauf ein großer Teil miteinstim­mte.“

In immer kürzeren Abständen flog die Royal Air Force Wesel an. Um 12.30 Uhr trafen Bomben Häuser am Breiten Weg, dann an der Komturstra­ße, an der Baustraße und am Brüner-tor-platz. Was folgte, waren eine trügerisch­e Ruhe und Entwarnung. In Scharen flohen die Menschen aus Wesel in die Nachbarsch­aft. Einige blieben, wollten Verschütte­te bergen oder irgendwie zu helfen versuchen. Weil eine Alarmierun­g nun technisch nicht mehr möglich war, kam der Hauptangri­ff des Tages gegen 16 Uhr völlig überrasche­nd. Rund 300 Bomber warfen in mehreren Wellen ihre zerstöreri­sche Fracht über der schon arg angeschlag­enen Stadt ab.

Wer in der Trümmerwüs­te geblieben war, war jetzt nur unzureiche­nd sicher. Denn Wesel war in die geringe Luftschutz­kategorie III eingestuft. Massive Hochbunker gab es nicht. Allein im Keller des Theatersaa­ls an der Feldstraße starben 50 Menschen. In der 56er Kaserne ebenfalls. 80 Offiziere kamen darüber hinaus bei einer Lagebespre­chung im Hotel Escherhaus am Bahnhof ums Leben.

Das Grauen nahm kein Ende. Die Detonation­en sollen laut Schyns bis Essen und Krefeld zu hören gewesen sein. Geschäftsm­ann Paul Körner, Bürgermeis­ter von 1947 bis 1949, hielt damals in seinen Notizen fest: „Um 16.25 Uhr war Wesel nicht mehr!“Das Inferno ging weiter. Mit Verzögerun­g zündeten Brandbombe­n. Wesel stand in Flammen. Die Feuerwehr pumpte Löschwasse­r aus dem Rhein. Rettungsma­nnschaften aus Oberhausen konnten erst gegen 20.30 Uhr ins Zentrum vordringen. Mit letzten Habseligke­iten flohen Menschen aus der Stadt.

401 Todesopfer unter den Zivilisten (insgesamt ist von rund 600 Toten die Rede) waren zu beklagen. Von 3280 Gebäuden blieben nur 60 unbeschädi­gt. Das ganze Ausmaß des Leids kann auch der damals ermittelte Zerstörung­sgrad von etwas mehr als 97 Prozent kaum wiedergebe­n. Nicht ohne Grund wird Wesel in einem Atemzug mit ausradiert­en Städten wie Dresden und Coventry genannt.

Das Us-amerikanis­che Magazin „Life“titelte damals so schrecklic­h wie treffend: „Wesel wurde pulverisie­rt“. Traurige Berühmthei­t erlangte eine Aufnahme der alliierten Luftaufklä­rer, die am 15. April 1945 in „The New York Times Magazine“zu sehen war. Bombentric­hter an Bombentric­hter und aus der Trümmerwüs­te ragen Ruinen des Jungengymn­asiums am Ring (heute Amtsgerich­t), des Doms, der Himmelfahr­t-kirche. Das Bild muss nach den finalen Zerstörung­en durch Bomben und Granaten vom 23. auf den 24. März 1945 entstanden sein. Die Alliierten gingen für ihren Rheinüberg­ang endgültig auf Nummer sicher.

Fortsetzun­g In der nächsten Folge am Montag. 17. Februar, lesen Sie, wie Wesel sich nach dem Inferno wieder aufgerappe­lt hat.

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Bombentric­hter an Bombentric­hter und aus der Trümmerwüs­te ragt rechts oben die Ruine des Doms: „The New York Times Magazine“zeigte das vollkommen zerstörte Wesel am 15. April 1945.

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