Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Spaßmuss sein

Die Deutschen steuern auf den Höhepunkt des närrischen Treibens zu. Aber haben sie wirklich Humor? Oder handelt es sich diesbezügl­ich nur um den größten anzunehmen­den Ausnahmezu­stand?

- VON MARTIN BEWERUNGE

Die Deutschen werden nicht unbedingt als humorvoll wahrgenomm­en. Aber sie sind besser als ihr Ruf.

Loriot gelingt es wie keinem anderen, den Deutschen auf so unterhalts­ame Art den Spiegel vorzuhalte­n

Das kann ja heiter werden“, heißt es im Deutschen, was seit jeher alles andere als Vorfreude signalisie­rt. „Spaß muss sein“– auch das klingt nicht unbedingt euphorisch, ebenso der Spruch „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“. Wenn Deutsche „Lange nicht mehr so gelacht“sagen, sind sie selten amüsiert. Dafür lachen sie, wie man sich im Ausland glucksend erzählt, bei den meisten Witzen sogar zweimal: das erste Mal aus Höflichkei­t, das zweite Mal, wenn man ihnen die Pointe erklärt hat.

Sehr witzig!

Schlimmer Verdacht – was den Humor betrifft, sind die Deutschen echte Pappnasen. Angeblich belegen das sogar Studien. Welches Volk kann Mitmensche­n am besten zum Lachen bringen? Die Amerikaner, gefolgt von Spaniern und Italienern. So antwortete vor ein paar Jahren zumindest die Mehrheit von 30.000 weltweit Befragten. Auf dem letzten von 15 Plätzen landeten – Tusch – die Deutschen. Ein weiterer Grund für sie zum Grübeln?

Es ist wahr: Das Volk der Dichter und Denker neigt auch heute noch eher zur Ernsthafti­gkeit, zum Abwägen, zum Grundsätzl­ichen. Es hat schließlic­h Ende des 18. Jahrhunder­t die Romantik erfunden, und die ist geprägt von Weltschmer­z, Sehnsucht, Innerlichk­eit. Darüber hinaus klingt Deutsch so wahnsinnig exakt, und vielleicht sind es ja das komplizier­te Vokalsyste­m und die vielen starken Verben, die ihm die Leichtigke­it nehmen. Sogar auf üppige Interpunkt­ion legt man hierzuland­e größten Wert, um schon den Anflug von Zweideutig­keit zu vermeiden. Jedes Komma zählt. Und tatsächlic­h macht es einen Unterschie­d, ob es heißt: Wir essen, Kinder! Oder: Wir essen Kinder. Aber das ist wenigstens unfreiwill­ig komisch.

Und so geraten in Deutschlan­d zu Späßen aufgelegte Menschen, zumal wenn sie Führungspo­sitionen bekleiden, leichter als anderswo in Verdacht, die Dinge nicht ernst zu meinen. In England hingegen werden Leute ohne Humor gar nicht ernst genommen. Wer die gepfeffert­en Reden im Unterhaus zum Brexit verfolgt hat, bemerkt schnell den Unterschie­d etwa zu Haushaltsd­ebatten im Bundestag. Letztere sind nahezu frei von Pointen. Schadenfre­ude – auch dieses Wort, das nur im Deutschen existiert, wird gern als Beleg dafür angeführt, dass Lachen zwischen Kempten und Kiel in der Regel als Auslachen verstanden wird.

Zu Unrecht. Tatsächlic­h erfreut sich der Spott über Eigenarten oder Missgeschi­cke nicht nur in Deutschlan­d, sondern überall auf der Welt größter Beliebthei­t, ebenso die Methode, bestimmte Gruppen etwas dümmer dastehen zu lassen, als sie wirklich sind. Noch in China macht man sich mit großem Vergnügen über andere lustig, etwa über den Holländer, der ein Puzzle nicht kauft, weil er unter dem Hinweis „3-5 Jahre“auf der Packung die Zeit versteht, die benötigt wird, bis die Teile zusammenge­fügt sind.

Da lacht auch der Rheinlände­r gerne mit, wohingegen er bei vielen anderen Späßen ratlos zurückblei­bt, in denen es etwa um chinesisch­e Schwiegerm­ütter geht oder um so etwas Banales wie Füße. Weil diese Anspielung­en Tabus brechen, die es hier nicht gibt, haut man sich im Reich der Mitte auf die Schenkel, sonst aber nirgendwo.

Den Chinesen deshalb zu unterstell­en, sie hätten wenig Humor, wäre genauso töricht, wie dies von den Deutschen zu behaupten, nur weil außer ihnen kaum jemand sonst auf der Welt in der Lage ist, die Feinheiten der Komik eines Loriots zu verstehen. Und nahezu sämtliche Amerikaner oder Briten würden wohl an „Stromberg“scheitern. Sie könnten darin kaum mehr als eine reichlich dröge Dokumentat­ion des deutschen Büroalltag­s erkennen. Das Us-serien-vorbild „The Office“mit seinen überzogene­n Comedy-elementen ist eben ganz anders gestrickt.

Schon lustig also, wie leicht einem ein Mangel an Humor attestiert werden kann. Und wie lange sich Vorurteile halten. „Ein deutscher Witz ist nichts zum Lachen“, bemerkte vor über hundert Jahren der Us-schriftste­ller Mark Twain. Dabei finden sich auch in Deutschlan­d früh Belege dafür, dass es keineswegs spaßfrei zugeht: in Karikature­n, Satire-zeitschrif­ten, im Kabarett. Die „Düsseldorf­er Monathefte“etwa liefern zwischen 1847 und 1861 Satire in einer künstleris­chen Qualität, die sich sonst nirgendwo in Preußen existiert. Der „Simpliciss­imus“aus München wird nach dem „Kladderada­tsch“zu einer Institutio­n im Kaiserreic­h: antiklerik­al, antifeudal und fundamenta­l-demokratis­ch. Sein Wappentier ist die zähneflets­chende rote Bulldogge, die den Protest gegen Kaiser und Junker, Militär und Kirche, Imperialis­mus und Preußentum symbolisie­rt.

So voraussetz­ungsfrei wie Comedy funktionie­rt diese humoristis­ch-bissige Form der Gesellscha­ftskritik natürlich nicht, sie ist auch eher bitterböse, und noch ist die junge Nation weit entfernt von einem antiautori­tären Parodisten wie Otto Waalkes. Aber schon in den 60er Jahren des 19. Jahrhunder­ts taucht ein deutscher Zeichner und Dichter auf, der mit seinen scharfsinn­igen Alltagsbeo­bachtungen und unkonventi­onellen Sprachpiro­uetten bald ein Millionenp­ublikum erreichen und sogar dem modernen Comic den Weg bereiten wird: Wilhelm Busch. Noch skurriler, noch fantastisc­her sind die Gedichte von Christian Morgenster­n (1871–1914), bis heute einer der Besten, was die hohe Kunst der Blödelei betrifft, ein Pionier des Nonsens.

Zur Tragik des deutschen Humors gehört der brutale Versuch, den Deutschen vorzuschre­iben, wer sie zum Lachen bringen darf und worüber sie lachen dürfen. Der Wechsel der Perspektiv­e beschreibt das Wesen des Witzes recht treffend, und genau das wird ihm zum Verhängnis, als 1933 die große Gleichscha­ltung beginnt. Mehr noch: Lustig kann lebensgefä­hrlich werden in Nazi-deutschlan­d, ausgerechn­et, als die Filmkomödi­e zum Ende der auch in Sachen Humor überaus kreativen zwanziger Jahre ihre größten Erfolge feiert.

Bis dahin hat vor allem das junge Medium des Tonfilms Superstars hervorgebr­acht, die nach der bitteren Zeit des Ersten Weltkriegs beweisen, wie witzig, wie modern die Deutschen sein können. Nach dem Ende der Weimarer Republik aber hinterläss­t die braune Diktatur eine tiefe Schneise in der aufblühend­en Kultur des Komischen, verbietet, verjagt, ermordet ihre Protagonis­ten, unter denen viele Juden sind.

Mit dem jüdischen Witz geht etwas verloren, was dem Humor in Deutschlan­d gutgetan hatte: die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, eine Schärfe, die dennoch nie verletzt, etwas Versöhnend­es, das am Ende über den Gegensätze­n schwebt, die jeden Witz ausmachen. So wie dieser: Ein katholisch­er Pfarrer, ein evangelisc­her Pastor und ein Rabbi diskutiere­n über die Frage, wann das Leben beginnt. „Mit der Zeugung“, sagt der Pfarrer. „Mit der Geburt“, wendet der Pastor ein. Der Rabbi überlegt lange und sagt dann: „Das Leben beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“

Erst viele Jahre später taucht mit Loriot jemand auf, der die feine Selbstiron­ie zum Erkennungs­zeichen seines Humors erhebt und das Publikum damit hinreißt. Keinem anderen gelingt es auf derart unterhalts­ame Art, den Deutschen den Spiegel vorzuhalte­n.

Und heute: Der Tag beginnt mit Morning-shows im Radio, die wie Flipper-automaten in voller Aktion klingen, er geht weiter mit Werbung, die lieber herumalber­t, als zu informiere­n, und auch die viele gute Laune in den sozialen Medien lässt uns bisweilen selbst am eigenen Humor zweifeln. Weil es schwerfäll­t, darüber zu lachen.

Vielleicht liegt es daran, dass uns in den vergangene­n Jahrzehnte­n Humoristen begegnet sind, über die man sich echt amüsieren konnte. Über Heinz Erhardt, der den Nachkriegs­deutschen das Lachen zurückgab, schmunzeln mehr als ein halbes Jahrhunder­t später noch gut die Hälfte ihrer Nachfahren. Und dass die Deutschen Louis de Funès, Monty Python oder Woody Allen lieben lernten, entkräftet das bisweilen harte Urteil aus dem Ausland über die Qualität des deutschen Humors.

Laut einer Erhebung des Marktforsc­hungsinsti­tuts Splendid Research ist Otto Waalkes noch immer der bekanntest­e Komiker im eigenen Land. Weit vorne rangieren ebenfalls Kaya Yanar und Bülent Ceylan. Wenig lustig findet ein Drittel der Befragten den Humor von Jan Böhmermann, Mario Barth und Helge Schneider. Wegen ihrer intelligen­ten Späße besonders beliebt sind Eckart von Hirschhaus­en, Volker Pispers oder Hagen Rether. In anderen Rankings nehmen Dieter Nuhr, Serdar Somuncu, Hape Kerkeling, Atze Schröder oder Carolin Kebekus Spitzenplä­tze ein. Eindeutig ist der Humor der Deutschen wahrhaftig nicht. Aber er ist eindeutig vorhanden.

Das in Zweifel zu ziehen, macht in Wahrheit deshalb so großen Spaß, weil nicht wenige Deutsche darüber sofort in ihre geleibte Selbstzerk­nirschung verfallen. Aber hey, es ist oft nur ein Witz. Und einem Witz begegnet man am besten mit einem anderen: Im Himmel sind die Italiener für die Küche zuständig, die Deutschen für die Technik und die Engländer für den Humor? Dafür sind in der Hölle die Italiener für die Technik zuständig, die Engländer für die Küche… Reicht schon.

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 ?? FOTO: DPA ?? Traumpaar des deutschen Humors: Loriot, mit bürgerlich­em Namen Vicco von Bülow, mit Evelyn Hamann.
FOTO: DPA Traumpaar des deutschen Humors: Loriot, mit bürgerlich­em Namen Vicco von Bülow, mit Evelyn Hamann.

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