Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Corona beendet das Ölzeitalter
ANALYSE Die Nachfrage nach dem einst so wertvollen Rohstoff wird nie wieder so hoch sein wie vor der Pandemie, auch wenn die Krise einmal vorbei ist. Das liegt auch an der wachsenden Rolle der erneuerbaren Energiequellen.
Ein Doppelschlag schickte in diesem Frühjahr den Ölpreis in den Keller. Während die Weltwirtschaft wegen der Corona-pandemie in die Krise stürzte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquollen, lieferten sich Saudi-arabien und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahlen, um Öl loszuwerden. Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März kurzzeitig wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass gestiegen – doch langfristig wird sich der Ölsektor nach der Corona-krise wohl nie wieder komplett erholen. Die Pandemie werde den Energiemarkt dauerhaft verändern, glaubt Saad al Kuwari, Chef des Öl-marketing-unternehmens Tasweeq in Katar. Erneuerbare Energiequellen seien die voraussichtlichen Gewinner, schrieb Kuwari in der Zeitung „Gulf Times“.
Zwar gibt es nach dem Schock des Frühjahrs Anzeichen für höhere Ölpreise in nächster Zeit: Die Nachfrage aus China steigt mit der Erholung der Wirtschaft, und Saudi-arabien und Russland sind bereit, ihre Produktion weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen. Bei einem Treffen des Ölkartells Opec unter Führung von Saudi-arabien mit Förderländern wie Russland haben sich die Länder nun für den dritten Monat in Folge geeinigt, die Ölproduktion zu drosseln. Täglich zehn Millionen Fass (je 159 Liter) weniger Öl sollen die Länder der Runde fördern. Der Deal sollte die weltweite Ölproduktion um rund zehn Prozent senken, doch haben sich viele Teilnehmer trotz ihrer Zusagen nicht an die Vorgaben gehalten – was den Preis weiter drückt.
Auch die mittelfristige Zukunft ist unsicher. Veränderungen der Arbeitswelt durch die Pandemie – wie der Boom von Online-arbeit und Videokonferenzen – könnten auf Dauer den Ölverbrauch senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsreisen überflüssig machen. Große Unternehmen wie Facebook wollen Zehntausenden Mitarbeitern erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten.
Die Nachfrage nach Öl wird auf absehbare Zeit zudem durch die weltweite Corona-rezession gebremst und dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internationale Energiebehörde IEA rechnet damit, dass die Nachfrage im laufenden Jahr im Vergleich zu 2019 um acht Prozent einbrechen wird. Der Markt wird laut IEA erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise. Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet, dass die Nachfrage erst Ende 2022 wieder den Stand der Vor-corona-zeit erreichen wird. Kingsmill Bond von der Energie-denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung in noch weiterer Ferne: Die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen werde weniger stark wachsen als vor der Pandemie, schrieb Bond in einer Analyse. Das bedeute, dass der Stand von 2019 erst im Jahr 2028 wieder erreicht wäre.
Vorerst müssen Ölproduzenten also die Förderung senken, doch Ölquellen können nicht wie Lichtschalter aus- und dann wieder eingeschaltet werden. Ein Neustart der Ölförderung, nachdem eine Anlage stillgelegt wurde, kann viel Geld kosten – was die Verluste eines Unternehmens verschlimmern kann. Die Krise behindert zudem Neuinvestitionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 49 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließung eines neuen Ölfelds lohnt. Derzeit liegt der Preis weit darunter.
Selbst wenn der Ölhahn eines Tages dank einer Erholung der Weltwirtschaft wieder aufgedreht werden kann, heißt das nicht, dass für die Ölindustrie wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebedarf möglicherweise anders gedeckt als mit Öl und Gas. Deutschland und andere Länder wollen die Krise nutzen, um ihre Volkswirtschaften zu modernisieren und besser auf den Klimawandel einzustellen. Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzinund Dieselautos im neuen Konjunkturpaket der Bundesregierung ist ein Beispiel für den Trend.
Weltweit wollen Politiker den Abschied vom Öl einleiten. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenheit, eine „saubere“Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplätzen zu schaffen, schrieb der neuseeländische Klimaminister James Shaw in einem Beitrag für das Klima-portal „Climate Change News“.
Der Übergang wird Jahre dauern und könnte durch kleinere Öl-booms unterbrochen werden. So verweisen einige Experten darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepolitik bremsen können: In vielen Ländern werden Rekorde momentan nicht beim Verkauf von Elektroautos erzielt, sondern bei den benzindurstigen SUVS. Der frühere Chef des Ölkonzerns BP, John Browne, sagte der „Financial Times“, die Corona-krise werfe zwar ein Schlaglicht auf die schwierige Zukunft der Ölindustrie. Doch auch andere umstrittene Branchen wie die Kohle- und die Zigarettenindustrien könnten sich trotz großer Kritik an ihren umwelt- und gesundheitlichen Nachteilen halten.
Eine Rückkehr zu der Zeit vor der Corona-pandemie ist für die Ölindustrie aber schwer vorstellbar. Einige Fachleute nehmen deshalb an, dass die Nachfrage nach Öl ihren historischen Höhepunkt überschritten hat. Bisher erwartete die Energiebehörde IEA diesen Gipfel für das kommende Jahrzehnt. Carbon-tracker-experte Bond glaubt dagegen, dass der Corona-schock den Wendepunkt schon jetzt gebracht hat.
„Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“, ist Bond sicher. Bis sich die Ölindustrie von der derzeitigen Krise erholt habe, dürften Wind- und Sonnenenergie so weit entwickelt sein, dass sie eine wachsende Nachfrage nach Energie auffangen könnten, erwartet er. Anders gesagt: Öl wird wahrscheinlich nie mehr so dringend gebraucht wie vor Corona.
„Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“Kingmill Bond Experte der Denkfabrik Carbon Tracker