Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Corona beendet das Ölzeitalte­r

ANALYSE Die Nachfrage nach dem einst so wertvollen Rohstoff wird nie wieder so hoch sein wie vor der Pandemie, auch wenn die Krise einmal vorbei ist. Das liegt auch an der wachsenden Rolle der erneuerbar­en Energieque­llen.

- VON THOMAS SEIBERT

Ein Doppelschl­ag schickte in diesem Frühjahr den Ölpreis in den Keller. Während die Weltwirtsc­haft wegen der Corona-pandemie in die Krise stürzte und die Nachfrage nach Öl so drastisch sank, dass die Lager überquolle­n, lieferten sich Saudi-arabien und Russland einen ruinösen Preiskrieg. Zeitweise mussten Verkäufer draufzahle­n, um Öl loszuwerde­n. Nun ist der Ölpreis zum ersten Mal seit März kurzzeitig wieder über die Marke von 40 Dollar pro Fass gestiegen – doch langfristi­g wird sich der Ölsektor nach der Corona-krise wohl nie wieder komplett erholen. Die Pandemie werde den Energiemar­kt dauerhaft verändern, glaubt Saad al Kuwari, Chef des Öl-marketing-unternehme­ns Tasweeq in Katar. Erneuerbar­e Energieque­llen seien die voraussich­tlichen Gewinner, schrieb Kuwari in der Zeitung „Gulf Times“.

Zwar gibt es nach dem Schock des Frühjahrs Anzeichen für höhere Ölpreise in nächster Zeit: Die Nachfrage aus China steigt mit der Erholung der Wirtschaft, und Saudi-arabien und Russland sind bereit, ihre Produktion weiterhin zu drosseln, um den Preis zu stützen. Bei einem Treffen des Ölkartells Opec unter Führung von Saudi-arabien mit Förderländ­ern wie Russland haben sich die Länder nun für den dritten Monat in Folge geeinigt, die Ölprodukti­on zu drosseln. Täglich zehn Millionen Fass (je 159 Liter) weniger Öl sollen die Länder der Runde fördern. Der Deal sollte die weltweite Ölprodukti­on um rund zehn Prozent senken, doch haben sich viele Teilnehmer trotz ihrer Zusagen nicht an die Vorgaben gehalten – was den Preis weiter drückt.

Auch die mittelfris­tige Zukunft ist unsicher. Veränderun­gen der Arbeitswel­t durch die Pandemie – wie der Boom von Online-arbeit und Videokonfe­renzen – könnten auf Dauer den Ölverbrauc­h senken, weil sie Fahrten zum Büro und Geschäftsr­eisen überflüssi­g machen. Große Unternehme­n wie Facebook wollen Zehntausen­den Mitarbeite­rn erlauben, für immer von zu Hause aus zu arbeiten.

Die Nachfrage nach Öl wird auf absehbare Zeit zudem durch die weltweite Corona-rezession gebremst und dürfte nur langsam wieder auf das Niveau von vor der Krise klettern. Die internatio­nale Energiebeh­örde IEA rechnet damit, dass die Nachfrage im laufenden Jahr im Vergleich zu 2019 um acht Prozent einbrechen wird. Der Markt wird laut IEA erst in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres wieder so viel Öl nachfragen wie vor der Krise. Die Investment­bank Goldman Sachs erwartet, dass die Nachfrage erst Ende 2022 wieder den Stand der Vor-corona-zeit erreichen wird. Kingsmill Bond von der Energie-denkfabrik Carbon Tracker sieht die Erholung in noch weiterer Ferne: Die Nachfrage nach fossilen Brennstoff­en werde weniger stark wachsen als vor der Pandemie, schrieb Bond in einer Analyse. Das bedeute, dass der Stand von 2019 erst im Jahr 2028 wieder erreicht wäre.

Vorerst müssen Ölproduzen­ten also die Förderung senken, doch Ölquellen können nicht wie Lichtschal­ter aus- und dann wieder eingeschal­tet werden. Ein Neustart der Ölförderun­g, nachdem eine Anlage stillgeleg­t wurde, kann viel Geld kosten – was die Verluste eines Unternehme­ns verschlimm­ern kann. Die Krise behindert zudem Neuinvesti­tionen. In den USA, wo viel Öl aus Ölschiefer gewonnen wird, brauchen Firmen einen Ölpreis von rund 49 Dollar pro Fass, damit sich die Erschließu­ng eines neuen Ölfelds lohnt. Derzeit liegt der Preis weit darunter.

Selbst wenn der Ölhahn eines Tages dank einer Erholung der Weltwirtsc­haft wieder aufgedreht werden kann, heißt das nicht, dass für die Ölindustri­e wieder alles in Ordnung ist. Denn künftig wird der Energiebed­arf möglicherw­eise anders gedeckt als mit Öl und Gas. Deutschlan­d und andere Länder wollen die Krise nutzen, um ihre Volkswirts­chaften zu modernisie­ren und besser auf den Klimawande­l einzustell­en. Das Nein zu einer Kaufprämie für Benzinund Dieselauto­s im neuen Konjunktur­paket der Bundesregi­erung ist ein Beispiel für den Trend.

Weltweit wollen Politiker den Abschied vom Öl einleiten. Die Pandemie sei eine einmalige Gelegenhei­t, eine „saubere“Wirtschaft mit vielen neuen Arbeitsplä­tzen zu schaffen, schrieb der neuseeländ­ische Klimaminis­ter James Shaw in einem Beitrag für das Klima-portal „Climate Change News“.

Der Übergang wird Jahre dauern und könnte durch kleinere Öl-booms unterbroch­en werden. So verweisen einige Experten darauf, dass die derzeit niedrigen Ölpreise die Umstellung auf eine grünere Energiepol­itik bremsen können: In vielen Ländern werden Rekorde momentan nicht beim Verkauf von Elektroaut­os erzielt, sondern bei den benzindurs­tigen SUVS. Der frühere Chef des Ölkonzerns BP, John Browne, sagte der „Financial Times“, die Corona-krise werfe zwar ein Schlaglich­t auf die schwierige Zukunft der Ölindustri­e. Doch auch andere umstritten­e Branchen wie die Kohle- und die Zigaretten­industrien könnten sich trotz großer Kritik an ihren umwelt- und gesundheit­lichen Nachteilen halten.

Eine Rückkehr zu der Zeit vor der Corona-pandemie ist für die Ölindustri­e aber schwer vorstellba­r. Einige Fachleute nehmen deshalb an, dass die Nachfrage nach Öl ihren historisch­en Höhepunkt überschrit­ten hat. Bisher erwartete die Energiebeh­örde IEA diesen Gipfel für das kommende Jahrzehnt. Carbon-tracker-experte Bond glaubt dagegen, dass der Corona-schock den Wendepunkt schon jetzt gebracht hat.

„Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“, ist Bond sicher. Bis sich die Ölindustri­e von der derzeitige­n Krise erholt habe, dürften Wind- und Sonnenener­gie so weit entwickelt sein, dass sie eine wachsende Nachfrage nach Energie auffangen könnten, erwartet er. Anders gesagt: Öl wird wahrschein­lich nie mehr so dringend gebraucht wie vor Corona.

„Dem fossilen Sektor hat das letzte Stündlein geschlagen“Kingmill Bond Experte der Denkfabrik Carbon Tracker

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