Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Nachbarn mit Schwanenge­sang gegen Corona-Trübsinn

Es wirkt Wunder gegen Corona-trübsinn: Seit Wochen singen Nachbarn der Schwanenst­raße jetzt jeden Abend.

-

VOERDE (cor) Eigentlich seien die Italiener schuld, meint Thomas Hecker schmunzeln­d. Als er im März Fernsehbil­der von singenden und klatschend­en Menschen sah, die auf ihren Balkonen der Corona-krise trotzten, war er von der Idee sofort angetan. Dann kam der Aufruf an alle Musiker, „Freude schöner Götterfunk­en“am offenen Fenster zu spielen. Als Thomas Hecker kurz darauf auf dem Heimweg einen Nachbarn traf, schlug er direkt vor, gemeinsam am Abend die „Ode an die Freude“zu singen.

Der Nachbar war begeistert, per Zetteleinw­urf in den Briefkaste­n wurden weitere Nachbarn informiert, etwa eine Handvoll kamen beim ersten Mal zusammen. Seitdem trifft sich die Nachbarsch­aft an der Schwanenst­raße in der Nähe der Fasanenstr­aße jeden Abend um 19 Uhr zum Singen – und das bei Wind und Wetter. „Wir haben hier auch schon mit Glühwein gestanden, jeder hat seine eigene Tasse mitgebrach­t“, erzählt Karin Grollmus.

Das allabendli­che Treffen des Schwanench­ors ist zu einer Institutio­n geworden. Dafür werden sogar Radtouren zeitlich angepasst und das Abendbrot verschoben. Auch der Chor ist im Laufe von bisher mehr als 70 Abenden gewachsen. 14 Personen verteilten sich am Freitagabe­nd mit Abstand zueinander auf dem Gehweg, im Vorgarten und auf den Einfahrten.

„Die Corona-zeit brachte eine Leere mit sich, das Singen war ein kleines Ziel am Tag“, erklärt Thomas Hecker. „In dieser Zeit gemeinsam mit anderen zu singen ,Alle Menschen werden Brüder‘ ist erhebend.“Und als der Schwanench­or „Freude schöner Götterfunk­en“anstimmt, spürt man auch als Zuhörer, was Hecker meint. Ein stimmungsv­oller Moment, der erahnen lässt, welche Bedeutung das gemeinsame Singen für die Nachbarn hat.

Wie für Hildegard Schäfer, die ihren Chor in Walsum vermisst, in dem sie eigentlich singt. Und auch Ute Radtke findet: „Das Schöne ist, dass man durch Corona die Nachbarn besser kennenlern­t.“Zwar habe man sich vorher schon gekannt, aber jetzt eben näher. Es ist das Gemeinscha­ftsgefühl, das der Schwanench­or am gemeinsame­n Singen so schätzt. Doch die Musik macht nicht nur den Sängerinne­n und Sängern Freude, sondern auch Zuhörern, die zufällig vorbei kommen. „Wir zaubern den Menschen ein Lächeln ins Gesicht“, sagt Hildegard Schäfer. Radfahrer hielten kurz an, Autofahrer kurbelten Fenster herunter, um zu lauschen.

Mancher macht auch spontan mit. So wie Gudrun Neumann-kramer. Sie erlebte den Gesang mal im Vorbeigehe­n. Jetzt singt sie selbst mit im Schwanench­or, dessen Repertoire längst über „Freude schöner Götterfunk­en“hinausreic­ht.

Dieses Lied erklingt immer zum Auftakt, danach folgen drei oder vier weitere Stücke, darunter Volksliede­r oder etwa „Griechisch­er Wein“von Udo Jürgens. Manchmal gibt es auch Thementage. So erklang am 1. Mai „Der Mai ist gekommen“. 25 Lieder umfasst die Textmappe bereits, jeder hat etwas dazu beigesteue­rt. Und jeder hat so seine Lieblingsl­ieder. Diesmal erklingt „Heute hier, morgen dort“von Hannes Wader, es folgen ein stimmungsv­olles „Über sieben Brücken musst du gehen“und ein heiteres „Veronika, der Lenz ist da“, bevor sich zu „Über den Wolken“der Gesang und die Gitarrenkl­änge sanft im lauen Frühsommer­wind wiegen.

Nach zwanzig Minuten ist Schluss, mit einem musikalisc­hen Gruß gehen die Nachbarn auseinande­r. Ihr „Bis morgen!“klingt wie ein Verspreche­n.

 ?? FOTO: LARS FRÖHLICH ?? Anwohner der Schwanenst­raße in Voerde treffen sich jeden Abend draußen, um gemeinsam zu singen – und dies bei Wind und Wetter. Sie haben sogar schon Gast-sängerinne­n „eingefange­n“.
FOTO: LARS FRÖHLICH Anwohner der Schwanenst­raße in Voerde treffen sich jeden Abend draußen, um gemeinsam zu singen – und dies bei Wind und Wetter. Sie haben sogar schon Gast-sängerinne­n „eingefange­n“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany