Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Und die „Götterdämmerung“zum Frühstück
Ard-alpha zeigt in einer Wagner-nacht Patrice Chéreaus denkwürdige Bayreuther „Ring“-inszenierung aus dem Jahr 1976.
BAYREUTH In diesem Jahr ist alles anders. Eigentlich wären wir dieser Tage erschöpft aus Bayreuth zurückgekehrt, wir hätten einen neuen „Ring des Nibelungen“gesehen, wir hätten wieder nächtelang diskutiert, wie das am Hügel auch gar nicht anders geht. Wir hätten uns wieder über die harten Sitze geärgert und über die Leute gewundert, die um 16.55 Uhr Hummerbratwurst konsumieren. Wir hätten geschworen, dass wir uns Bayreuth nie, nie, nie wieder antun – um dann im Oktober abermals Karten fürs kommende Jahr zu ordern.
Nun ist Bayreuth wegen Corona ausgefallen, doch nicht ganz: Es kommt es vielmehr zu uns. Die legendäre „Ring“-inszenierung von Patrice Chéreau, die von 1976 bis 1980 bei den Bayreuther Festspielen geboten wurde, wird am kommenden Freitag und Samstag (7. und 8. August) bei Ard-alpha zu sehen sein. „Damit ist der als ,Jahrhundertring’ gefeierte Zyklus erstmals seit 40 Jahren wieder im FreeTV zu erleben“, teilte der Bayerische Rundfunk mit.
Chéreaus Interpretation von Richard Wagners Vierteiler „Der Ring des Nibelungen“mit Pierre Boulez am Dirigentenpult gilt bis heute als wegweisend. Aufgeführt 100 Jahre nach den ersten Festspielen im Jahr 1876, ging die Inszenierung als Meilenstein in die Geschichte ein. Der französische Regisseur, damals erst Anfang 30, brach radikal mit den Bayreuther Inszenierungsgewohnheiten. Er verlegte die Handlung in die Zeit der Frühindustrialisierung des 19. Jahrhunderts und gestaltete seine Inszenierung als eine Analyse politischer Macht.
Die Traditionalisten im Publikum waren empört, im Saal kam es zu Tumulten, außerhalb sogar zu Kundgebungen und Unterschriftenlisten. Doch als 1980 die letzte Vorstellung gegeben wurde, hatte sich die Stimmung längst gedreht: Es gab 101 Vorhänge, länger als eine Stunde währte der Applaus.
Der Wüterich Chéreau war im Grunde ein leiser Denker, der sich für seine Arbeiten sehr viel Zeit nahm, sie minutiös plante, und er war auch offen für Kritik. Seine vermutlich berühmteste Produktion war jener „Ring des Nibelungen“. Wer sie je live oder später auf Video gesehen hat, bekam Bilder geliefert, die sich unauslöschlich auf der Festplatte aller Bilder eines Lebens speicherten. Das Stauwerk der Rheintöchter, der mythische Walkürenfelsen, den Chéreau der „Toteninsel“von Arnold Böcklin nachempfunden hatte, überhaupt die poetische Verklammerung von antikem Märchen und politischer Zivilisationskritik — Chéreau war nicht der Erste, der Wagner in die Gegenwart transformierte, aber seine Intelligenz und visionäre Theatersprache waren beispielhaft.
Noch heute spricht man auf dem Grünen Hügel vom „Chéreau-ring“, als handele es sich um das achte Weltwunder.
Info Die Ausstrahlung beginnt am Freitag um 20.45 Uhr mit „Rheingold“, es folgen „Walküre“(23.30 Uhr) und „Siegfried“(3.10 Uhr), ehe die „Götterdämmerung“am Samstag ab 7 Uhr den Schlusspunkt setzt. Zum Auftakt der langen „Ring-nacht“wird am Freitag um 20.15 Uhr die Dokumentation: „Ring, Ring, Ring“, auf den Spuren von Loops und Legenden, gezeigt.