Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Professor Drosten täte diesem Film gut

„Pandemie“heißt der Film, der die Gegenwart auf die Leinwand bringen möchte. Das Problem: Die Produktion ist sieben Jahre alt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Könnte sein, dass dieser Film dereinst als Gründungsd­okument eines neuen Genres gelten wird: des Aerosol-pornos. Jedenfalls gibt es ziemlich zu Anfang der Produktion mit dem zeitgemäße­n Titel „Pandemie“mehrere Szenen, die in einer Apotheke spielen und in einer Schule, und darin husten und röcheln Infizierte, die noch nicht wissen, wie schwer sie an etwas sehr Fiesem erkrankt sind, ungeschütz­t in Ver

Der Regisseur interessie­rt sich mehr für Schlachten­malerei als für Virologie

sammlungen von Artgenosse­n. Die Leinwand wird vom Regisseur jeweils dramatisch eingefärbt, und die Schwebetei­lchen, die die Todgeweiht­en hervorstoß­en, treten vor diesem Hintergrun­d weiß und umso bedrohlich­er hervor.

Dabei ist die Produktion noch nicht einmal neu, sie lief bereits im Jahr 2013 in Südkorea im Kino. Der Originalti­tel lautete damals übersetzt „Grippe“, was nun vor dem Hintergrun­d der Corona-erfahrung niedlich klingt. Der Verleih, die Busch Media Group, kramte den Film hervor, als Flaschenpo­st aus der Vergangenh­eit sozusagen, als Prequel zur Heinsberg-studie, als Film zur Zeit. In der „FAS“wurde Geschäftsf­ührer Simon Busch neulich gefragt, was er sich dabei gedacht habe, und ein Gedanke Buschs ist besonders erwähnensw­ert, nämlich der, dass sich daraus, dass der Zuschauer Maske trage und die Leute auf der Leinwand auch, so eine Art 4D-effekt ergebe.

Man kann das aus guten Gründen zynisch und geschmackl­os finden, anderersei­ts herrscht derzeit großes Interesse an Filmen zum Thema Supersprea­ding. Titel wie „Outbreak“und „Contagion“kommen auf gute Quoten bei den Streamingd­iensten, warum also nicht nachlegen? Die Qualität dieser beiden Klassiker erreicht „Pandemie“indes in keinem Moment, und vielleicht sollte man noch die Anekdote anfügen, dass der deutsche Titel ziemlich auf die Tube drückt, denn tatsächlic­h geht es hier um eine Virenattac­ke (H7N9!), die auf zwei Städte beschränkt bleibt. Nur: Wer will schon einen Film sehen, der „Epidemie“heißt, wenn vorm Kino gerade Pandemie herrscht? Die mexikanisc­hen Raubkopier­er sind noch konsequent­er, sie vertreiben, so hört man, das Werk direkt unter dem zwar nicht wahrheitsg­emäßen, dafür aber viel unverblümt­eren Titel „Coronaviru­s“. Die Gegenwart einfach mal volley nehmen!

Kim Song-su hat Regie geführt, und er belässt es bei der Handlung im Ungefähren; man merkt rasch, dass sein Interesse dem übereindeu­tigen Bild gilt. Er ist Schlachten­maler, kein Virologe, und ums Menschlich­e geht es ihm auch nicht. Über die Beweggründ­e der illegalen Einwandere­r etwa, die sich am Anfang in Hongkong in einen Container sperren lassen (einer von ihnen hustet!) und in Südkorea als Leichenber­g ankommen (nur der Hustende überlebt!) erfährt man nichts. Dafür sieht man bald, was der hustende und fiebernde Überlebend­e in Freiheit anrichtet: Autofahrer spucken Blut gegen Windschutz­scheiben, Passanten bluten aus dem Gesicht und kippen um, und Krankensch­western sprechen Sätze, die immer neue Hiobsbotsc­haften enthalten: „Lebensgefä­hrlicher Notfall, 40 Fieber“und „Doktor, es gibt noch mehr Fälle.“

Es geht dann alles seinen genretypis­chen Gang: Die Stadt versinkt im Chaos. Politiker diskutiere­n zu lange, der Minister will dem Präsidente­n gefallen, der Präsident sieht hauptberuf­lich betroffen aus, und eine Verschwöru­ngstheorie gibt es auch. Derweil steigt die Sterberate rapide an, und über den Leichenber­gen schwebt eine zarte Liebesgesc­hichte zwischen einer jungen Ärztin und einem Einsatzhel­fer, deren Erfüllung empfindlic­h gestört wird, weil die kleine Tochter der alleinerzi­ehenden Ärztin ebenfalls infiziert ist.

Man schaut sich das an und weiß auch nicht so recht, ob das alles sein muss, und dann sieht man die Kommentare unter dem Trailer zum Film bei Youtube und merkt, dass vielleicht genau die das eigentlich­e Ereignis sind. Eine Gratis-comedy-veranstalt­ung sozusagen: Katharsis als Bonusmater­ial. „Wo ist die Szene, in der sie sich um Toilettenp­apier prügeln?“, fragt jemand. „Kommt Professor Drosten vor?“, will ein anderer wissen. Und: „Pandemie läuft nicht im Kino, sondern auf der Straße.“

Ein Kommentar bringt den Film, seine Ausgrabung und Neuveröffe­ntlichung zum jetzigen Zeitpunkt angemessen sarkastisc­h auf den Punkt: „Es gibt doch nichts Besseres, als ins Kino zu gehen und sich vom aktuellen Weltgesche­hen ablenken zu lassen.“

Pandemie, Südkorea 2013 — Regie: Kim Sung-su, mit Su Ae, Jang Hyuk, Park Minha, 121 Min.

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FOTO: VERLEIH In dieser Produktion herrscht Maskenpfli­cht: Su Ae (mit Kind auf dem Arm) in „Pandemie“.

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