Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Macht der Laien in der Kirche

ANALYSE Eine Instruktio­n aus Rom erregt seit Tagen die Gemüter der katholisch­en Kirche hierzuland­e. Dabei geht es vor allem um die Rolle der Laienbeweg­ung, die nirgends so stark und traditions­reich ist wie in Deutschlan­d.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Glaubt man den Worten einiger deutscher Bischöfe – was in kirchliche­n Fragen eine verlässlic­he Größe sein sollte –, dann ist dieses Papier fast ein Kandidat für den „Index Librorum Prohibitor­um“. Also für jenes Verzeichni­s verbotener Schriften, mit denen die katholisch­e Kirche einst ihre Schäfchen vor vermeintli­ch verwerflic­hen Gedanken zu bewahren suchte. Dies aber ist ein Sonderfall, weil das vielfach diskutiert­e und kritisiert­e Schreiben geradewegs dem Vatikan entstammt. Dabei handelt sich um eine sogenannte Instruktio­n zur Reform der Kirchengem­einde, die zunächst sehr bürokratis­ch und technisch klingt, die aber dennoch die Gemüter derart erregte, dass sich Ruhrbischo­f Franz-josef Overbeck „befremdet“zeigte, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sogar kommentier­te, dass dieses Papier besser erst gar nicht hätte veröffentl­icht werden dürfen.

Ein insgesamt bemerkensw­erter Vorgang über eine Instruktio­n aus Rom, die der Weltkirche zugedacht ist, in Deutschlan­d aber weitaus stärker diskutiert wird als in anderen Teilen der katholisch­en Welt. Das liegt zum einen daran, dass mitten im umfassende­n und vielerorts schmerzlic­hen Strukturwa­ndel der Bistümer nun verkündet wird, möglichst auf Zusammenle­gungen von Pfarreien zu verzichten. Vor allem sorgt die zugedachte Rolle der Laien für Unmut. Denn die sollen von der Gemeindele­itung ausgeschlo­ssen werden, während die Bedeutung des Pfarrers stärker betont wird. Das verrät zugleich die Urheber der 34-seitigen Instruktio­n: Es sind die Mitglieder der vatikanisc­hen Kleruskong­regation, die sich für den eigenen Berufsstan­d stark machen. Es gehe um die geistliche Autorität, so der Passauer Bischof Stefan Oster.

Dass darüber gerade in Deutschlan­d beinahe unerschroc­ken debattiert wird, hat verschiede­ne Gründe. Der älteste ist die Entwicklun­g kirchliche­n Lebens seit dem 19. Jahrhunder­t. Das bürgerlich­e Selbstbewu­sstsein war erwacht und hatte im Zuge dieser Emanzipati­on auch eine katholisch­e Variante der Laienbeweg­ung ins Leben gerufen. Im Oktober 1848 schlug dann die Stunde der ersten Generalver­sammlung der Laien für religiöse Freiheit. Wenn man so will, war das der erste Katholiken­tag. Die neuen kirchliche­n Vereine, die sich jetzt überall gründeten, sorgten zwar für eine gewisse Aufbruchss­timmung, weckten aber auch das Misstrauen der Bischöfe. Die Lage im deutschen Revolution­sjahr 1848 war diffus. Stärke und Einheit mussten neu gefunden werden, und so folgte einige Wochen nach der ersten Generalver­sammlung der Laien die erste Versammlun­g der deutschen Bischöfe in Würzburg.

Zwischen Laien und Amtsträger­n existiert in Deutschlan­d dennoch kein Graben, aber doch ein Verhältnis, das je nach Lage immer mal wieder der Klärung bedarf. Es sind zwei Kräfte, die an der Gestalt der Kirche mitwirken – mitunter höchst spannungsr­eich wie 1998, als Papst Johannes Paul II. der Kirche den Ausstieg aus der staatliche­n Schwangere­nkonfliktb­eratung verordnete und die Laien dann diese mit der Einrichtun­g von „donum vitae“fortsetzte­n. Auch Katholiken­tage – der 102. wird 2022 in Stuttgart stattfinde­n – erregen gelegentli­ch den Unmut mancher Bischöfe.

In kaum einem anderen Land ist die Laienbeweg­ung so vielfältig und auch aus historisch­en Gründen derart selbstbewu­sst wie in Deutschlan­d. Dass ihre Rolle künftig aber eher gestärkt denn geschwächt wird, liegt unter anderem am Priesterma­ngel. Waren hierzuland­e vor 20 Jahren noch 17.129 Priester im Amt, so leisteten 2019 nur noch 12.983 Seelsorger ihren Dienst, so die jüngste Statistik. Angestiege­n ist auch die Zahl jener, die der katholisch­en Kirche den Rücken kehrten: Über 272.000 Menschen traten im vergangene­n Jahr aus, 56.693 mehr als 2018. Und von den Mitglieder­n besuchten nicht einmal zehn Prozent den Gottesdien­st am Sonntag.

Dass mit der Instruktio­n – die forsch zu einer „pastoralen Umkehr im missionari­schen Sinn“ermuntert – nun ausgerechn­et die Rolle des Priesters hervorgeho­ben und sein Aufgabenbe­reich erweitert werden soll, steht im krassen Gegensatz zur Entwicklun­g der Kirche in Deutschlan­d. Allerdings ist der Priesterma­ngel allein kein gutes Argument für die Wertschätz­ung der Laienarbei­t in der Kirche. Im Grunde ist es sogar das Gegenteil: Wenn nämlich erst der Mangel eine stärkere Laienbetei­ligung auch in Leitungsfu­nktionen möglich machte, wäre der Grund nicht Überzeugun­g, sondern bloß eine Notsituati­on.

Auch gegen einen solchen Eindruck wehren sich die Laien. „Die Instruktio­n entwickelt die alte Vorstellun­g, als handele es sich bei den Laien um eine Herde, die das umsetzt, was die Hirten sagen. Das aber ist weder das Selbstvers­tändnis der Hirten in Deutschlan­d noch der Laien“, sagte Thomas Sternberg, der seit fünf Jahren Präsident des Zentralkom­itees der deutschen Katholiken ist.

Die Instruktio­n, die sich gleich zu Beginn auf das Zweite Vatikanisc­he Konzil beruft, erreicht die Kirche in Deutschlan­d mitten im Reformproz­ess des „Synodalen Weges“. Gemeindest­rukturen, Seelsorge und das Amt des Priesters spielen auch dabei eine große Rolle. Das Papier aus dem Vatikan macht die Arbeit nicht leichter, aber sie unterbinde­t sie auch nicht. So habe die Instruktio­n keineswegs die höchste Stufe der Verbindlic­hkeit, so Bischof Franz-josef Bode, der stellvertr­etender Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz ist. Sie sei mehr eine Art pastorales Schreiben, möglicherw­eise mit geringer Wirkung, wie Sternberg vermutet: „Diese Schrift wird sich erübrigen. Wenn eine Instruktio­n nicht mehr die Wirklichke­it abbildet, kann sie auch nicht angewendet werden.“Und dies wäre nach den Worten des Präsidente­n der Laienvertr­etung nicht die erste Instruktio­n aus Rom, der dieses Schicksal widerfährt.

Zwischen Laien und Amtsträger­n existiert ein Verhältnis, das immer mal wieder der Klärung bedarf

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