Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Schluss mit dem Wahnsinn im Zielsprint

- VON CHRISTOS PASVANTIS

Stellen Sie sich vor, Sie rasen auf einem Carbongest­ell mit 80 Stundenkil­ometern einen asphaltier­ten Hang hinab, auf der wenige Meter breiten Strecke rasen nur Zentimeter neben Ihnen fünf oder sechs weitere Menschen, hinter Ihnen auch. Links und rechts von Ihnen Metallabsp­errungen, geschützt sind sie nur durch einen Helm. Das klingt nicht nur wahnsinnig, das ist Wahnsinn. Und nach dem Horror-unfall bei der Polen-rundfahrt, nach dem der Niederländ­er Fabio Jakobsen im künstliche­n Koma liegt, muss das ein Ende haben.

Der 23-jährige Jakobsen, der von Dylan Groenewege­n abgedrängt wurde, krachte im Zielsprint mit vollem Tempo in die Absperrung. Dass Jakobsens Teamchef Groenewege­n eines „Mordanschl­ags“bezichtigt­e, ist in der Aufregung verständli­ch, zielt aber am eigentlich­en Problem vorbei. Groenewege­ns Angriff war rücksichts­los, aber nicht bösartig. Massenziel­sprints im Radsport bedeuten eben Chaos, Tempo und Spannung – auch ohne steile Abfahrt und Tempo 80. Sie sind gefährlich­e Zentimeter­arbeit, jeder Fehler kann fatale Folgen haben. Das wissen die Radprofis, trotzdem sind Platzierun­gen zu wichtig, um Tempo rauszunehm­en. Groenewege­ns Angriff war ein schwerer Fehler. Aber Fehler passieren, gerade wenn Sekundenbr­uchteile zählen. Aufgabe der Veranstalt­er ist es, Profis gar nicht erst in eine Situation zu bringen, in der Fehler solche Auswirkung­en haben.

Die Fahrer kritisiere­n das regelmäßig. „Sie wollen immer die Show. Hier ist die Show“, sagte Fabio Sabatini. Dass die Profis dieses Spiel mitspielen, kann man ihnen kaum vorwerfen. Aus finanziell­er Sicht haben sie keine Wahl. Dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, ist nicht zu verhindern, dafür ist der Sport zu gefährlich. Aber es gilt zumindest, Risiken zu minimieren. Der Weltverban­d UCI teilte in einem Statement gegen Groenewege­n aus, verlor aber kein Wort über die steile Strecke. Wenn er nichts macht, müssen die Veranstalt­er eingreifen. Spektakel darf nicht vor Sicherheit gehen. Bergab-sprints will spätestens nach diesen Bildern niemand mehr sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany