Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Schluss mit dem Wahnsinn im Zielsprint
Stellen Sie sich vor, Sie rasen auf einem Carbongestell mit 80 Stundenkilometern einen asphaltierten Hang hinab, auf der wenige Meter breiten Strecke rasen nur Zentimeter neben Ihnen fünf oder sechs weitere Menschen, hinter Ihnen auch. Links und rechts von Ihnen Metallabsperrungen, geschützt sind sie nur durch einen Helm. Das klingt nicht nur wahnsinnig, das ist Wahnsinn. Und nach dem Horror-unfall bei der Polen-rundfahrt, nach dem der Niederländer Fabio Jakobsen im künstlichen Koma liegt, muss das ein Ende haben.
Der 23-jährige Jakobsen, der von Dylan Groenewegen abgedrängt wurde, krachte im Zielsprint mit vollem Tempo in die Absperrung. Dass Jakobsens Teamchef Groenewegen eines „Mordanschlags“bezichtigte, ist in der Aufregung verständlich, zielt aber am eigentlichen Problem vorbei. Groenewegens Angriff war rücksichtslos, aber nicht bösartig. Massenzielsprints im Radsport bedeuten eben Chaos, Tempo und Spannung – auch ohne steile Abfahrt und Tempo 80. Sie sind gefährliche Zentimeterarbeit, jeder Fehler kann fatale Folgen haben. Das wissen die Radprofis, trotzdem sind Platzierungen zu wichtig, um Tempo rauszunehmen. Groenewegens Angriff war ein schwerer Fehler. Aber Fehler passieren, gerade wenn Sekundenbruchteile zählen. Aufgabe der Veranstalter ist es, Profis gar nicht erst in eine Situation zu bringen, in der Fehler solche Auswirkungen haben.
Die Fahrer kritisieren das regelmäßig. „Sie wollen immer die Show. Hier ist die Show“, sagte Fabio Sabatini. Dass die Profis dieses Spiel mitspielen, kann man ihnen kaum vorwerfen. Aus finanzieller Sicht haben sie keine Wahl. Dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, ist nicht zu verhindern, dafür ist der Sport zu gefährlich. Aber es gilt zumindest, Risiken zu minimieren. Der Weltverband UCI teilte in einem Statement gegen Groenewegen aus, verlor aber kein Wort über die steile Strecke. Wenn er nichts macht, müssen die Veranstalter eingreifen. Spektakel darf nicht vor Sicherheit gehen. Bergab-sprints will spätestens nach diesen Bildern niemand mehr sehen.