Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die erfolgreiche Band um Martie Maguire ist hochpolitisch – das zeigt schon ihr Name.
Comeback mit neuem Namen: Die streitbare Country-gruppe aus den USA veröffentlicht nach 14 Jahren ein neues Album.
LOS ANGELES/NEW YORK Irgendwie niedlich war er, der Name der Band, die es einmal schaffte, die halbe USA gegen sich aufzubringen. The Dixie Chicks, das klang wie der gemütliche Süden, Limonade auf der Veranda, ein Blick auf goldene Kornfelder, ein lauer Sommerwind lässt die Ähren wiegen. Das „Chicks“(zu deutsch: Küken) tat noch ein wenig Witz und Selbstironie dazu; ein sympathischer Name für ein sehr sym
Nach einem gegen George W. Bush gerichteten Satz brach eine Hexenjagd gegen sie los
pathisches Trio also. Drei blonde, junge Frauen, die mit Akustikgitarren, Schellenkranz und Banjo auf der Bühne stehen und einfach nur singen möchten – könnte man meinen. Wer das aber glaubt, hat zwei wichtige Dinge über die Texanerinnen nicht verstanden: Sie sind nicht niedlich, sie haben Krallen und keine Angst, sie zu benutzen.
1989 fanden sich Laura Lynch, Robin Lynn Macy und die Schwestern Martie und Emily Erwin in Dallas zusammen, zogen Cowboykostüme an und verdienten sich mit Bluegrass- und Roots-musik ein Trinkgeld auf lokalen Bühnen. 31 Jahre, 13 Grammys und 33 Millionen verkaufte Platten später besteht die wohl erfolgreichste Frauen-band der Welt (und definitiv der USA) heute aus Frontsängerin Natalie Maines, Emily Strayer und Martie Maguire (beide ehemals Strayer). Mit „Gaslighter“erscheint jetzt das achte Studioalbum des Trios, das 14 Jahre lang seit der letzten größeren Veröffentlichung vergehen ließ. Still war es jedoch nicht um die Band, die diese Zeit nutzte, um durch die Staaten und Europa zu touren. Erst vor wenigen Wochen schaffte es eine Nachricht um die Dixie Chicks, auch in Deutschland zum Gesprächsstoff zu werden – und die hat mit ihrem Namen zu tun.
Am 25. Juni 2020 gaben die Frauen bekannt, das „Dixie“streichen zu wollen, weil sie sich „that stupid name“, diesen dummen Namen, als Teenager ausgedacht hätten; und angesichts der „Black Lives Matter“-bewegung auch von der im Country beliebten Glorifizierung des „old south“, der „Dixie“genannten Südstaaten der USA, lösen wollten, die einst für das Bürgerrecht auf Sklaverei in den Krieg zogen. Der „New York Times“erzählte Sängerin Maines, sie habe sich persönlich von „Menschen distanzieren wollen, die die Dixie-flagge schwenken“. Gemeint ist die Konföderierten-fahne – weiße Sterne auf blauem Kreuz auf rotem Grund. Als Symbol für die rassistische Vergangenheit der USA ist sie nicht nur bei amerikanischen Neo-nazis beliebt, sondern auch ein immer irgendwie salonfähig gebliebener, patriotischer Ausdruck der Verbundenheit zu den Südstaaten – und zum Country und Southern-rock.
Wer im Ablegen des „Dixie“im Namen einen PR-GAG der Band zur Werbung für „Gaslighter“sieht – das übrigens anfangs noch mit The Dixie Chicks beworben wurde –, dem sei folgende Anekdote mitgegeben, die beispielhaft für die politische Entschlossenheit der „Chicks“steht. Neun Tage vor der Irak-invasion im Jahr 2003 standen die drei Musikerinnen auf einer Londoner Bühne, und Maines erklärte vor dem Lied
„Travelin’ Soldier“, den Krieg nicht zu unterstützen und sich dafür zu schämen, dass Präsident George W. Bush Texaner sei. Was folgte, ist einer der seltenen Fälle, in denen man ohne zu übertreiben das Wort Hexenjagd verwenden kann: Tausende Radiostationen boykottierten die Dixie Chicks, Morddrohungen erreichten die Musikerinnen, und der Imageschaden wirkte sich laut der Band noch 2006 negativ auf die Verkaufszahlen des neuen Albums „Taking the Long Way“aus. Diese schweren Jahre beleuchtet die Doku „Dixie Chicks: Shut up and sing“, deren Titel ein Zitat der konservativen Tv-moderatorin Laura Ingraham und die Meinung vieler kriegsbegeisterter Patrioten zur Band ausdrückt: Haltet die Klappe und singt. Die Gruppe stand plötzlich auf Kriegsfuß mit der Country-szene, und sie tut dies bis heute.
All das ändert nichts daran, dass The Chicks, diese Punks des Country, zum Besten gehören, was das Genre zu bieten hat. Die Lieder auf „Gaslighter“stampfen und schleichen auf genau die richtige Weise, sie berühren und lassen vieles offen, bringen den Fuß zum Wippen und machen Lust zu tanzen. Der bombastische, titelgebende Song ist ein Ohrwurm (mit 17 Millionen Wiedergaben bei Spotify nach gerade einmal zwei Wochen), bei dem man gleich weiß,
dass man ihn über Monate nicht loswird. Nicht nur bei „Gaslighhter“erwischt man sich beim Mitsingen oder wundert sich, wann man zuletzt eine Gänsehaut hatte, wie sie die letzte Zeile des Refrains von „Everybody loves you“einjagt. Die kitschige, im Country ansonsten omnipräsente Lap-steel-gitarre vermisst man auf dem Album überhaupt nicht, der authentische Westerngitarren-klang Strayers, die sehr zurückhaltende Violine und Mandoline Maguires und der perfekte, aber nie künstlich wirkende Satzgesang lassen das Gefühl entstehen, die Chicks wären für eine nette Jam-session zusammengekommen und nicht für ein Millionen-dollar-album beim Produzenten Jack Antonoff, bei dem auch Stars wie Taylor Swift, Lorde und Troye Sivan zu Hause sind.
Die Texte auf „Gaslighter“handeln, oberflächlich betrachtet, vom Verlassenwerden und dem Umgang damit. Es sind Tipps zum Besserfühlen und Weitermachen, sarkastische Glückwünsche an den Ex-partner, der nach dem Fremdgehen und der Trennung wieder jemanden gefunden hat, und ganz persönliche Geschichten wie bei „Young Man“, in dem eine Mutter ihrem Sohn den Verlust des Vaters beibringen möchte. Ohne einen Stich ins konservative Herz Amerikas kommt aber auch das neueste Album nicht aus: „March, March“ruft zum Protest auf gegen Waffen, gegen Nachmir-die-sintflut und natürlich gegen Trump. Die „Chicks“zücken ihre Krallen, und der Nationalismus soll sie spüren.