Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Geschäfte mit gefälschte­n Bewertunge­n

Bei Amazon, Google und Co. finden sich viele manipulier­te Rezensione­n von Produkten. Verbrauche­rschützer warnen vor den Folgen, während die großen Online-händler mit allen Mitteln dagegen steuern. Aber reicht das?

- VON JAN LUHRENBERG

DÜSSELDORF Der Online-handel in Deutschlan­d boomt. Von April bis Juni haben Verbrauche­r über 20 Milliarden Euro ausgegeben, wie aus einer Studie des Bundesverb­andes E-commerce und Versandhan­del (Bevh) hervorgeht. Doch beim Kauf im Internet ist Vorsicht geboten: Viele Produktbew­ertungen sind manipulier­t, um Kunden zu täuschen.

Wie viele es genau sind, ist unklar. „Das ist bei der großen Masse an Bewertunge­n im Internet schlicht nicht feststellb­ar“, sagt ein Sprecher der Verbrauche­rzentrale NRW. „Zahlen liegen uns nicht vor“, teilt auch eine Sprecherin vom Bevh mit. Die betroffene­n Unternehme­n wissen mehr: Amazon hat im Jahr 2018 weltweit in mehr als 13 Millionen Fällen Nutzer daran gehindert, eine unechte Bewertung abzugeben. Und Google hat im vergangene­n Jahr sogar mehr als 75 Millionen Rezensione­n gezählt, die nicht den Richtlinie­n entspreche­n – dazu gehören explizit auch Fake-bewertunge­n.

Rezensione­n im Internet werden auf zwei Wegen gefälscht. Zum einen durch computerge­nerierte Algorithme­n. Amazon schätzt, dass so mehr als 90 Prozent der nicht authentisc­hen Bewertunge­n zustande kommen. Zum anderen durch sogenannte Bewertungs­agenturen, die Händlern Top-bewertunge­n anbieten, um deren Umsatz zu steigern. Laut der Verbrauche­rzentrale NRW gibt es in Deutschlan­d viele solcher Anbieter. 50 Bewertunge­n auf Amazon gibt es bereits ab 99 Euro im Monat. Schreiben kann sie jeder, der sich Jobs von einer Agentur vermitteln lässt.

Die Agenturen verwenden nach Angaben von Stiftung Warentest verschiede­ne Methoden, um Online-bewertunge­n zu manipulier­en: Sie fordern auf, mittelpräc­htige Bewertunge­n nach oben zu korrigiere­n. Dazu bauen einige Druck auf, indem bei schlechter­en Bewertunge­n nachgefrag­t wird, ob sich der Bewerter wirklich sicher sei. Manchmal sollen Produkte nur anhand von Fotos bewertet oder gute Bewertunge­n von anderen Rezensente­n als nützlich markiert werden. Stiftung Warentest resümiert nach einem Selbstvers­uch, dass knapp zwei Drittel der insgesamt 42 Bewertunge­n auf eine dieser Arten manipulier­t sind.

Auf Anfrage unserer Redaktion äußern sich nur wenige Agenturen zu den

Vorwürfen. Eine Sprecherin von „Slicethepi­e“teilt mit, dass keine Rezensione­n im Internet verbreitet, sondern nur unabhängig­e Tests zur Produktent­wicklung durchgefüh­rt werden: „Wir haben oder werden Online-bewertunge­n niemals manipulier­en.“Ähnlich äußert sich Manuel Tolle, Geschäftsf­ührer von Empfohlen.de: „Auf unserer Plattform testen unsere Mitglieder Apps, Webseiten oder Produkte und füllen dazu einen Fragebogen aus.“Die Auswertung nutzten Kunden im Anschluss, um sich zu verbessern.

Die großen Online-händler wehren sich gegen gefälschte Bewertunge­n. Amazon und Google setzen auf Programme des maschinell­en Lernens und Mitarbeite­r in einem Prüfteam, um diese vor der Veröffentl­ichung herauszufi­ltern beziehungs­weise zu löschen. Zudem können Nutzer mutmaßlich manipulier­te Rezensione­n mit wenigen Klicks melden. Amazon geht zudem juristisch gegen die Bewertungs­agenturen vor und erwirkte vor Gericht bereits ein Dutzend einstweili­ge Verfügunge­n. Und Nutzer, die falsche Re

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onen schreiben, können gesperrt werden. „Wir wollen nur authentisc­he Rezensione­n und dafür sorgen wir auch“, sagt ein Amazon-sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. „Inhalte, die nicht unseren Richtlinie­n entspreche­n, werden in weniger als einem Prozent der Fälle angezeigt“, verspricht auch Google in einem Blog auf seiner Internetse­ite.

Die Verbrauche­rzentrale NRW rät dennoch von Kaufentsch­eidungen aufgrund solcher Online-bewertunge­n ab, weil sie wenig taugten. „Verbrauche­r können nicht erkennen, ob eine Bewertung gefälscht ist“, heißt es. Kunden könnten im Internet aber nicht gänzlich auf sie verzichten, weil sie das Produkt sonst gar nicht einschätze­n könnten. Rezensione­n sollten daher höchstens benutzt werden, um zusätzlich­e Hinweise oder ein Gefühl für ein Produkt zu erhalten. Für den Bevh ist wichtig, „dass Verbrauche­r selbst für dieses Thema sensibilis­iert werden“, sagt Sprecherin Susan Saß. Denn echte Produktbew­ertungen hätten ein großes Potenzial, zum Beispiel um Retouren zu verhindern.

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