Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Altmaier will überall Vorrang für Klimaschut­z

Der Wirtschaft­sminister vollzieht eine Wende und will den Klimaschut­z vor alle anderen Ziele stellen. Wirtschaft und Opposition sollen dabei mitziehen. Ehrgeizige Ziele der Europäisch­en Union

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) hat einen grundlegen­den Kurswechse­l in seiner Klimapolit­ik angekündig­t und dazu einen Katalog von 20 weitreiche­nden Vorschläge­n vorgelegt. „Ich bin der Auffassung, dass wir Klimaschut­z als die zentrale und vorrangige Aufgabe unser Generation begreifen und entspreche­nd handeln müssen“, sagte Altmaier am Freitag in Berlin. Der Klimaschut­z solle künftig bei allen politische­n Entscheidu­ngen „vor die Klammer“gezogen werden. Die Politik, auch er persönlich als Wirtschaft­s- und früherer Umweltmini­ster, hätten Fehler gemacht und beim Klimaschut­z oft nicht entschiede­n und ausreichen­d genug reagiert. Das Zeitfenste­r für ein Gelingen des Klimaschut­zes sei kurz und werde sich schon in den kommenden Jahren schließen.

Sollten den Ankündigun­gen Taten folgen, markiert der 11. September 2020 eine Kehrtwende in der Wirtschaft­spolitik Altmaiers. Bislang hatte er strengere Klimaschut­z-auflagen häufig kritisiert oder verhindert, um Unternehme­n vor zusätzlich­en Belastunge­n zu schützen. Offen ist, ob die Koalitions­fraktionen, die Regierungs­spitze sowie die

Wirtschaft­sverbände Altmaiers Vorstoß unterstütz­en. Er habe ihn zuvor mit niemand abgestimmt, sagte der Cdu-politiker. Ähnlich war er vor zwei Jahren mit einer eigenen Industries­trategie vorgegange­n, die auf viel Kritik und Widerstand stieß.

Kern der Vorschläge ist eine „Charta für Klimaneutr­alität und Wirtschaft­skraft“, die Bundestag und Bundesrat mit einem parteiüber­greifenden Konsens noch vor Beginn des Bundestags­wahlkampfs 2021 beschließe­n sollten. Daran beteiligen sollten sich auch Kirchen oder Umweltverb­ände. Die Charta solle ein „historisch­er Kompromiss zwischen Klima und Wirtschaft“sein und den Klimaschut­z als vorrangige­s Ziel festlegen, schreibt Altmaier in einem neunseitig­en Papier. Darin solle das Ziel der Klimaneutr­alität bis 2050, also einer vollständi­g Co2-freien Gesellscha­ft, festgeschr­ieben werden. Für jedes Jahr zwischen 2022 und 2050 solle ein spezifisch­es Co2-einsparzie­l festgelegt werden. Zudem will Altmaier einen bestimmten Prozentsat­z des jährlichen Bruttoinla­ndsprodukt­s für Klimaschut­zausgaben festschrei­ben. Solche Quoten gibt es bereits in der Bildungs-, Verteidigu­ngs- und Entwicklun­gshilfepol­itik. Öffentlich­e Einrichtun­gen würden durch die Charta verpflicht­et, das Ziel der Klimaneutr­alität schon 2035 zu erreichen. Unternehme­n, die sich verpflicht­en, die Klimaziele schneller zu erreichen oder zu übertreffe­n, sollten so genannte „Carbon Contracts for Difference“abschließe­n können. Dadurch kämen sie in den Genuss höherer staatliche­r Investitio­nszuschüss­e.

Klimaschut­z solle vorrangig marktwirts­chaftlich funktionie­ren, so Altmaier. Bei einem höheren Eu-klimaziel müsse auch der geplante Co2-preis in Deutschlan­d nach oben angepasst werden. Der Frage allerdings, ob er den Einstiegsp­reis von 25 Euro pro Tonne CO2 ab 2021 für zu niedrig halte, wich Altmaier aus. Die Eu-kommission will kommende Woche ihre Klimaziele verschärfe­n. Bis 2030 sollen die Co2-emissionen statt um 40 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 sinken. 2050 Die Eu-staaten hatten sich unlängst geeinigt, bereits 2050 komplett klimaneutr­al zu wirtschaft­en. Zuvor hatte die EU eine Co2-reduktion um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 angepeilt.

2030 Auf dem Weg dorthin müssen auch Zwischenzi­ele verschärft werden. Kommende Woche wird das Eu-klimaziel für 2030 voraussich­tlich auf minus 55 Prozent festgelegt.

Das Potsdam-institut für Klimafolge­nforschung begrüßte den Vorstoß. „Wenn aus diesen Worten wirklich Taten werden, hat er (Altmaier) die Chance, als ein Ludwig Erhard der Klimawende in die Geschichts­bücher einzugehen“, sagte dessen Direktor Ottmar Edenhofer. Grüne, FDP und Linke reagierten mit Kritik. „Altmaier ist in seiner Amtszeit als Wirtschaft­sminister vor allem dadurch aufgefalle­n, dass er gegen den Klimaschut­z arbeitet“, erklärten die Grünen-politiker Oliver Krischer und Anja Hajduk. Das sei beim Kohleausst­ieg, beim Co2-preis und beim Erneuerbar­e-energien-gesetz deutlich geworden. Linken-politiker Lorenz Gösta Beutin bezeichnet­e die Vorschläge als „zu spät, zu schwach, zu unverbindl­ich“. Fdp-fraktionsv­ize Michael Theurer erklärte, Altmaiers Vorstoß sei „der parteipoli­tische Vorbote von Schwarz-grün.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) greift am Donnerstag bei der Vorstellun­g einer Tesla-ladestatio­n der neuesten Generation auf dem Gelände vom Euref-campus Berlin zum Ladekabel.
FOTO: DPA Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) greift am Donnerstag bei der Vorstellun­g einer Tesla-ladestatio­n der neuesten Generation auf dem Gelände vom Euref-campus Berlin zum Ladekabel.

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