Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Gott“in Düsseldorf

Ferdinand von Schirachs neues Stück über Sterbehilf­e wurde im Schauspiel­haus uraufgefüh­rt.

- VON BERTRAM MÜLLER

Auf einem Gazevorhan­g vor der Bühne erscheint riesig der Kopf eines alten Mannes. Es ist Wolfgang Reinbacher, das langjährig­e, stilbilden­de Mitglied des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses, diesmal coronabedi­ngt nur als Projektion zugegen, dennoch ganz gegenwärti­g. In der Uraufführu­ng von Ferdinand von Schirachs Stück „Gott“im Kleinen Haus spielt er Herrn Gärtner, den Mann, dessen Sterbewuns­ch die Diskussion des zweistündi­gen Abends in Gang setzt. Am Ende darf, wie in Schirachs Bestseller-stück „Terror“von 2015, das Publikum abstimmen. Damals ging es um den Abschuss eines Passagierf­lugzeugs, das ein Terrorist auf die Allianz-arena in München lenkt, diesmal lautet die Frage: Wenn Sie Arzt wären, würden Sie einem Sterbewill­igen ein tödliches Medikament verabreich­en?

Bedenkt man, dass derlei Themen zwischen Moral und Justiz nicht unbedingt feuriges Theater garantiere­n, hat Regisseur Robert Gerloff mit seinem Team das Bestmöglic­he herausgeho­lt. Nicht nur der Einsatz der transparen­ten Videoleinw­and mit Bild- und Tonschnips­eln in und zwischen den Szenen bringt Bewegung in den Abend. Auch die Besetzung trägt mit gegensätzl­ichen Temperamen­ten dazu bei, dass die Zuschauer dem Vortrag der Argumente einigermaß­en gebannt folgen. Parallel bot übrigens Oliver Reese eine Uraufführu­ng des Stücks im Berliner Ensemble, weitere Theater werden folgen.

Die Sitzung des Deutschen Ethikrats. die da vor dem Düsseldorf­er Theaterpub­likum simuliert wird, wirkt als Szenario aus Tischen, Stühlen und Befragunge­n trotz aller Belebung etwas klinisch. Der Fall, der dort verhandelt wird, ist dieser: Herr Gärtner, 78 Jahre alt und kerngesund, möchte sterben, weil er in seinem Leben ohne seine vor zwei Jahren an einem Hirntumor gestorbene Ehefrau keinen Sinn mehr sieht. Nichts und niemand kann ihn von diesem Wunsch abhalten, denn das lange Leiden seiner Frau will er sich selbst und der Menschheit ersparen.

Mittel der Wahl wäre eine tödliche Dosis Natrium-pentobarbi­tal, ein schmerzlos­er, unkomplizi­erter Weg in den Tod. Seit das Bundesverf­assungsger­icht am 26. Februar 2020 das Verbot „gewerbsmäß­iger Beihilfe“zur Selbsttötu­ng aufhob, steht dem auch rechtlich nichts mehr im Weg, wenn auch im Zweifelsfa­ll ein Sachverstä­ndigenrat tagen muss. Doch was sagt die Moral?

In schlichter Reihung nehmen die einzelnen Positionen Gestalt an. Da ist zunächst Dr. Brandt. Florian Lange spielt Herrn Gärtners Augenarzt und Vertrauten. Der spricht sich bedächtig für Hilfe bei der Selbsttötu­ng aus, weil viele allein unternomme­ne Suizidvers­uche fehlschlag­en und den Betroffene­n dadurch womöglich lebenslang­es Leid aufbürden. Später allerdings wird er sagen: „Ein Suizidvers­uch ist oft ein Ruf nach Hilfe“, er wird sich je nachdem für psychologi­sche Behandlung oder den Weg der Palliativm­edizin einsetzen.

Friederike Wagner befragt als Dr. Keller, Mitglied des Ethikrats, Hanna Werth als rechtssach­verständig­e Professori­n Litten danach, was ein assistiere­nder Arzt rechtlich darf und was ihm untersagt ist. Rasch spielt sich Cathleen Baumann als Herrn Gärtners forsche Rechtsanwä­ltin in den Vordergrun­d. Sie belehrt das Publikum, dass die Verankerun­g Gottes in der Präambel des Grundgeset­zes lediglich Demut angesichts der zurücklieg­enden, braunen Jahre bedeute und nicht das Christentu­m als Staatsreli­gion festlegen wolle.

Die Stimmung tendiert zu einem verantwort­ungsvollen Umgang mit dem letzten Mittel Selbsttötu­ng, bis Thomas Wittmann als Bischof Thiel in schwarzem Ornat die Bühne betritt. „Ich glaube, es sollte weiterhin verboten bleiben, einen Menschen zu töten“, sagt er. Er warnt davor, zwischen würdigem und unwürdigem Leben zu unterschei­den und womöglich kranken alten Menschen, die „den anderen nicht zur Last fallen wollen“, eine Selbsttötu­ng nahezulege­n.

„Diese Menschen brauchen stattdesse­n Trost und Zuwendung“, fügt er hinzu. Zugleich schöpft der Geistliche tief aus dem Christentu­m: „Leben ist Leiden.“Und: „Das Leiden der Christen ist Reinigung. Das Kreuz zu tragen ist der wirkliche Sinn des Lebens.“Mit Thomas von Aquin beharrt er darauf, Gott habe das Leben gegeben, und nur er dürfe es nehmen.

Damit sind die Positionen befestigt. Statt zur Abstimmung zu kommen, ruft Ferdinand von Schirach allerdings zu etwas ermüdenden, wiederhole­nden Schlusssta­tements auf. Sein Prinzip ist es, Themen so glasklar zu vermitteln, dass jeder mitkommt. Am Ende sprechen sich, wenig überrasche­nd, 50 Zuschauer mittels grüner Karte für Sterbehilf­e aus, 17 mit einer roten Karte dagegen. Auch in Berlin stimmen mehr als die Hälfte dafür.

Der Applaus des Düsseldorf­er Publikums klang im coronabedi­ngt schwach besetzten Saals nur gedimmt. Sicherlich wird der eine oder andere auf dem Nachhausew­eg überlegt haben, ob er oder sie richtig abgestimmt hat. Denn die Fälle, um die es im Leben geht, sind erfahrungs­gemäß so individuel­l, dass man ihnen mit Rot und Grün nicht beikommt. Da gibt es zum Beispiel Patientenv­erfügungen, in denen der Fall, der eintrat, nicht vorweggeno­mmen ist, sodass Angehörige, Ärzte und, sofern noch ansprechba­r, der oder die Betroffene miteinande­r ins Gespräch kommen müssen. Und mancher Geistliche wird Altes und Neues Testament sicherlich weniger strikt auslegen als der Bischof im Stück. Schließlic­h predigt das Christentu­m nicht nur die Annahme von Leid, sondern mehr noch Barmherzig­keit.

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FOTO: SANDRA THEN Thomas Wittmann in der Düsseldorf­er Schirach-produktion.

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