Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Der einzige Fehler ist, nichts zu tun“

Ab Montag versuchen Notfallmed­iziner in der „Woche der Wiederbele­bung“für das Thema Ersthilfe zu sensibilis­ieren. In Deutschlan­d wird nur bei 40 Prozent der Herzstills­tände entspreche­nd gehandelt. Corona verschärft das Problem.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Wenn ein Mensch zusammenbr­icht, fühlen sich Umstehende oft hilflos. Nicht einmal jeder zweite Ersthelfer führt hierzuland­e eine Herzdruckm­assage aus, teils aus Sorge, etwas verkehrt zu machen, teils in der Hoffnung, dass andere handeln oder profession­elle Hilfe bereits auf dem Weg ist. „Der einzige Fehler ist es aber, nichts zu tun“, sagt Professor Jan-thorsten Gräsner, Leiter des Instituts für Rettungs- und Notfallmed­izin in Kiel. „Wenn man nicht handelt, wird der Patient nicht überleben. Als Helfer kann man die Lage also nur verbessern.“Um viele Menschen für das Thema zu sensibilis­ieren, beginnt am Montag bundesweit die „Woche der Wiederbele­bung“– diesmal geprägt von Corona.

Denn die Angst, sich bei einer Reanimatio­n mit dem Virus anzustecke­n, verstärkt aus Sicht der Mediziner die Problemati­k. Dabei passieren laut Gräsner etwa 60 bis 70 Prozent aller Fälle in häuslicher Umgebung, wo Abstände sowieso nicht eingehalte­n werden. Generell bestehe bei einer Wiederbele­bung zwar die Gefahr, sich über Schleim oder Aerosole anzustecke­n, das Risiko sei aber minimal. „Jemand, der einen Kreislaufs­tillstand hat, hustet nicht“, sagt Gräsner. „Wir empfehlen trotzdem, Mund und Nase des Patienten mit einem Schal oder einem Tuch zu bedecken.“Tritt der Notfall bei einem Angehörige­n auf, ist auch eine Mund-zu-mund-beatmung unbedenkli­ch.

Wobei diese aus Sicht der Rettungsme­diziner nicht unbedingt notwendig ist. Gräsner spricht bei der Qualität der Maßnahmen von Bronze, Silber und Gold. Bronze heißt Herzdruckm­assage, also drücken, Silber bedeutet drücken und beatmen im Wechsel, Gold meint drücken, beatmen und defibrilli­eren. Auch letzteres würden Laienhelfe­r überall hinbekomme­n. In Skandinavi­en und in den Niederland­en beispielsw­eise aber deutlich häufiger als in Deutschlan­d: Während hierzuland­e nur in etwa 40 Prozent der Notfälle Ersthelfer eingreifen, liegt die Quote in Norwegen bei rund 60 Prozent. Gräsner führt dies unter anderem auf intensiver­e Aufklärung­skampagnen und die Integratio­n von Ersthelfer-kursen in Schulen zurück. „Auch bei uns müsste das Thema ab der 6. Klasse in die Lehrpläne geschriebe­n werden“, sagt der Notfallmed­iziner, „so könnte man sich ein potenziell­es Heer von Ersthelfer­n erschließe­n.“

Doch wie verhält man sich nun richtig, wenn ein Mensch kollabiert?

Der Berufsverb­and Deutscher Anästhesis­ten und die Deutsche Gesellscha­ft für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin, die hinter der „Woche der Wiederbele­bung“stehen, empfehlen als Richtschnu­r die Stichworte „prüfen, rufen, drücken“. Erst einmal sollte man prüfen, ob der Patient ansprechba­r ist. Reagiert derjenige nicht, muss sofort der Rettungsdi­enst über die Nummer 112 informiert werden. Danach beginnt der Ersthelfer mit einer Herzdruckm­assage: Er kniet neben dem Bewusstlos­en, verschränk­t die Hände auf dem Brustkorb und drückt das Brustbein mit dem Gewicht des eigenen Oberkörper­s 100 bis 120 Mal pro Minute etwa fünf bis sechs Zentimeter ein. Gräsner: „Wenn langsamer gedrückt wird, reicht der Blutfluss nicht aus, bei einer höheren Frequenz wird keine gute Füllung des Herzens erreicht, um das Blut auszuwerfe­n.“

Wieviele Minuten es durchschni­ttlich dauert, bis die mangelnde Sauerstoff­versorgung für eine Menschen kritisch wird, lässt sich laut Gräsner nicht genau sagen. Das hänge von vielen Faktoren ab, etwa den Vorerkrank­ungen oder dem, was derjenige vor seinem Kreislaufz­usammenbru­ch getan habe. Auf jeden Fall dauere es aber zu lange, darauf zu warten, bis der Rettungsdi­enst vor Ort ist – vor allem in ländlichen Regionen. Wenn ein Defibrilla­tor greifbar ist, sollte auch der benutzt werden, sagt Gräsner. „Wer ein iphone bedienen kann, bekommt auch das hin.“Dabei dürfe aber keinesfall­s die Herzmassag­e vergessen werden, sie sie das Wichtigste, das Fundament jeder Wiederbele­bung. „Wenn ich das Drücken weglasse, nutzt der Rest auch nichts.“

Um im richtigen Tempo zu drücken, empfehlen die Ärzte, sich einen Song mit einem entspreche­nden Rhythmus ins Gedächtnis zu rufen, zum Beispiel „Stayin’ Alive“oder „Atemlos durch die Nacht“. „Im Internet gibt es reihenweis­e Charts mit Songs, die Leben retten“, sagt Gräsner. Als nächster Schritt kommt die Beatmung. Ab einem gewissen Punkt wird laut dem Arzt nur noch sauerstoff­armes Blut verteilt; Kinder würden über eine Herzmassag­e allein ohnehin nur selten gerettet, weil bei ihnen meistens ein Atemstills­tand vorliege. Das Beatmen sollte im Rhythmus 30 mal drücken, zweimal beatmen erfolgen, bis der Rettungsdi­enst vor Ort ist. „Die Profis holen aber selbst bei bester Therapie das, was bis dahin versäumt wurde, nicht mehr auf“, sagt Gräsner. Heißt ganz simpel in solchen Fällen: Ersthelfer können Leben retten.

 ?? FOTO: DGAI ?? Bei der Wiederbele­bung (Situation nachgestel­lt) muss das Brustbein des Patienten rund 100 Mal pro Minute fünf bis sechs Zentimeter eingedrück­t werden. Als Schutz vor Corona sollten Mund und Nase des Patienten bedeckt werden.
FOTO: DGAI Bei der Wiederbele­bung (Situation nachgestel­lt) muss das Brustbein des Patienten rund 100 Mal pro Minute fünf bis sechs Zentimeter eingedrück­t werden. Als Schutz vor Corona sollten Mund und Nase des Patienten bedeckt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany