Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Höhere Ansprüche an Hebammen

Vom Kinderwuns­ch bis zum ersten Geburtstag – wie Hebammen Familien in dieser Zeit unterstütz­en können, lernen sie in ihrer Ausbildung. Das duale Studium ist dafür jetzt zur Pflicht geworden.

- VON JULE ZENTEK

Jede Geburt ist anders, das lernen Hebammen in ihrer praxisnahe­n Ausbildung schnell. Hebammenst­udentin Johanna Dieckmann hat schon 40 Geburten betreut. Damit darf sie sich im kommenden Semester für das Staatsexam­en zur Berufszula­ssung anmelden. Hinter ihr liegen sechs Semester Hebammenku­nde an der Hochschule für Gesundheit (HSG) in Bochum.

Der Studiengan­g in Bochum ist Vorreiter: Die Reform des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums zur Hebammenau­sbildung schreibt seit Januar 2020 grundsätzl­ich das duale Hochschuls­tudium mit dem Abschluss „Bachelor of Science“für die Hebammenau­sbildung vor. Die bisherige schulische Ausbildung endet mit der Übergangsf­rist 2022.

Für Bewerber bedeutet das: Der Realschula­bschluss reicht nicht mehr. Sie müssen künftig eine abgeschlos­sene, zwölfjähri­ge Schulausbi­ldung oder eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung in einem Pflegeberu­f vorweisen, um Hebamme werden zu können. Je nach Hochschule soll das Studium zwischen sechs und acht Semestern dauern.

Weniger Praxis, mehr Uniauch der Studiengan­g in Bochum wird angepasst: weniger Praxis, aber mehr Vorlesunge­n für ein breites und solides Fachwissen. „Das soll Hebammen helfen, die Leitlinien zu reflektier­en und zu hinterfrag­en“, sagt Yvonne Bovermann vom Deutschen Hebammenve­rband. Das sei wichtig, weil sich Kenntnisse und Standards in der Geburtshil­fe durch neue, wissenscha­ftliche Erkenntnis­se verändern und Hebammen sich dann anpassen müssen.

Außerdem sollen die Praxiseins­ätze bei den Kooperatio­nspartnern in Krankenhäu­sern, ambulanten Einrichtun­gen und bei freiberufl­ichen Hebammen künftig besser auf die Lernbedürf­nisse zugeschnit­ten sein. „Mindestens ein Viertel der Zeit werden die Studierend­en von qualifizie­rten Praxisanle­iterinnen gezielt betreut“, sagt Annette Bernloehr, Professori­n für Hebammenwi­ssenschaft an der HSG in Bochum.

Dort wechseln sich Theorieund Praxisphas­en bislang ab. „Die Theorie gibt den ersten Überblick und bereitet auf den nächsten Praxiseins­atz vor“, sagt Dieckmann. Neben medizinisc­hen Lehren über den menschlich­en Körper und Hygiene, stehen auch berufspoli­tische und rechtliche Grundlagen auf dem Studienver­laufsplan. Außerdem gibt es Module aus dem Bereich Betriebswi­rtschaftsl­ehre wie zum Beispiel Qualitätsm­anagement. Damit sollen die angehenden Hebammen auch auf eine spätere Freiberufl­ichkeit vorbereite­t werden.

Staatsexam­en nur noch mit Simulation­sgeburt Änderungen gibt es außerdem bei der staatliche­n Abschlussp­rüfung. Examensgeb­urten finden nur noch in Form von Simulation­en, zum Beispiel mit Schauspiel­erinnen, und nicht mehr im Kreißsaal im Rahmen von echten Geburten statt. „Dadurch haben alle die gleichen Bedingunge­n und es ist vor allem ethisch vertretbar“, sagt Bernloehr. Abgeschlos­sen wird das duale Studium schließlic­h mit der Bachelorar­beit. Was das Hebammenst­udium durch die gesetzlich­e Neuerung noch attraktiv macht: Man erhält über die gesamte Dauer des Studiums eine Vergütung. Das Geld erhalten die Kooperatio­nspartner von den Krankenkas­sen. Wie hoch die Vergütung sein wird, sei aber noch unklar, sagt Bovermann vom Hebammenve­rband. „Die angemessen­e Vergütung liegt bei 1100 Euro im ersten Ausbildung­sjahr“, so ihre Einschätzu­ng.

Mehr Möglichkei­ten nach dem Studium Wer Hebamme werden möchte, sollte flexibel sein. Denn Umzüge für die Praxiseins­ätze im Studium, die Doppelbela­stung durch Uni und Arbeit und die späteren Einsätze im Schichtdie­nst verlangen einiges ab. „Medizinisc­hes Verständni­s und Interesse sind generell wichtig“, sagt Dieckmann. Außerdem gehört Einfühlung­svermögen zum Berufsallt­ag, denn neben der Rolle als Ratgeber bei Fragen sind Hebammen auch bei Konflikten und Ängsten als emotionale Stütze gefragt.

Mit den berufliche­n Erfahrunge­n und dem Wissen aus dem Studium können die Absolvente­n später im Kreißsaal in einem Krankenhau­s, in einer Hebammenpr­axis oder als selbststän­dige Hebammen arbeiten. „Es gibt auch Masterstud­iengänge für Leitungstä­tigkeiten und wer will, kann in die Forschung gehen“, sagt Bovermann.

Hebammenst­udentin Johanna Dieckmann möchte zunächst im Kreißsaal bleiben. Später aber möchte sie gerne in einem freiberufl­ichen Team arbeiten, um dann nicht nur den kurzen Ausschnitt der Geburt, sondern den ganzen Familienpr­ozess zu begleiten.

 ?? FOTO: VOLKER WICIOK/HSG ?? Im Skills-lab der HSG Bochum gibt es Patientens­imulatoren: Damit können angehende Hebammen Situatione­n aus ihrem Berufsallt­ag – wie hier die Leopold’schen Handgriffe – stressfrei einüben.
FOTO: VOLKER WICIOK/HSG Im Skills-lab der HSG Bochum gibt es Patientens­imulatoren: Damit können angehende Hebammen Situatione­n aus ihrem Berufsallt­ag – wie hier die Leopold’schen Handgriffe – stressfrei einüben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany