Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Unverantwo­rtlicher Arbeitskam­pf

- VON ANTJE HÖNING

Für den öffentlich­en Dienst hat eine heikle Tarifrunde begonnen: Auf der einen Seite haben die Beschäftig­ten, die in der Pandemie Krankenhäu­ser und Gesundheit­sämter am Laufen halten, mehr Anerkennun­g verdient als abendliche­n Applaus. Dass Verdi und Beamtenbun­d ein Lohnplus fordern, ist ihr gutes Recht. Auf der anderen Seite brechen die Steuereinn­ahmen weg, und die Kommunen, zumal die hoch verschulde­ten, haben keinen Spielraum für große Sprünge. Der Verteilung­skampf im öffentlich­en Dienst ist ein Vorbote für das, was auch in anderen Branche kommen wird. Nun sind die Verhandler gefragt, einen fairen Abschluss zu finden. Fair heißt auch, Lohnerhöhu­ngen nicht mit der Gießkanne zu verteilen, sondern an die Strukturen zu gehen. Muss der Mitarbeite­r der Stadtverwa­ltung das gleiche Plus erhalten wie die Krankensch­wester?

Das große Ärgernis ist schon jetzt, dass die Gewerkscha­ften ihre Arbeitskam­pf-folklore veranstalt­en, als gebe es keine Pandemie. Erst hatten Kitas im Lockdown wochenlang geschlosse­n, und nun geht Verdi schon am ersten Tag des Warnstreik­s gegen Kitas vor. Das ist doppelt unverantwo­rtlich: Zum einen haben Eltern, die schon im Frühjahr improvisie­ren mussten, kaum noch Spielraum, um weitere Schließung­en abzufedern. Zum anderen nehmen Staatsange­stellte, die selbst einen sicheren Job haben, Mitbürger als Geiseln, die selbst in Kurzarbeit oder gar arbeitslos sind. Hier kann man von Verdi mehr Verantwort­ungsgefühl erwarten. Das gilt umso mehr, als der heutige Warnstreik erst der Anfang ist. Bis zur nächsten Verhandlun­gsrunde sind es noch vier lange Wochen. Statt nun den Druck stetig zu erhöhen, sollte Verdi innehalten: Die Menschen haben genug zu tun mit dem Kampf gegen Corona. Für Arbeitskam­pf von vorgestern ist jetzt nicht die Zeit.

BERICHT GEWERKSCHA­FT STREIKT IN . . ., WIRTSCHAFT

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