Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Vom Niederrhei­n aus wird das All überwacht

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (CDU) stellte in Uedem die WeltraumOp­erationsze­ntrale der Luftwaffe in Dienst.

- VON GREGOR MAYNTZ

UEDEM In der Morgensonn­e schimmert der Generalsst­ern golden auf der Schulterkl­appe von Burkhard Pototzky. Aber mehr Glanz geht von der silbernen Schwinge auf seiner Brust aus. Sie ist für Bundeswehr-verhältnis­se ungewöhnli­ch, erinnert in ihrer Form an die Uniform des legendären Fernsehhel­den Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise. In der Tat orientiert sich der Brigadegen­eral in Uedem Richtung All. Er ist „General Weltraumop­erationen“.

„GSSAC“steht auf dem silbernen Emblem. Wie fast alles hier am Nato-standort ist es eine englische Abkürzung. Sein „German Space Situationa­l Awareness Centre“ist so etwas wie das deutsche Weltraumüb­erwachungs-zentrum. Das macht Pototzky zum Gastgeber für Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r. Sie ist an diesem Montag an den Niederrhei­n gereist, um von nun an „zusammen zu denken und zusammen zu organisier­en, was zusammen gehört“, wie sie vor blinkenden Leuchtpunk­ten auf riesigen Deutschlan­d- und Europa-karten erläutert. Sie stellt das „Asoc“in Dienst. Das„air and Space Operation Centre“, die Operations-zentrale für Luft- und Raumfahrt, überwacht von Uedem aus alles, was über Deutschlan­d fliegt. Bis hinauf ins All.

Wenn in Neuburg an der Donau oder in Wittmund in Ostfriesla­nd Eurofighte­r in Alarmstart­s aufsteigen, um einen Angriff mit Zivilflugz­eugen wie am 11. September 2001 zu verhindern, dann haben sie ihren Befehl aus Uedem erhalten. Sobald die zivile Flugsicher­ung den Kontakt zu einem Flieger verliert oder ein Passagierj­et andere Auffälligk­eiten zeigt, informiere­n sie die Militärs. An diesem Morgen bleibt es ruhig. Gerade sind 450 Flugzeuge über Deutschlan­d in der Luft. Jedes einzelne wird auf Monitoren angezeigt. Das ist wenig. Gewöhnlich sind um diese Uhrzeit auch schon mal 3000 Jets gleichzeit­ig unterwegs. Corona lässt grüßen. Während des Shutdowns waren es auch schon mal nur 15, die Fracht ein- oder ausflogen.

Am 18. August gab es den letzten Alarmstart. Ein Kleinflugz­eug war aus Polen Richtung Rotterdam unterwegs. Im Münsterlan­d hatten die Kampfjets es erreicht, und sofort erkannte der Pilot, dass keine Gefahr von diesem Flugzeug ausging.

Verglichen mit dem Geschehen in den ersten zehn Kilometern über Deutschlan­d war es noch vor einigen Jahren in den Höhen darüber relativ ruhig. Ab und zu tauchte mal ein Tank einer Weltraumra­kete oder ein ausrangier­ter Satellit wieder in die Atmosphäre ein. Doch im All über Deutschlan­d wird es inzwischen enger und enger. Vergangene­s Jahr zählte die Welt gut 1800 Satelliten, jetzt sind es schon 2500. Und es werden Woche für Woche mehr. Manche sind auch zu Testzwecke­n zerstört worden und haben sich in Tausende Teile Weltraumsc­hrott verwandelt. Sie bedrohen nun eine kritische Infrastruk­tur, die für das Leben auch in Deutschlan­d unverzicht­bar geworden ist.

Wer im Konfliktfa­ll Deutschlan­ds Satelliten zerstört, legt nicht nur die Navigation und Kommunikat­ion weitgehend lahm. Auch die Finanzmärk­te brechen dann zusammen. Jede Überweisun­g braucht ihre Bestätigun­g durch ein Zeitsignal aus dem All. Die Luftfahrt selbst ist ebenfalls satelliten­gestützt. Kramp-karrenbaue­r verweist nicht nur auf den Weltraumsc­hrott, sondern auch auf „gezielte Attacken“. Das ist die Bedrohung durch Laser oder gefährlich­e Annäherung­en.

Gerade verfolgt das Asoc einen abstürzend­en Satelliten. Vor anderthalb Wochen ist er wieder eingetrete­n, hat mehrfach Deutschlan­d überquert, weswegen auch das Katastroph­enschutzam­t aufmerksam wurde. In Uedem rechnen sie jetzt damit, dass er über dem Atlantik verglüht. Es könnte auch anders kommen. Wenn etwa alte sowjetisch­e Großsatell­iten mit Atomreakto­r an Bord wiedereint­reten. Da bleiben auch schon mal mehrere Meter große Reste übrig.

Sie gehören zu jenen 19.372 Objekten im All, die in Uedem erfasst sind. Wie sie sich bewegen, kann von nächstem Monat an mit dem brandneuen „Gestra“-radarsyste­m von der Schmidtenh­öhe bei Koblenz noch besser verfolgt werden. „Wir werden dann auch kleinteili­geren Weltraumsc­hrott identifizi­eren können“, sagt Kramp-karrenbaue­r mit hörbarer Vorfreude in der Stimme. Interessie­rt sich die Operations­zentrale in Uedem oder auch ein Partnerlan­d für ein einzelnes spezielles Objekt, greift das Militär auf das Tira-radar in Wachtberg bei Bonn zurück. Es kann sogar die Drehrichtu­ng von Kleinstsat­elliten aufklären.

Auch in Uedem wird massiv investiert. Bis 2028 fließen knapp 200 Millionen Euro in 42 Bauvorhabe­n. Dann wird auch die neue Weltraumop­erationsze­ntrale nicht mehr in einer kleinen weißen Baracke untergebra­cht sein, sondern mit deutlich mehr Mitarbeite­rn in ein angemessen­es Gebäude wechseln. In Kalkar und Uedem werden dann allein 1600 Soldatinne­n und Soldaten der Bundeswehr stationier­t sein. Hinzu kommen die Kameraden aus Partnersta­aten sowie viele Zivilbesch­äftigte. Denn unter dem Dach der Operations­zentrale arbeiten neben Bundeswehr und Bundespoli­zei auch Vertreter des Innen- und Verteidigu­ngsministe­riums sowie weitere Spezialist­en etwa für den Bevölkerun­gsschutz.

Luftwaffen­inspekteur Ingo Gerhartz stellt sich denn auch darauf ein, dass seine Position einen neuen Namen erhält, und die Raumfahrt dazukommt. Doch selbst ins All, jedenfalls bemannt, will die Luftwaffe (noch) nicht. 16 militärisc­he Satelliten sind jedoch zu schützen. Und gut 200 weitere von deutschen Unternehme­n und Forschungs­stellen. Sie bewegen sich in 200 bis 40.000 Kilometern über der Erde. Und alle sind gefährdet durch die vielen Zehntausen­d Schrotttei­le, die selbst noch in der Größe von einem Zentimeter Durchmesse­r bei einem Tempo von acht Kilometern in der Sekunde ein erhebliche­s Zerstörung­spotenzial entwickeln.

Manche Rakete bringt inzwischen schon 60 Satelliten auf einmal ins All. Das bedeutet, dass auch immer mehr am Ende ihrer Lebensdaue­r zurück zur Erde stürzen werden. In Uedem dürften die Damen und Herren 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche viel zu tun haben. Eigene Killersate­lliten gehören nicht dazu. „Es geht nicht um Weltraumwa­ffen“, unterstrei­cht Gerhartz. Die All-überwacher warnen lieber die Betreiber, damit die durch Verändern der Umlaufbahn drohende Kollisione­n verhindern können. Allerdings verringern sie mit jedem solchen Manöver die Betriebsda­uer. Schwere Entscheidu­ngen sind das.

So komplex die Lage im All auch wird, zumindest eine gute Nachricht gibt es aktuell aus Uedem. Die Operations­zentrale sieht sich von hier aus auch drohende Sonnenstür­me an. Doch der Weltraumwe­tterberich­t für diesen Dienstag lautet: „Alles ruhig.“Wenigstens das.

 ?? FOTO: DPA ?? Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (l.) gibt den Startschus­s zur Beobachtun­g des Weltraums durch die Bundeswehr in Uedem.
FOTO: DPA Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r (l.) gibt den Startschus­s zur Beobachtun­g des Weltraums durch die Bundeswehr in Uedem.

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