Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Flickenteppich beim Kinderschutz
Experten im Landtag sehen große Defizite bei der Prävention von sexueller Gewalt.
DÜSSELDORF Kinderschutz-experten halten die Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt in NRW für völlig unzureichend. Die Palette der Konzepte von Institutionen und Vereinen, sei bloß ein bunter Flickenteppich, sagte Ursula Enders, Leiterin der Beratungsstelle Zartbitter bei einer Anhörung im Landtag. Einige Angebote seien sogar kontraproduktiv. So habe sich ein Markt für kommerzielle Anbieter entwickelt. Diese „Selbstbehauptungstrainer“, die bereits mit Kindern im Vorschulalter Trainings durchführten, verbreiteten häufig vor allem Angst.
Dunkelfeldforschungen zufolge erlebt in Deutschland jeder Siebte bis Achte sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend – zwei Drittel Mädchen, ein Drittel Jungen. Zartbitter-leiterin Enders forderte in allen Ausbildungs- und Studiengängen, die für den Umgang mit Kindern qualifizieren sollen, das Thema verbindlich aufzunehmen. Auch müsse es dafür einen eigenen Studiengang geben. In Jugendämtern bestehe großer Bedarf an zertifizierten Zusatzausbildungen. Jede Kinderschutzfachkraft müsse zur Teilnahme an umfangreichen E-learning-programmen verpflichtet werden.
Es brauche Beschwerdestellen auf Landesebene, die bei der Aufarbeitung aktueller Fälle helfen und analog zu entsprechenden Stellen in anderen europäischen Ländern das Recht der Zeugenvorladung und der Akteneinsicht hätten, so Enders. Die Landesregierung müsse zudem ihr Versprechen einlösen, die Schulen mit mehr Ressourcen auszustatten.
Ähnlich äußerte sich die Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände, darunter Diakonie und Caritas: „Fachberatungsstellen berichten von großer Hilflosigkeit und Unsicherheit in akuten Situationen.“In der Kinder- und Jugendhilfe müsse es verpflichtende Kinderschutzkonzepte geben. Auch in den wenigsten weiterführenden Schulen lägen solche Konzepte vor – trotz der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“des unabhängigen Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Martin Wonik, Geschäftsführer der Sportjugend NRW, sagte unserer Redaktion: „Bei allem Verständnis für die Zeit der Anhörungen und des Redens, jetzt ist die Zeit des Handelns. Wir fordern ein vom Land gefördertes Fachkräftesystem für sämtliche 54 Stadt- und Kreissportbünde in NRW als direkte Anlaufstelle für die Vereine.“Bisher gebe es nur eine Landeskoordinierungsstelle, die nicht flächendeckend in NRW tätig werden könne.