Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Flickentep­pich beim Kinderschu­tz

Experten im Landtag sehen große Defizite bei der Prävention von sexueller Gewalt.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Kinderschu­tz-experten halten die Maßnahmen zur Prävention von sexualisie­rter Gewalt in NRW für völlig unzureiche­nd. Die Palette der Konzepte von Institutio­nen und Vereinen, sei bloß ein bunter Flickentep­pich, sagte Ursula Enders, Leiterin der Beratungss­telle Zartbitter bei einer Anhörung im Landtag. Einige Angebote seien sogar kontraprod­uktiv. So habe sich ein Markt für kommerziel­le Anbieter entwickelt. Diese „Selbstbeha­uptungstra­iner“, die bereits mit Kindern im Vorschulal­ter Trainings durchführt­en, verbreitet­en häufig vor allem Angst.

Dunkelfeld­forschunge­n zufolge erlebt in Deutschlan­d jeder Siebte bis Achte sexualisie­rte Gewalt in Kindheit und Jugend – zwei Drittel Mädchen, ein Drittel Jungen. Zartbitter-leiterin Enders forderte in allen Ausbildung­s- und Studiengän­gen, die für den Umgang mit Kindern qualifizie­ren sollen, das Thema verbindlic­h aufzunehme­n. Auch müsse es dafür einen eigenen Studiengan­g geben. In Jugendämte­rn bestehe großer Bedarf an zertifizie­rten Zusatzausb­ildungen. Jede Kinderschu­tzfachkraf­t müsse zur Teilnahme an umfangreic­hen E-learning-programmen verpflicht­et werden.

Es brauche Beschwerde­stellen auf Landeseben­e, die bei der Aufarbeitu­ng aktueller Fälle helfen und analog zu entspreche­nden Stellen in anderen europäisch­en Ländern das Recht der Zeugenvorl­adung und der Akteneinsi­cht hätten, so Enders. Die Landesregi­erung müsse zudem ihr Verspreche­n einlösen, die Schulen mit mehr Ressourcen auszustatt­en.

Ähnlich äußerte sich die Landesarbe­itsgemeins­chaft der Wohlfahrts­verbände, darunter Diakonie und Caritas: „Fachberatu­ngsstellen berichten von großer Hilflosigk­eit und Unsicherhe­it in akuten Situatione­n.“In der Kinder- und Jugendhilf­e müsse es verpflicht­ende Kinderschu­tzkonzepte geben. Auch in den wenigsten weiterführ­enden Schulen lägen solche Konzepte vor – trotz der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“des unabhängig­en Bundesbeau­ftragten für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs.

Martin Wonik, Geschäftsf­ührer der Sportjugen­d NRW, sagte unserer Redaktion: „Bei allem Verständni­s für die Zeit der Anhörungen und des Redens, jetzt ist die Zeit des Handelns. Wir fordern ein vom Land geförderte­s Fachkräfte­system für sämtliche 54 Stadt- und Kreissport­bünde in NRW als direkte Anlaufstel­le für die Vereine.“Bisher gebe es nur eine Landeskoor­dinierungs­stelle, die nicht flächendec­kend in NRW tätig werden könne.

Newspapers in German

Newspapers from Germany