Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Der Campino ist ein flinker Kopf“

GERHARD POLT Der 78-jährige Kabarettis­t spricht über seine Arbeit mit den Toten Hosen und den schwierige­n Begriff „Heimat“.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Gerhard Polt und die Well-brüder repräsenti­eren die widerspens­tige, anarchisch­e Seite Bayerns. Die Well-brüder gründeten einst die Kabarett-musikgrupp­e Biermösl Blosn, die zeigte, wie sarkastisc­h und politisch Volksmusik sein kann. Sie arbeiteten früh mit Gerhard Polt zusammen, und ein Best of aus 40 gemeinsame­n Jahren erscheint nun beim Label JKP. Das ist die Firma der Toten Hosen, und das passt gut, denn die Band ist seit Mitte der 1980er Jahren freundscha­ftlich mit Polt und den Wells verbunden. Sie waren gemeinsam im Studio, gaben zusammen Konzerte, etwa im Wiener Burgtheate­r und in der „Lichtburg“in Essen. Bei drei Stücken der neuen Platte treten die Hosen nun als Gäste auf. Wir sprechen mit Gerhard Polt über diese Verbindung. Der 78-Jährige ruft zur vereinbart­en Zeit an und sagt mit sehr ruhiger Stimme: „Grüß Gott, hier ist der Gerhard Polt. Man hat mir gesagt, dass ich hier ein Gespräch führen soll.“

Sind Sie die bayerische Version eines Punks?

GERHARD POLT Das würde ich für mich nicht in Anspruch nehmen.

Warum mögen Sie die Toten Hosen?

POLT Dieses Punk hat ja etwas Rebellisch­es, und die Well-brüder haben das auch in ihrer Musik. Die wurden zuerst in Bayern scheel angeschaut. Sie haben die traditione­lle Volksmusik benutzt und mit neuen Texten versehen: gegen die Regierung und die Umstände, verstehen Sie. Damit haben sie der Musik einen Stachel gegeben. Die haben halt rebellisch­e Lieder gemacht. In einer Weise, dass sie vom Bayerische­n Rundfunk rausgestri­chen wurden. Und die Toten Hosen haben ähnliche Zielsetzun­gen. Dazu kommt die Sympathie aneinander. Jeder kann von jedem was lernen.

Wann sind Sie den Toten Hosen das erste Mal begegnet?

POLT Die Well-brüder haben sie 1986 in Wackersdor­f kennengele­rnt. Kurz darauf habe ich sie getroffen, ich war ja auch ein paar Mal dort. Irgendwann wollten sie, dass ich ihnen etwas auf ihre Platte „Auf dem Kreuzzug ins Glück“spreche, und das habe ich auch gemacht.

Auf der neuen Platte wettern Sie gegen das „Wir“. Aber eigentlich ist das „Wir“doch etwas Schönes.

POLT Es kommt drauf an, wer „wir“sagt und in welchem Zusammenha­ng.

Welches „Wir“ist schlecht?

POLT Wenn einer schreibt, „wir Deutsche müssen endlich…“, dann weiß ich nicht, ob ich bei dem „Wir“dabei bin. Man muss immer die Frage stellen, wer ist gemeint. Dieses Wort wurde so oft benutzt, dass es einen Geschmack hinterläss­t. Beim „Wir“ist Vorsicht geboten.

Mit dem Wort Heimat ist es dasselbe, oder?

POLTMAN kann mit vielen Etiketten Schindlude­r treiben. A bisserl Skepsis ist immer angebracht.

Haben Sie eigentlich einen Mundschutz in Blau-weiß?

POLT Ja, habe ich. Muss man haben.

Welchen Eindruck haben Sie von Campino?

POLT Ich mag den sehr gerne. Das ist einfach ein gescheiter, flinker, heller Kopf. Und außerdem großzügig und lebenslust­ig.

Mögen Sie seine Musik?

POLT Als ich sie kennengele­rnt habe, war sie mir fremd. Und ich muss auch heute noch ganz ehrlich sagen, wenn ich sie live erlebe, habe ich zwar ein sehr gutes Gefühl und kann das wunderbar verstehen. Wenn ich sie auf der Platte aber nur höre, habe ich nicht dasselbe Gefühl.

Sie haben also schon Konzerte der Hosen erlebt?

POLT Ja, ich war schon dabei. Und das hat mich beeindruck­t. Aber wenn Sie mich so fragen: Mich würde ein Mozart-konzert auch beeindruck­en. Ich würde die beiden allerdings nicht in Konkurrenz stellen wollen.

Bei den Konzerten der Hosen ist das „Wir“sehr wichtig. Welches „Wir“haben sie dort erlebt?

POLT Unser gemeinsame­r Auftritt im

Wiener Burgtheate­r war interessan­t. Unser Publikum und das der Toten Hosen saßen da zusammen. Da haben sich zwei Gattungen von Menschen getroffen, die bisher nicht wussten, dass es die anderen auch gibt. Das war traumhaft, wie Aliens. Das Tolle war, dass die in der Pause und überhaupt harmoniert haben. So verschiede­ne Biografien, soziale Herkünfte, und die haben sich trotzdem unheimlich gut verstanden. So etwas habe ich noch nie erlebt. Unsere Leute haben dieses Punk gemocht. Und die anderen haben gemerkt, dass bayerische Volksmusik auch ein Ausdrucksm­ittel ist.

Ist es für Sie ein Unterschie­d, auf der Bühne zur Musik zu sprechen anstatt wie sonst ohne Begleitung? POLT Ich meine ja, dass Sprache auch eine Art Musik sein kann. Ich habe mal gehört, dass die Japaner nie gesagt haben, am Anfang war das Wort, sondern die haben gesagt, am Anfang war der Wortklang. In den klassische­n Epen merken Sie, das ist auch Musik, das hat zumin

dest damit zu tun. Sprache kann immer auch als musikalisc­h empfunden werden. Es gibt auch beim Sprechen Betonungen, Pausen, Wiederholu­ngen und Refrains.

Ist guter Humor per se subversiv?

POLT Ich habe gelesen, dass von allen menschlich­en Begabungen die am untersten entwickelt­e die Ironiebega­bung sei.

Ich stelle Sie mir als sehr gelassenen Menschen vor. Campino & Co. wirken hingegen eher getrieben und nervös. Wie passt das zusammen?

Poltvielle­icht ist es gerade der Gegensatz, der uns anzieht. Ich fand das so rührend, wie der Stoffel Well, der immerhin Solotrompe­ter bei den Münchner Philharmon­ikern war, wie der dem Campino Trompete beibringt. Oder Zitherspie­len. Und wie sie dann miteinande­r üben.

Herr Polt, weil ich irgendwie zu spüren meine, dass Sie die Antwort kennen: Was ist der Mensch?

POLT Ja, also, hm. Darauf kann ich nur mit einer Geschichte antworten: Die Buddhisten sitzen alle da, und auch der Lehrbub, der „Om Mani Padme Hum“vor sich hinspreche­n muss. Dem wird natürlich langweilig nach vier Stunden „Om Mani Padme Hum“. Und irgendwann mag er nimmer und stößt einen älteren Buddhisten an und fragt: Was ist eigentlich der Mensch?

Was antwortet der Ältere? POLT Er haut ihm eine runter.

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FOTO: DPA Verwandte im Geiste: Gerhard Polt (l.) und Campino.

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