Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warum Ultraschal­l das Röntgen oft ersetzen kann

Röntgen hilft bei der Diagnose von Brüchen. Vor allem Kinder müsste man allerdings oft gar nicht schädliche­r Strahlung aussetzen, sagen Experten. Es geht auch anders.

- VON TANJA WALTER

DÜSSELDORF Rund 1,7 Röntgenauf­nahmen bekommt laut Schätzunge­n der Deutschen Gesellscha­ft für Ultraschal­l in der Medizin (DEGUM) jeder Deutsche durchschni­ttlich im Jahr. Im europäisch­en Vergleich zählt Deutschlan­d damit zu den Röntgenwel­tmeistern. Mittels der ionisieren­den Strahlung diagnostiz­iert man nicht nur Brüche, sondern auch Gelenkerkr­ankungen und Ursachen für Schulterpr­obleme. Dazu gäbe es in vielen Fällen eine Alternativ­e, die ganz ohne Strahlenbe­lastung auskäme, schneller verfügbar ist und laut Experten zudem kostengüns­tiger: der Ultraschal­l, auch Sonografie genannt.

Besonders eindrucksv­oll zeigt sich das bei der Diagnose von Unterarmfr­akturen bei Kindern. Am häufigsten bricht dabei die Speiche in der Nähe des Handgelenk­s. In 81 Prozent der Fälle könnte man zu deren Diagnose auch auf das Röntgen verzichten, sagt Kay Großer, Chefarzt der Klinik für Kinderchir­urgie und Kinderneur­ologie am Helios Klinikum Erfurt.

„Doch die meisten Ärzte sind mit dem Röntgen aufgewachs­en“, sagt Ole Ackermann, Orthopäde und Unfallchir­urg aus Duisburg. Denn Röntgenauf­nahmen sind das älteste bildgebend­e Verfahren in der Medizin. Es gilt in vielen Bereichen zur Erstdiagno­stik als Standard. Besonders bei Kindern jedoch lohne es sich, über die Alternativ­e der Sonografie nachzudenk­en. Denn in der Wachstumsp­hase reagieren diese noch empfindlic­her und störungsan­fälliger auf Röntgenstr­ahlen als Erwachsene. „Auch minimale Strahlendo­sen können bei ihnen zu Schäden führen“, sagt Dr. Rainer Berthold, Orthopäde und Unfallchir­urg aus Wetzlar sowie stellvertr­etender Leiter eines Expertenkr­eises bei der DEGUM.

Röntgenstr­ahlen haben sogenannte ionisieren­de Eigenschaf­ten. Das heißt: Sie regen Atome an und können so Zellen verändern. Dna-schäden zählen zu den häufigsten Strahlenfo­lgen. Besonders hoch ist die Strahlenbe­lastung bei einer Computerto­mografie (CT). Kinder nehmen beim Röntgen eine fünffach höhere Strahlenbe­lastung auf.

Das motiviert Ole Ackermann heute dazu, vor allem junge Ärzte für die Alternativ­e zu schulen und zu begeistern. Er selbst sammelte als Assistenza­rzt im Bereitscha­ftsdienst seine ersten Erfahrunge­n damit. Um in der Notfallamb­ulanz den Ablauf zu beschleuni­gen und einem siebenjähr­igen Patienten das lange Warten aufs Röntgen zu ersparen, ging er mit dem Schallkopf auf die Suche nach dem Bruch. Der Mediziner wurde schnell fündig. „Das Ergebnis war derart eindrückli­ch, dass ich die Methode weiterverf­olgt habe“, sagt er.

Mittlerwei­le konnte Ackermann seine Erfahrunge­n durch verschiede­ne Studien belegen. „Deutschlan­d ist Vorreiter in der Diagnostik von Brüchen mit Ultraschal­l. Von hier kommen weltweit die meisten und aussagekrä­ftigsten Studien dazu“, sagt Ackermann. So zeigen etwa neuere Studien, dass das Verfahren bei einigen Frakturfor­men dem Röntgen sogar überlegen sein kann. „Es liefert eine Echtzeitme­ssung. Während das Röntgenbil­d statisch ist, kann man mit dem Ultraschal­l den untersucht­en Bereich umfahren und von allen Seiten beurteilen“, erklärt Matthias Lahner, Orthopäde und Unfallchir­urg vom Gelenkzent­rum Hilden.

Bei der Untersuchu­ng eines Kniegelenk­s könne man beispielsw­eise den Patienten während der Untersuchu­ng das Knie beugen lassen und so auch die Funktion der Sehnen beurteilen. Bei der Schulterun­tersuchung sei die Sonografie durch ihre verschiede­nen Reichweite­n unerreicht, sagt Berthold.

„Bei oberflächl­ich gelegenen Gefäßen oder Strukturen ist die Detailerke­nnbarkeit den radiologis­chen Verfahren überlegen, auch wenn radiologis­che Verfahren zur Diagnostik in diesen Bereichen unverzicht­bar sind“, sagt Hans-georg Stavginski, Direktor des Instituts für

Röntgendia­gnostik des Unikliniku­ms Regensburg und Vorstandsm­itglied der Deutschen Röntgenges­ellschaft. So sei beispielsw­eise durch den Schallkopf die Beurteilun­gen von Halsgefäße­n, Speicheldr­üsen, Lymphknote­n und bei einer Operation das Aufsetzen direkt auf Organe aussagekrä­ftiger.

Daneben gibt es Hinweise darauf, dass die Sonografie auch bei der Aufklärung von Lungenerkr­ankungen eine Alternativ­e zum Röntgen darstellen könnte. Eine Studie zeigte, dass diese bei Verdacht auf Lungenentz­ündung bei Kindern eine sichere Diagnose brachte. Auch krankhafte Luftansamm­lungen im Brustberei­ch – medizinisc­h Pneumothor­ax genannt – konnten bei Menschen ohne Lungenerkr­ankung schonend per Ultraschal­l diagnostiz­iert werden.

Aktuell könnte der Einsatz von Ultraschal­l nach Auffassung der DEGUM bei der Untersuchu­ng von Corona-patienten helfen, das medizinisc­he Personal zu schützen. Denn schwere Verläufe von Covid-19 gehen mit einer Lungenentz­ündung einher. Bei einem Verdacht werden Patienten üblicherwe­ise durch Röntgen oder CT untersucht. Ein Lungenultr­aschall sei jedoch deutlich besser geeignet, da lediglich ein Arzt die Diagnostik durchführe und die Sonografie direkt am Krankenbet­t stattfinde­n könne.

Dennoch ist die Röntgenunt­ersuchung in all diesen Bereichen immer noch die Standarddi­agnostik. Einer der Gründe: Röntgenunt­ersuchunge­n werden durch die gesetzlich­e Krankenver­sicherung besser bezahlt als Ultraschal­luntersuch­ungen, berichten die Experten. Das gilt nicht nur für den Einsatz in der Frakturdia­gnostik, sondern auch in anderen Bereichen, in der die Sonografie eine Alternativ­e darstellen würde: „Beispielsw­eise bei der Untersuchu­ng von Schulterge­lenken, des Ellbogens oder der Achillesse­hne, oder zur Diagnose und Therapieko­ntrolle bei Gelenkentz­ündungen“, sagt Berthold. Nach Einschätzu­ng der Mediziner, die aus Überzeugun­g bereits jetzt häufig auf die Sonografie setzen, müsse durch eine bessere Vergütung ein Anreiz gesetzt werden, dieses Verfahren bevorzugt zu nutzen.

Zudem sei der Ultraschal­l in der Orthopädie unterschät­zt. Das liege unter anderem daran, dass solche Inhalte während der Facharztau­sbildung zum Orthopäden unterbewer­tet seien, sagt Lahner. Interessie­rte Mediziner müssen sich das Wissen in zusätzlich­en Schulungen aneignen. Zwar lassen sich Handgelenk­und Fingergele­nke inklusive der Sehnen und Muskelgrup­pen per Sonografie untersuche­n, doch benötigt es einiger Erfahrung, sagt Berthold. Auch das mag den Durchbruch des Verfahrens bremsen.

Der Ultraschal­l hat sich gerade in den vergangene­n Jahren enorm technisch weiterentw­ickelt. Darum empfiehlt die Strahlensc­hutzkommis­sion (SSK) Medizinern, im Einzelfall zu prüfen, ob nicht eine Sonografie eine röntgen- oder nuklearmed­izinische Untersuchu­ng ersetzen könnte. Patienten rät sie, bei geplanten Röntgenunt­ersuchunge­n gezielt nachzufrag­en, warum eine Röntgenunt­ersuchung notwendig ist, und ob alternativ­e Diagnoseve­rfahren wie Ultraschal­l eingesetzt werden können.

Ultraschal­l ist als bildgebend­es Verfahren wesentlich flexibler als Röntgen

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FOTO: IMAGO Bei der Untersuchu­ng von Schultern, Knien und Unterarmen bietet sich in vielen Fällen das Ultraschal­lverfahren an – vor allem bei Kindern.

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