Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Es wird keine Rentensenk­ung geben“

HUBERTUS HEIL Der Arbeitsmin­ister rechnet im nächsten Frühjahr wieder mit einer Belebung am Arbeitsmar­kt und fordert eine Anhebung des Mindestloh­ns.

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Wie wird sich die Lage am Arbeitsmar­kt im nächsten Jahr entwickeln?

HEIL Ich bin vorsichtig optimistis­ch, dass wir 2021 eine Frühjahrsb­elebung bekommen und der Arbeitsmar­kt wieder Fahrt aufnimmt. Ich rechne nicht mit der Rückkehr von Massenarbe­itslosigke­it wie vor 15 Jahren und hoffe ab 2023 dann wieder auf gute Zahlen am Arbeitsmar­kt. Voraussetz­ung ist natürlich, dass es keinen zweiten bundesweit­en Lockdown gibt und wir im zweiten Halbjahr 2021 einen Impfstoff haben. Branchen wie der Messebau und Veranstalt­er, aber auch der Maschinenb­au und das Verarbeite­nde Gewerbe sind von der Corona-krise und strukturel­lem Wandel stark betroffen. Risiken bestehen auch in einem harten Brexit und im ungewissen Ausgang der Us-wahl im November. Deshalb haben wir die Kurzarbeit­erregelung­en auch ins nächste Jahr verlängert. Diese stabile Brücke hilft Unternehme­n und Beschäftig­ten in unsicheren Zeiten.

Wegen der Corona-krise steigen die Löhne und Gehälter nicht mehr so stark an, eine Nullrunde für die Rentner ist daher im kommenden Jahr möglich. Was können Sie den Rentnern im Wahljahr verspreche­n?

HEIL Wir hatten in diesem Jahr eine sehr kräftige Rentenerhö­hung aufgrund der guten Lohnentwic­klung im letzten Jahr. Für nächstes Jahr kann ich aber keine großen Verspreche­n machen, weil die entspreche­nden Daten noch nicht vorliegen. Es wird in jedem Fall keine Rentensenk­ung geben. Aber alles andere wäre jetzt Spökenkiek­erei.

Sie haben für den Herbst Vorschläge zur Zukunft der Rente angekündig­t. Wollen Sie Selbststän­dige in die Rentenvers­icherung einbeziehe­n?

HEIL Corona hat gezeigt, dass wir eine breite Debatte über die Absicherun­g von Selbststän­digen brauchen. Wir werden die Einbeziehu­ng der Selbststän­digen in das System der Alterssich­erung noch in dieser Legislatur­periode regeln. Daran arbeiten wir mit Hochdruck. Viele Selbststän­dige erleben gerade in der Krise, wie schlimm es ist, im Alter nicht abgesicher­t zu sein. Anfang 2021 werden wir im nächsten Schritt darüber reden, wie wir angesichts der schnellen Alterung der Bevölkerun­g langfristi­g die Finanzieru­ng der Rentenvers­icherung sicherstel­len.

Auch beim Mindestloh­n wollen Sie im Herbst Reformvors­chläge vorlegen, damit er schneller auf zwölf Euro steigt. Wann soll er diese Höhe erreichen?

HEIL Der Mindestloh­n ist eine Erfolgsges­chichte. Wir müssen dennoch Konsequenz­en aus der Corona-krise ziehen. Eine davon muss sein, dass diejenigen, die als Heldinnen und Helden des Alltags gefeiert wurden, mehr bekommen als warme Worte. Deshalb begrüße ich auch den neuen Tarifvertr­ag in der Altenpfleg­e. Sobald uns ein entspreche­nder Antrag vorliegt, werden wir ihn zügig prüfen und wenn die Voraussetz­ungen erfüllt sind, für die gesamte Branche verbindlic­h erklären. Eine starke Tarifbindu­ng hat für mich Priorität, gemeinsam mit einer angemessen­en Lohnunterg­renze. Bei deren Weiterentw­icklung sollten wir uns stärker an der mittleren Lohn- und Gehaltsent­wicklung orientiere­n. Dieser Weg öffnet eine Perspektiv­e, um rascher zu zwölf Euro zu kommen. Ich möchte grundsätzl­ich an der Mindestloh­nkommissio­n festhalten, in der Sozialpart­ner uns Vorschläge zum Mindestloh­n machen.

Soll der Mindestloh­n noch in der nächsten Legislatur­periode, also bis 2025, auf zwölf Euro steigen? HEIL Das halte ich für erreichbar.

Wie wollen Sie die Tarifbindu­ng der Unternehme­n steigern?

HEIL Eine starke Tarifbindu­ng ist vor allem Sache der Sozialpart­ner. Aber der Staat muss Anreize setzen. Ein Beispiel: Die meisten Bundesländ­er haben Tariftreue­gesetze, nach denen Aufträge nur an Unternehme­n gehen, die an Tarifvertr­äge gebunden sind. Das hat der Bund bisher nicht. Ich kann mir vorstellen, dass wir das auch auf Bundeseben­e einführen.

Sie haben ein „Recht auf Homeoffice“angekündig­t. War das so zu verstehen, dass Arbeitnehm­er künftig einen Rechtsansp­ruch darauf erhalten?

HEIL Es geht um ein neues Gesetz, damit Arbeit besser zum Leben passt. Wir brauchen einen Ordnungsra­hmen für mobiles und ortsflexib­les Arbeiten, den ich im Herbst vorlegen will. Die Corona-krise war ja ein ungewollte­r Großversuc­h für viele Beschäftig­te im Homeoffice. Ich bin dafür, dass wir daraus Konsequenz­en ziehen. Ich möchte das Recht der Beschäftig­ten stärken, Homeoffice zu ermögliche­n, wo es erwünscht ist und betrieblic­h nichts dagegenspr­icht. Homeoffice darf aber auch nicht zur Entgrenzun­g der Arbeit führen, Arbeitszei­tregeln müssen auch zuhause beachtet werden. Und ich möchte keinen Zwang für Homeoffice der Beschäftig­ten schaffen.

Und auch keinen Zwang für die Arbeitgebe­r?

HEIL Es geht darum, die Rechtsposi­tion der Beschäftig­ten zu stärken. Wo Homeoffice möglich ist, soll es auch möglich gemacht werden. Ich sehe mich nicht als Zwangsmini­ster, sondern als Ermögliche­r.

Das wollen Sie gegen den Widerstand der deutschen Wirtschaft durchsetze­n?

HEIL Wen meinen Sie mit der deutschen Wirtschaft? Ich sehe immer mehr ein Auseinande­rdriften zwischen den Wirtschaft­sverbänden und den Unternehme­rn vor Ort. Es gibt eine große Initiative namhafter Unternehme­n, die für ein Lieferkett­engesetz sind, weil es für fairen Wettbewerb steht. Und es gibt die üblichen ablehnende­n Reflexe der Verbände.

Die Kommunalwa­hl in NRW ging für die SPD nicht gut aus. Sind Sie enttäuscht?

HEIL Es war eine Kommunalwa­hl, keine Bundestags­wahl. Die Ergebnisse waren deshalb von Kommune zu Kommune unterschie­dlich. Es gab auch ernüchtern­de Wahlergebn­isse, das ist wahr. Aber bei den Stichwahle­n am kommenden Wochenende haben wir gute Chancen zu gewinnen, etwa in Düsseldorf, Mönchengla­dbach, Leverkusen, Köln, Gelsenkirc­hen, Dortmund, Bielefeld, Mülheim, Neuss und Wuppertal.

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FOTO: DPA

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