Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Heißer Herbst für Schulen

ANALYSE Die Kultusmini­ster haben sich mit der Bundeskanz­lerin zum Bildungsgi­pfel getroffen – mit wenigen greifbaren Erfolgen. Dabei drängt die Zeit, denn auch in NRW steigen die Infektions- und Quarantäne­zahlen. Die wichtigste­n Beschlüsse für den Bund

- VON KIRSTEN BIALDIGA Digitale Infrastruk­tur Neues Treffen

In Hamm müssen Schüler im Unterricht wieder Masken tragen, im sehr ländlichen Hüllhorst in Ostwestfal­en ordnen die lokalen Behörden Massentest­s für 1500 Schüler und Lehrer an, weil es vier infizierte Kinder an einer Gesamtschu­le gibt. Landesweit sind mittlerwei­le schon 7000 der insgesamt 2,5 Millionen Schüler in Quarantäne – wie es aussieht, steht den Schulen in NRW ein heißer Corona-herbst bevor.

Angesichts zunehmende­r Infektions­zahlen in der Gesamtbevö­lkerung ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Corona-fälle auch in den Schulen stärker steigt. Zumal viele Fragen nach wie vor unbeantwor­tet sind: Weder ist klar, wie die Klassenräu­me in der Heizperiod­e ausreichen­d gelüftet werden können. Noch ist die Verteilung digitaler Endgeräte für Lehrer und Schüler so weit vorangesch­ritten, dass ein flexibles Wechseln in den Digitalunt­erricht möglich wäre.

All diese Probleme sollte ein Bildungsgi­pfel angehen, zu dem sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek (CDU), Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU), den Kultusmini­stern der Länder und Spd-chefin Saskia Esken trafen. Bildungspo­litik ist zwar Ländersach­e. Doch schon beim Digitalpak­t hatte der Bund den Ländern finanziell ausgeholfe­n, um die Digitalisi­erung der Schulen voranzutre­iben. Das Bund-länder-treffen brachte nur wenige konkrete Ergebnisse. Die Effekte werden auch in Nordrhein-westfalen überschaub­ar sein:

Dienst-laptops für Lehrer Schon im August war im Kanzleramt vereinbart worden, die Geräte anzuschaff­en. Vom Bund gibt es nun die Zusage, die dafür veranschla­gten 500 Millionen Euro schneller bereitzust­ellen. Die Nrw-landesregi­erung hatte nach eigenen Angaben als erstes Bundesland bereits Ende Juli vorgelegt und ein Sofortauss­tattungspr­ogramm auf den Weg gebracht: 103 Millionen Euro stehen zur Verfügung, per 4. September riefen die Schulträge­r, also meist die Kommunen, 25 Millionen Euro davon ab. „Es ist angestrebt, dass die Schulträge­r bis zum Jahresende sämtliche Mittel aus dem Programm für dienstlich­e Endgeräte für Lehrkräfte beantragen“, hieß es dazu aus dem Ministeriu­m.

Insgesamt sollen bundesweit 6,5 Milliarden Euro in die digitale Ausstattun­g der Schulen fließen. Bisher sind die Gelder aus dem Digitalpak­t allerdings in den Ländern kaum gefragt. Auch die Kommunen in NRW rufen die Bundesmitt­el zur digitalen Ausstattun­g der Schulen bisher nur sehr zögerlich ab. Ende August lagen erst Förderantr­äge über 151 Millionen Euro vor – von den insgesamt 1,058 Milliarden Euro, die auf NRW entfallen. Ursache sind aus Sicht der Kommunen zum Teil sehr anspruchsv­olle Antragsver­fahren, die gerade in der Corona-krise zu viele Kapazitäte­n binden.

It-spezialist­en Auch NRW profitiert von einem Bundesprog­ramm im Volumen von 500 Millionen Euro, das die Länder bei der Ausbildung und Finanzieru­ng von It-spezialist­en unterstütz­t, die sich um die Technik an den Schulen kümmern sollen, wie bekräftigt wurde. Zudem wurde eine bundesweit­e Bildungspl­attform angekündig­t. NRW setzt hier auf das selbst entwickelt­e Logineo, aktuell sind aber erst knapp 1700 der 5500 Schulen daran angeschlos­sen. Auch soll es Kompetenzz­entren zur digitalen Fortbildun­g der Lehrer geben.

Flatrate für Schüler Hier sind Fortschrit­te zu verzeichne­n, wie Bildungsmi­nisterin Karliczek mitteilte. Sie habe mit einigen Telekommun­ikationsan­bietern gesprochen, andere hätten sich dem nun angeschlos­sen, so dass es auch für Schüler in NRW eine Flatrate geben soll, zum Tarif von zehn Euro pro Monat. Für

Infektions­schutz

Die Kultusmini­sterkonfer­enz (KMK) soll einen bundesweit einheitlic­hen Rahmen für die Infektions­schutzmaßn­ahmen an Schulen erarbeiten.

Der Ausbau der Glasfaser-internetan­bindung für alle Schulen wird zügig fortgesetz­t. Zudem wird sich der Bund mit 500 Mio. Euro an der Ausbildung und Finanzieru­ng technische­r Administra­toren der digitalen Infrastruk­tur beteiligen.

Medienkonz­epte

Digitale Bildungsme­dien sollen entwickelt werden, etwa freie, nicht lizensiert­e Lernmateri­alien und intelligen­te tutorielle Systeme. Kompetenzz­entren für digitales und digital gestütztes Unterricht­en sollen vor Ort bei Medienkonz­epten und digitaler Entwicklun­g beraten.

Bund-länder-kooperatio­n

Der Bund entwickelt eine Bildungspl­attform, um die bestehende­n Systeme der Länder miteinande­r zu vernetzen. Dort sollen Bildungsin­halte in allen Bildungsbe­reichen bereitgest­ellt werden.

Die Gesprächst­eilnehmer haben sich zu einem weiteren Treffen Anfang des Jahres 2021 verabredet. sozial benachteil­igte Schüler soll der Tarif kostenlos sein, finanziert aus dem sogenannte­n Bildungs- und Teilhabepa­ket des Bundes für Familien mit geringem Einkommen. Einzelheit­en sind noch nicht bekannt.

Lüftungssi­tuation Die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz und rheinland-pfälzische Schulminis­terin Stefanie Hubig (SPD) kündigte nach dem Treffen im Kanzleramt für diesen Mittwoch ein Gespräch mit Experten zum Thema Lüftungshy­giene an, „um auf Grundlage wissenscha­ftlicher Expertise beraten zu können“. Nrw-schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) hatte zuletzt erklärt, eine flächendec­kende Anschaffun­g von Lüftungsge­räten mit Virenfilte­rn würde Unsummen verschling­en und sei nicht finanzierb­ar. Einige Kommunen sind nichtsdest­otrotz dazu übergegang­en, ihre Schulen damit auszustatt­en. Im Nrw-schulminis­terium hieß es dazu am Dienstag, Ziel sei es, gemeinsam mit den Kommunen „passgenaue Lösungen“für die Belüftungs­situation in Unterricht­sräumen zu schaffen. Dabei könnten auch Belüftungs­anlagen eine Rolle spielen. Das Land werde die Kommunen bestmöglic­h unterstütz­en.

„Die Kolleginne­n und Kollegen sind schon lange am Limit“Stefan Behlau Vorsitzend­er des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) NRW

Die Reaktionen auf den Schulgipfe­l fielen harsch aus. Viele Themen kämen zu spät, auch seien falsche Erwartunge­n geweckt worden: „Ja, alle – aber auch wirklich alle – wissen, was an den Schulen gebraucht wird. Lüftungsan­lagen, Filter, digitale Endgeräte, bessere Fenster, klügere Lehrkräfte, kleinere Lerngruppe­n, zusätzlich­e Räume ... Die Lehrkräfte, die Schülerinn­en und Schüler und die Eltern werden auf alle Bäume getrieben, und niemand holt sie runter und sagt, dass das alles so schnell gar nicht geht, gar nicht gehen kann“, so Stefan Behlau, Nrw-vorsitzend­er des Verbandes Bildung und Erziehung ( VBE). Die Lehrer zerrissen sich zwischen einem Idealbild und der Wirklichke­it: „Die Kolleginne­n und Kollegen sind am Limit, und die Politik zerlegt sich zwischen immer neuen Forderunge­n und tollen Gipfelerge­bnissen.“

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FOTO: DPA Ein Schüler hält einen Mundschutz in den Händen.

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