Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Heißer Herbst für Schulen
ANALYSE Die Kultusminister haben sich mit der Bundeskanzlerin zum Bildungsgipfel getroffen – mit wenigen greifbaren Erfolgen. Dabei drängt die Zeit, denn auch in NRW steigen die Infektions- und Quarantänezahlen. Die wichtigsten Beschlüsse für den Bund
In Hamm müssen Schüler im Unterricht wieder Masken tragen, im sehr ländlichen Hüllhorst in Ostwestfalen ordnen die lokalen Behörden Massentests für 1500 Schüler und Lehrer an, weil es vier infizierte Kinder an einer Gesamtschule gibt. Landesweit sind mittlerweile schon 7000 der insgesamt 2,5 Millionen Schüler in Quarantäne – wie es aussieht, steht den Schulen in NRW ein heißer Corona-herbst bevor.
Angesichts zunehmender Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Corona-fälle auch in den Schulen stärker steigt. Zumal viele Fragen nach wie vor unbeantwortet sind: Weder ist klar, wie die Klassenräume in der Heizperiode ausreichend gelüftet werden können. Noch ist die Verteilung digitaler Endgeräte für Lehrer und Schüler so weit vorangeschritten, dass ein flexibles Wechseln in den Digitalunterricht möglich wäre.
All diese Probleme sollte ein Bildungsgipfel angehen, zu dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), den Kultusministern der Länder und Spd-chefin Saskia Esken trafen. Bildungspolitik ist zwar Ländersache. Doch schon beim Digitalpakt hatte der Bund den Ländern finanziell ausgeholfen, um die Digitalisierung der Schulen voranzutreiben. Das Bund-länder-treffen brachte nur wenige konkrete Ergebnisse. Die Effekte werden auch in Nordrhein-westfalen überschaubar sein:
Dienst-laptops für Lehrer Schon im August war im Kanzleramt vereinbart worden, die Geräte anzuschaffen. Vom Bund gibt es nun die Zusage, die dafür veranschlagten 500 Millionen Euro schneller bereitzustellen. Die Nrw-landesregierung hatte nach eigenen Angaben als erstes Bundesland bereits Ende Juli vorgelegt und ein Sofortausstattungsprogramm auf den Weg gebracht: 103 Millionen Euro stehen zur Verfügung, per 4. September riefen die Schulträger, also meist die Kommunen, 25 Millionen Euro davon ab. „Es ist angestrebt, dass die Schulträger bis zum Jahresende sämtliche Mittel aus dem Programm für dienstliche Endgeräte für Lehrkräfte beantragen“, hieß es dazu aus dem Ministerium.
Insgesamt sollen bundesweit 6,5 Milliarden Euro in die digitale Ausstattung der Schulen fließen. Bisher sind die Gelder aus dem Digitalpakt allerdings in den Ländern kaum gefragt. Auch die Kommunen in NRW rufen die Bundesmittel zur digitalen Ausstattung der Schulen bisher nur sehr zögerlich ab. Ende August lagen erst Förderanträge über 151 Millionen Euro vor – von den insgesamt 1,058 Milliarden Euro, die auf NRW entfallen. Ursache sind aus Sicht der Kommunen zum Teil sehr anspruchsvolle Antragsverfahren, die gerade in der Corona-krise zu viele Kapazitäten binden.
It-spezialisten Auch NRW profitiert von einem Bundesprogramm im Volumen von 500 Millionen Euro, das die Länder bei der Ausbildung und Finanzierung von It-spezialisten unterstützt, die sich um die Technik an den Schulen kümmern sollen, wie bekräftigt wurde. Zudem wurde eine bundesweite Bildungsplattform angekündigt. NRW setzt hier auf das selbst entwickelte Logineo, aktuell sind aber erst knapp 1700 der 5500 Schulen daran angeschlossen. Auch soll es Kompetenzzentren zur digitalen Fortbildung der Lehrer geben.
Flatrate für Schüler Hier sind Fortschritte zu verzeichnen, wie Bildungsministerin Karliczek mitteilte. Sie habe mit einigen Telekommunikationsanbietern gesprochen, andere hätten sich dem nun angeschlossen, so dass es auch für Schüler in NRW eine Flatrate geben soll, zum Tarif von zehn Euro pro Monat. Für
Infektionsschutz
Die Kultusministerkonferenz (KMK) soll einen bundesweit einheitlichen Rahmen für die Infektionsschutzmaßnahmen an Schulen erarbeiten.
Der Ausbau der Glasfaser-internetanbindung für alle Schulen wird zügig fortgesetzt. Zudem wird sich der Bund mit 500 Mio. Euro an der Ausbildung und Finanzierung technischer Administratoren der digitalen Infrastruktur beteiligen.
Medienkonzepte
Digitale Bildungsmedien sollen entwickelt werden, etwa freie, nicht lizensierte Lernmaterialien und intelligente tutorielle Systeme. Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten sollen vor Ort bei Medienkonzepten und digitaler Entwicklung beraten.
Bund-länder-kooperation
Der Bund entwickelt eine Bildungsplattform, um die bestehenden Systeme der Länder miteinander zu vernetzen. Dort sollen Bildungsinhalte in allen Bildungsbereichen bereitgestellt werden.
Die Gesprächsteilnehmer haben sich zu einem weiteren Treffen Anfang des Jahres 2021 verabredet. sozial benachteiligte Schüler soll der Tarif kostenlos sein, finanziert aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes für Familien mit geringem Einkommen. Einzelheiten sind noch nicht bekannt.
Lüftungssituation Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und rheinland-pfälzische Schulministerin Stefanie Hubig (SPD) kündigte nach dem Treffen im Kanzleramt für diesen Mittwoch ein Gespräch mit Experten zum Thema Lüftungshygiene an, „um auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise beraten zu können“. Nrw-schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte zuletzt erklärt, eine flächendeckende Anschaffung von Lüftungsgeräten mit Virenfiltern würde Unsummen verschlingen und sei nicht finanzierbar. Einige Kommunen sind nichtsdestotrotz dazu übergegangen, ihre Schulen damit auszustatten. Im Nrw-schulministerium hieß es dazu am Dienstag, Ziel sei es, gemeinsam mit den Kommunen „passgenaue Lösungen“für die Belüftungssituation in Unterrichtsräumen zu schaffen. Dabei könnten auch Belüftungsanlagen eine Rolle spielen. Das Land werde die Kommunen bestmöglich unterstützen.
„Die Kolleginnen und Kollegen sind schon lange am Limit“Stefan Behlau Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) NRW
Die Reaktionen auf den Schulgipfel fielen harsch aus. Viele Themen kämen zu spät, auch seien falsche Erwartungen geweckt worden: „Ja, alle – aber auch wirklich alle – wissen, was an den Schulen gebraucht wird. Lüftungsanlagen, Filter, digitale Endgeräte, bessere Fenster, klügere Lehrkräfte, kleinere Lerngruppen, zusätzliche Räume ... Die Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler und die Eltern werden auf alle Bäume getrieben, und niemand holt sie runter und sagt, dass das alles so schnell gar nicht geht, gar nicht gehen kann“, so Stefan Behlau, Nrw-vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung ( VBE). Die Lehrer zerrissen sich zwischen einem Idealbild und der Wirklichkeit: „Die Kolleginnen und Kollegen sind am Limit, und die Politik zerlegt sich zwischen immer neuen Forderungen und tollen Gipfelergebnissen.“