Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Hennig-wellsow will Linke in die Bundesregierung bringen
Die Thüringer LinkenChefin kandidiert für den Bundesvorsitz und will der Partei den Spaß am Regieren lehren. „Ich weiß, wie es geht“, sagt sie.
ERFURT Herr Thiel ist ein freundlicher Genosse. Bevor man die Thüringer Linken-chefin in ihrem Büro in Erfurts Altstadt trifft, empfängt er den Besuch. Mit Susanne Hennig-wellsow bildet er ein eingeschworenes Team. Wo sie ist, ist auch er und umgekehrt. Deshalb ist Herr Thiel auch so etwas wie ein Türöffner, wenn ein Mitarbeiter mit ihm in den Landtag will. Denn wer diesen Hund an seiner Seite führt, muss von der Linksfraktions- und Parteivorsitzenden dazu autorisiert sein. „Er ist so etwas wie mein Hausausweis“, sagt die 42-Jährige über den Labrador, den sie nach dem Tatort-kommissar Frank Thiel benannt hat, gespielt von Axel Prahl. „Das ist ein Wessi, der echt ein Ossi sein könnte“, findet sie. Ihr Vierbeiner ist inzwischen auch ein guter Ermittler. Er spürt Stimmungen auf. „Wenn es in Sitzungen laut zugeht, verschwindet er oder versucht, sich anzukuscheln.“Herr Thiel hat es nicht leicht bei den Linken.
Aber vielleicht ist seine Zeit in Thüringen ein Spaziergang gegen das, was noch kommen könnte. Denn Hennig-wellsow kandidiert mit Hessens Fraktionschefin Janine Wissler für den Bundesvorsitz der Linken und damit für die erste weibliche Doppelspitze einer Bundespartei. Ende Oktober fällt die
Entscheidung auf einem Parteitag just in Erfurt. Im Gegensatz zu Wissler hat Hennig-wellsow, langjährige Eisschnellläuferin, aber schon ein Ziel darüber hinaus: Sie will die Linke in die Bundesregierung bringen. Wie? „Radikal-pragmatisch“, antwortet die Frau mit den kurzen Haaren. So wie man sie bei der Bildung der beiden rot-rot-grünen Koalitionen unter dem Linkspolitiker Bodo Ramelow in Thüringen erlebt hat.
„Die Linke muss in absehbarer Zeit im Bund mitgestalten, wenn sie etwas für soziale Verbesserung erreichen und ihre eigene Stärke erhalten will“, sagt sie. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht: „Ich weiß, wie es geht und wieviel Spaß es macht, zu regieren und etwas reißen zu können.“Janine Wissler allerdings ist weniger erpicht auf eine Regierungsbeteiligung, was Hennig-wellsow nicht abschreckt: „Ich bin mir sicher, Janine und ich werden einen Weg finden, den die Partei gehen kann.“Wissler, die Trotzkistin aus dem Westen, und Hennig-wellsow, die „Radikal-pragmatikerin“aus dem Osten. Dass sie „linksradikal“sei, lasse sie nur in einer Hinsicht gelten: Dass sie sich gegen alles und jeden engagiere, was oder wer etwas mit Nazis zu tun habe.
In einer Mischung aus Wut, Verachtung und Schock hatte sie im Februar dem Fdp-politiker Thomas Kemmerich nach seiner von der AFD unterstützten Wahl zum Ministerpräsidenten die eigentlich für Ramelow gedachten Blumen vor die Füße geworfen. Spätestens da war sie bundesweit bekannt. Sie ist sich sicher: „Janine und ich haben ein großes Potenzial, gemeinsam aus der Mitte der Partei Politik zu machen.“Und: „Das kann ein Hammer werden, wenn wir uns nicht ganz doof anstellen.“
Den Spd-kanzlerkandidaten Olaf Scholz schätzt sie trotz einiger „Schandtaten wie die Hartz IV-GEsetze“für sein Agieren in der Corona-krise. Die „Aufhebung der Schuldenbremse“sei die richtige Priorität. Über Koalitionsverträge werde erst nach Wahlen geredet, sagt sie. Aber: Sie nehme an, dass die SPD sehr gerne über all die sozialen Projekte sprechen wolle, die sie mit der Union nicht umsetzen könne. Konkrete Vorstellungen hat sie schon: Hartz IV müsse durch eine „Existenzsicherung“abgelöst werden. „Unterhalb von 1500 Euro monatlich ist das kaum zu machen. Damit einhergehen müsste aber eine völlig neue Steuerpolitik. Die Menschen dürfen nicht mehr drangsaliert und bestraft dafür werden, wenn sie keine Arbeit finden.“Befristete Arbeitsverhältnisse müssten eingedämmt und der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben werden.
Nach acht Jahren hören die Linken-parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger auf. Viele Jahre haben sie mit der Fraktionsführung um Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gestritten. Daran hat sich die Linke aufgerieben. „Janine und ich wollen wieder gute Stimmung verbreiten und das Gefühl, dass Politik Spaß macht. Das ist bei der Linken ja nicht immer der Fall“, sagt Hennig-wellsow. Noch haben sie keinen Gegenkandidaten. Dabei hatten manche in der Partei darauf getippt, dass der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte antreten würde. „Korte hat großes Potenzial in der Fraktion“, sagt Hennig-wellsow. Was man als kleine Gemeinheit gegen Bartsch auffassen kann. Er ist der letzte Verbliebene des zerstrittenen Führungsquartetts von Partei und Fraktion und dürfte es auf die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr abgesehen haben. Bartsch, seit der Wende dabei, vertritt das Reformerlager der Partei. Er gilt als ministrabel für den Fall, dass es tatsächlich zu einem Machtwechsel käme. Aber wenn nicht, würde er die Fraktion sicher weiterführen wollen. „Ich gehöre keinem Lager an“, betont Hennig-wellsow. Sie ist eine machtbewusste Frau. In Thüringen hat sie als Partei- und Fraktionschefin alle Fäden in der Hand. Ohne den Fraktionsvorsitz wäre sie „schnell raus aus den Informationsflüssen“, sagt sie. Das könnte ihr auf Bundesebene passieren. Jedenfalls lief das jahrelang so. Es hört sich wie eine Warnung an, wenn sie sagt, sie verfüge über eine hohe Widerstandsfähigkeit. Denn: „Egal, was Leute von meinem Verhalten halten – mich beeindruckt das nicht.“