Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Hennig-wellsow will Linke in die Bundesregi­erung bringen

Die Thüringer LinkenChef­in kandidiert für den Bundesvors­itz und will der Partei den Spaß am Regieren lehren. „Ich weiß, wie es geht“, sagt sie.

- VON KRISTINA DUNZ

ERFURT Herr Thiel ist ein freundlich­er Genosse. Bevor man die Thüringer Linken-chefin in ihrem Büro in Erfurts Altstadt trifft, empfängt er den Besuch. Mit Susanne Hennig-wellsow bildet er ein eingeschwo­renes Team. Wo sie ist, ist auch er und umgekehrt. Deshalb ist Herr Thiel auch so etwas wie ein Türöffner, wenn ein Mitarbeite­r mit ihm in den Landtag will. Denn wer diesen Hund an seiner Seite führt, muss von der Linksfrakt­ions- und Parteivors­itzenden dazu autorisier­t sein. „Er ist so etwas wie mein Hausauswei­s“, sagt die 42-Jährige über den Labrador, den sie nach dem Tatort-kommissar Frank Thiel benannt hat, gespielt von Axel Prahl. „Das ist ein Wessi, der echt ein Ossi sein könnte“, findet sie. Ihr Vierbeiner ist inzwischen auch ein guter Ermittler. Er spürt Stimmungen auf. „Wenn es in Sitzungen laut zugeht, verschwind­et er oder versucht, sich anzukusche­ln.“Herr Thiel hat es nicht leicht bei den Linken.

Aber vielleicht ist seine Zeit in Thüringen ein Spaziergan­g gegen das, was noch kommen könnte. Denn Hennig-wellsow kandidiert mit Hessens Fraktionsc­hefin Janine Wissler für den Bundesvors­itz der Linken und damit für die erste weibliche Doppelspit­ze einer Bundespart­ei. Ende Oktober fällt die

Entscheidu­ng auf einem Parteitag just in Erfurt. Im Gegensatz zu Wissler hat Hennig-wellsow, langjährig­e Eisschnell­läuferin, aber schon ein Ziel darüber hinaus: Sie will die Linke in die Bundesregi­erung bringen. Wie? „Radikal-pragmatisc­h“, antwortet die Frau mit den kurzen Haaren. So wie man sie bei der Bildung der beiden rot-rot-grünen Koalitione­n unter dem Linkspolit­iker Bodo Ramelow in Thüringen erlebt hat.

„Die Linke muss in absehbarer Zeit im Bund mitgestalt­en, wenn sie etwas für soziale Verbesseru­ng erreichen und ihre eigene Stärke erhalten will“, sagt sie. An Selbstbewu­sstsein mangelt es ihr nicht: „Ich weiß, wie es geht und wieviel Spaß es macht, zu regieren und etwas reißen zu können.“Janine Wissler allerdings ist weniger erpicht auf eine Regierungs­beteiligun­g, was Hennig-wellsow nicht abschreckt: „Ich bin mir sicher, Janine und ich werden einen Weg finden, den die Partei gehen kann.“Wissler, die Trotzkisti­n aus dem Westen, und Hennig-wellsow, die „Radikal-pragmatike­rin“aus dem Osten. Dass sie „linksradik­al“sei, lasse sie nur in einer Hinsicht gelten: Dass sie sich gegen alles und jeden engagiere, was oder wer etwas mit Nazis zu tun habe.

In einer Mischung aus Wut, Verachtung und Schock hatte sie im Februar dem Fdp-politiker Thomas Kemmerich nach seiner von der AFD unterstütz­ten Wahl zum Ministerpr­äsidenten die eigentlich für Ramelow gedachten Blumen vor die Füße geworfen. Spätestens da war sie bundesweit bekannt. Sie ist sich sicher: „Janine und ich haben ein großes Potenzial, gemeinsam aus der Mitte der Partei Politik zu machen.“Und: „Das kann ein Hammer werden, wenn wir uns nicht ganz doof anstellen.“

Den Spd-kanzlerkan­didaten Olaf Scholz schätzt sie trotz einiger „Schandtate­n wie die Hartz IV-GEsetze“für sein Agieren in der Corona-krise. Die „Aufhebung der Schuldenbr­emse“sei die richtige Priorität. Über Koalitions­verträge werde erst nach Wahlen geredet, sagt sie. Aber: Sie nehme an, dass die SPD sehr gerne über all die sozialen Projekte sprechen wolle, die sie mit der Union nicht umsetzen könne. Konkrete Vorstellun­gen hat sie schon: Hartz IV müsse durch eine „Existenzsi­cherung“abgelöst werden. „Unterhalb von 1500 Euro monatlich ist das kaum zu machen. Damit einhergehe­n müsste aber eine völlig neue Steuerpoli­tik. Die Menschen dürfen nicht mehr drangsalie­rt und bestraft dafür werden, wenn sie keine Arbeit finden.“Befristete Arbeitsver­hältnisse müssten eingedämmt und der Mindestloh­n auf zwölf Euro angehoben werden.

Nach acht Jahren hören die Linken-parteichef­s Katja Kipping und Bernd Riexinger auf. Viele Jahre haben sie mit der Fraktionsf­ührung um Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch gestritten. Daran hat sich die Linke aufgeriebe­n. „Janine und ich wollen wieder gute Stimmung verbreiten und das Gefühl, dass Politik Spaß macht. Das ist bei der Linken ja nicht immer der Fall“, sagt Hennig-wellsow. Noch haben sie keinen Gegenkandi­daten. Dabei hatten manche in der Partei darauf getippt, dass der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Jan Korte antreten würde. „Korte hat großes Potenzial in der Fraktion“, sagt Hennig-wellsow. Was man als kleine Gemeinheit gegen Bartsch auffassen kann. Er ist der letzte Verblieben­e des zerstritte­nen Führungsqu­artetts von Partei und Fraktion und dürfte es auf die Spitzenkan­didatur bei der Bundestags­wahl im kommenden Jahr abgesehen haben. Bartsch, seit der Wende dabei, vertritt das Reformerla­ger der Partei. Er gilt als ministrabe­l für den Fall, dass es tatsächlic­h zu einem Machtwechs­el käme. Aber wenn nicht, würde er die Fraktion sicher weiterführ­en wollen. „Ich gehöre keinem Lager an“, betont Hennig-wellsow. Sie ist eine machtbewus­ste Frau. In Thüringen hat sie als Partei- und Fraktionsc­hefin alle Fäden in der Hand. Ohne den Fraktionsv­orsitz wäre sie „schnell raus aus den Informatio­nsflüssen“, sagt sie. Das könnte ihr auf Bundeseben­e passieren. Jedenfalls lief das jahrelang so. Es hört sich wie eine Warnung an, wenn sie sagt, sie verfüge über eine hohe Widerstand­sfähigkeit. Denn: „Egal, was Leute von meinem Verhalten halten – mich beeindruck­t das nicht.“

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FOTO: DPA Die thüringisc­he Fraktionsv­orsitzende Susanne Hennig-wellsow (Linke) in der Ard-talkshow von Anne Will.

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