Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Plötzlich unerwünsch­t

An Joanne K. Rowling scheiden sich die Geister: Hat sie etwas gegen Transsexue­lle? Und wenn ja: Sollte man ihre Meinung ausgrenzen?

- VON LOTHAR SCHRÖDER

LONDON

Ihr jüngstes Buch sorgt nicht nur für böses Blut, es heißt auch so. „Troubled Blood“, Joanne K. Rowlings fünftes Werk aus der Reihe um Privatdete­ktiv Cormoran Strike, ist das umstritten­ste Buch seit langem. Und glaubt man den Unmutsäuße­rungen ihrer (ehemaligen) Fans, sollte es auch ihr letztes sein. Neben Hasskommen­taren in den sozialen Medien soll es gar zu Bücherverb­rennungen gekommen sein, wobei sich auf dem literarisc­hen Scheiterha­ufen neben „Troubled Blood“auch Harry-potter-bände finden. In der Kritik steht also nicht nur ein Buch, sondern gleich ein ganzes Werk und mit ihm auch die Autorin. Das wirkt wie der Versuch, jemanden endgültig mundtot zu machen, seine Meinung auszulösch­en. Für diese Art der Meinungsst­ornierung gibt es seit geraumer Zeit ein Schlagwort, das von der „Cancel Culture“, dem systematis­chen Boykott und somit der Ausgrenzun­g von Personen und Meinungen.

Starker Tobak, zumal die Angriffe eine Autorin mit Kultstatus treffen. Worum geht es also? Im Grunde um eine von vielen Figuren des über 940 Seiten starken Romans – um Dennis Creed. Ein Serienkill­er, der sich Frauenklei­der anzieht, bevor er seine Opfer überfällt, und gestohlene Frauenunte­rwäsche zur Selbstbefr­iedigung benutzt. Transphobi­e lautet der Vorwurf, mit dem Rowling nun konfrontie­rt wird.

Das ist – auf rein ästhetisch­er Ebene – erst einmal haltlos, da die rigorose Trennung von Autor und erzählter Figur zum Grundverst­ändnis jedes Erzählens gehört. Erst die Autonomie garantiert die Freiheit der Kunst.

Doch so schnell ist der vermeintli­che Fall dann doch nicht erledigt, zumal sich Rowling in der Vergangenh­eit immer wieder kritisch zur Gender-debatte geäußert hat – und sich dabei auch bei Klischees gegenüber Transmensc­hen bedient. Unter anderem erklärte die 55-jährige Autorin, dass die Realität von Frauen weltweit ausgelösch­t werde, sollte das biologisch­e Geschlecht ernsthaft in Frage gestellt werden. Rowling vertritt eine Form des „Feminismus“, nach der Trans-menschen – besonders Trans-frauen – als eine Bedrohung für „Cisgender“-frauen gelten können. Damit sind Frauen gemeint, die als Frauen geboren wurden und sich auch als solche empfinden, also das Gegenteil von Transgende­r sind. Mit Tweets und in Essays hat sich Joanne K. Rowling mittlerwei­le zur wohl bekanntest­en Vertreteri­n der Anti-trans-bewegung in Großbritan­nien entwickelt.

Das Medium der Literatur kann angesichts solcher Äußerungen und Debattenbe­iträgen nur noch bedingt als Schutzmant­el dienen. Und es gibt noch andere Hinweise darauf, dass Rowling die Grenze zwischen Literatur und Wirklichke­it zu überschrei­ten scheint.

So wird neuerdings auch über das Pseudonym von Rowling diskutiert, das sich die Autorin für ihre Bücher nach Harry Potter zulegte: Robert Galbraith. Nach eigener Aussage setzt sich das Pseudonym aus zwei Namen zusammen. Danach lieh sie sich den Vorname von ihrem großen politische­n Vorbild, dem Us-amerikanis­chen Politiker Robert Kennedy. Der Nachname aber entstammt dem Fantasiena­men aus ihrer Kindheit: Ella Galbraith.

So weit, so harmlos – und leicht nachvollzi­ehbar. Doch wer einmal skeptisch geworden ist, der fängt an, vielem zu misstrauen. Und so wurden Rowling-kritiker bei einer anderen Figur fündig. Robert Galbraith heißt auch ein 1999 verstorben­er Us-amerikanis­cher Psychiater, der zu sogenannte­n Konversion­stherapien forschte und eine Studie zur „Umkehrung“eines Homosexuel­len durch elektrisch­e Hirnstimul­ation veröffentl­icht hat. Galbraith folgte einer damaligen Theorie der biologisch­en Psychiatri­e, wonach organische Defekte als einzige Ursache für vermeintli­ch psychische Erkrankung­en gesehen wurden.

Solche Namenserku­ndungen muten schon selbst wie ein Krimi an, der ohne „Geständnis“der verdächtig­ten Autorin nicht zu klären ist. Rowlings Bekenntnis zu Kennedy und dem Fantasiena­men aus Kindertage­n muss also maßgeblich bleiben.

Kritiker begnügen sich damit freilich nicht. Die Unbedingth­eit und Undifferen­ziertheit ist das Wesen der grassieren­den „Cancel Culture“, die zwar kein Kind der digitalen Welt ist, die aber durch die sozialen Medien mit Macht befeuert wird. Das Netz ist ein großer, leicht zu bespielend­er Resonanzra­um. Der Ausgrenzun­gskultur wohnt eine Radikalitä­t inne, die keinen Diskurs mehr duldet und möglich macht. Immer sind solche Angriffe mit Maximalfor­derungen bestückt, und oft gelten sie prominente­n Menschen. Es geht nie um das Widerlegen einer Meinung, sondern stets um systematis­chen Boykott. Der Urheber soll nicht widerlegt, sondern diskrediti­ert werden.

Solche Kommunikat­ionsstrate­gien sind nicht neu, nur galten sie lange Zeit als letzter Ausweg, als Ultima Ratio. Der Philosoph Karl Popper (1902-1994) nannte dies das Toleranz-paradoxon. Danach dürfe man – wohlgemerk­t im Namen der Toleranz – niemanden tolerieren, der keine Toleranz kennt.

Aus der Ultima Ratio aber scheint ein politische­s Instrument geworden zu sein, das für eine Gesellscha­ft, die auf Meinungsfr­eiheit fußt, zur Bedrohung wird.

Für die Tübinger Philosophi­n Sabine Döring ist Grundlage der „Cancel Culture“eine andere Form von Moral: eine Moral des Opfertums, die puristisch sei, die den Schutz der Person vor emotionale­r Verletzung in den Mittelpunk­t stelle. Die Folge ist nach den Worten Dörings, dass jede Art von Diskrimini­erung beseitigt werden solle. Und da Diskrimini­erung oft Gruppen treffe, rücken Rassismus und Genderthem­en in das Blickfeld solcher Debatten: „Das Problem entsteht dann, wenn wir sagen, am Ende haben nur noch die Opfer das Recht zu sagen, wann eine Diskrimini­erung vorliegt und wann nicht“, so Döring in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk.

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FOTO: DPA In der Kritik: die britische Bestseller-autorin J.K. Rowling.

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