Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Bremsen Schnupfenviren Corona aus?
Hoffnung für die kühle Jahreszeit: Mediziner wissen, dass manche Virenarten sich gegenseitig hemmen können. Nun gibt es erste Hinweise, dass dieser virale Effekt nicht nur für die Grippe, sondern auch für Sars-cov-2 gelten könnte.
NEW HAVEN Erkältungszeit, Grippewelle – und dazu noch Corona. Die Aussichten für die bevorstehende kühlere Jahreszeit sind nicht gerade rosig. Die Sorge, dass Sars-cov-2 in Herbst und Winter deutlich leichteres Spiel hat als in den vergangenen sommerlichen Monaten, ist durchaus begründet. Wenn Menschen sich vermehrt in geschlossenen Räumen aufhalten, Büros, Klassenzimmer und Wohnungen nicht mehr so häufig durchlüftet werden, erweitert sich die Komfortzone für Viren erheblich. Die Möglichkeiten einer Infektion erhöhen sich unter solchen Rahmenbedingungen deutlich. Das gilt nicht nur für SarsCOV-2, sondern auch für Schnupfen- und Influenzaviren.
Aber möglicherweise hat die Schnupfenzeit auch eine gute Seite. Denn Mediziner wissen schon länger, dass bestimmte Viren sich durchaus auch gegenseitig hemmen können. Virale Interferenz nennen das die Fachleute. Das bedeutet: Ist ein Wirt bereits mit einem Virus infiziert, haben andere Erreger es schwer, diesen Wirt ebenfalls zu infizieren. In der Wissenschaft besteht nun die Hoffnung, dass eine Infektion mit Schnupfenviren (Rhinoviren) unter Umständen nicht nur gegen Influenza, sondern auch gegen eine Infektion mit Sars-cov-2 schützen könnte.
Die gegenseitige Hemmung zwischen Schnupfen- und Influenzaviren haben Forscher der Yale Universität im amerikanischen New Haven nun genauer untersucht. Sie werteten Daten von insgesamt 13.000 Patienten aus. Alle waren in den vergangenen drei Jahren während der Wintermonate von einer Atemwegserkrankung betroffen und wurden im Krankenhaus in New Haven behandelt. Zum Zeitpunkt der Datenerhebung war die Saison für Rhinoviren und Influenza jeweils auf ihrem Höhepunkt.
Die Ergebnisse der ausgewerteten medizinischen Daten zeigten deutlich: Nur sehr wenige Patienten waren mit beiden Viren gleichzeitig infiziert. Die Wissenschaftler hätten nach Modellrechnungen eigentlich bei 67 der 13.000 Patienten einen Befall mit beiden Viren erwartet. Tatsächlich waren es aber nur zwölf Menschen, die Rhino- und Influenzaviren aufwiesen.
Das Forscherteam untersuchte das Phänomen näher im Labor: Kulturen mit menschlichen Atemwegszellen infizierten sie zunächst mit dem Rhinovirus und drei Tage später mit einer Variante des H1n1-grippevirus. Sie stellten fest, dass die Influenzaviren sich auf den vorinfizierten Nährböden wesentlich schlechter entwickelten und vermehrten. Spezielle molekularbiologische Tests (die so genannte PCR) bestätigten die Beobachtung mit Zahlen: Auf den zuvor mit Rhinoviren infizierten Atemwegszellen war der Befall mit Influenzaviren nach 24 und auch nach 48 Stunden um mehr als das 15-Fache verringert.
Aber warum ist das so? Warum können Schnupfenviren offenbar die Verbreitung anderer Viren ausbremsen? Die Wissenschaftler machen vor allem Botenstoffe dafür verantwortlich, in erster Linie das Interferon. Dieses Glykoprotein (also ein Molekül, das aus Zuckerund Eiweißbausteinen besteht) ist in der Medizin lange bekannt als antivirale Substanz, die außerdem das Immunsystem stimuliert. Bei der weiteren Analyse der Zellreaktionen stellte sich heraus, dass in den mit Schnupfenviren vorinfizierten Zellen tatsächlich Interferone freigesetzt wurden. Dort hatte bereits eine starke Abwehrreaktion eingesetzt. Die später zugefügten Influenzaviren konnten sich nicht mehr ausbreiten. Anders ausgedrückt: Die Grippeviren kamen zu spät. Die Abwehrreaktion der Zellen war bereits durch die Rhinoviren aktiviert, bevor das Influenzavirus sie schädigen konnte.
Was bedeutet dies für die Corona-forschung? „Diese Ergebnisse liefern starke experimentelle Belege dafür, dass die von der Rhinoviren-infektion ausgelöste Interferonreaktion die Atemwegs-schleimhäute vor der Influenza-infektion schützt“, schreiben die Forscher. Ihre Hoffnung ist nun, dass eine solche virale Interferenz auch den Verlauf der Corona-pandemie in Herbst und Winter beeinflussen könnte. Erste Studien sprächen bereits dafür, dass Interferone auch Sars-cov-2 hemmen können, erklären die Wissenschaftler der Yale
Universität. Sie gehen im Übrigen davon aus, dass diese virale Hemmung auch ein Grund dafür war, warum die Schweinegrippe-pandemie im Jahr 2009 in Europa weitaus schwächer ausgefallen ist als ursprünglich befürchtet. Ihr Forschungsansatz lautet: „Wenn die Interferenz durch das Rhinovirus im Jahr 2009 die Influenza-pandemie in Europa stören konnte, dann könnte diese virale Interferenz auch das Potenzial besitzen, die aktuelle Corona-pandemie zu unterbrechen.“Auch eine therapeutische Aktivierung der Interferonreaktion der Atemwegszellen wäre medizinisch im Bereich des Möglichen, so die Forscher.
Die Ergebnisse stimmen also hoffnungsvoll, dass die Pandemie im Winter weniger bedrohlich wird als befürchtet. Bis alle Fragen eindeutig beantwortet sind, sollte weiterhin unbedingt gelten: Abstand halten, Mundschutz tragen, Niesetikette beachten. Deren Schutzwirkung ist bereits eindeutig erwiesen.