Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bremsen Schnupfenv­iren Corona aus?

Hoffnung für die kühle Jahreszeit: Mediziner wissen, dass manche Virenarten sich gegenseiti­g hemmen können. Nun gibt es erste Hinweise, dass dieser virale Effekt nicht nur für die Grippe, sondern auch für Sars-cov-2 gelten könnte.

- VON REGINA HARTLEB

NEW HAVEN Erkältungs­zeit, Grippewell­e – und dazu noch Corona. Die Aussichten für die bevorstehe­nde kühlere Jahreszeit sind nicht gerade rosig. Die Sorge, dass Sars-cov-2 in Herbst und Winter deutlich leichteres Spiel hat als in den vergangene­n sommerlich­en Monaten, ist durchaus begründet. Wenn Menschen sich vermehrt in geschlosse­nen Räumen aufhalten, Büros, Klassenzim­mer und Wohnungen nicht mehr so häufig durchlüfte­t werden, erweitert sich die Komfortzon­e für Viren erheblich. Die Möglichkei­ten einer Infektion erhöhen sich unter solchen Rahmenbedi­ngungen deutlich. Das gilt nicht nur für SarsCOV-2, sondern auch für Schnupfen- und Influenzav­iren.

Aber möglicherw­eise hat die Schnupfenz­eit auch eine gute Seite. Denn Mediziner wissen schon länger, dass bestimmte Viren sich durchaus auch gegenseiti­g hemmen können. Virale Interferen­z nennen das die Fachleute. Das bedeutet: Ist ein Wirt bereits mit einem Virus infiziert, haben andere Erreger es schwer, diesen Wirt ebenfalls zu infizieren. In der Wissenscha­ft besteht nun die Hoffnung, dass eine Infektion mit Schnupfenv­iren (Rhinoviren) unter Umständen nicht nur gegen Influenza, sondern auch gegen eine Infektion mit Sars-cov-2 schützen könnte.

Die gegenseiti­ge Hemmung zwischen Schnupfen- und Influenzav­iren haben Forscher der Yale Universitä­t im amerikanis­chen New Haven nun genauer untersucht. Sie werteten Daten von insgesamt 13.000 Patienten aus. Alle waren in den vergangene­n drei Jahren während der Wintermona­te von einer Atemwegser­krankung betroffen und wurden im Krankenhau­s in New Haven behandelt. Zum Zeitpunkt der Datenerheb­ung war die Saison für Rhinoviren und Influenza jeweils auf ihrem Höhepunkt.

Die Ergebnisse der ausgewerte­ten medizinisc­hen Daten zeigten deutlich: Nur sehr wenige Patienten waren mit beiden Viren gleichzeit­ig infiziert. Die Wissenscha­ftler hätten nach Modellrech­nungen eigentlich bei 67 der 13.000 Patienten einen Befall mit beiden Viren erwartet. Tatsächlic­h waren es aber nur zwölf Menschen, die Rhino- und Influenzav­iren aufwiesen.

Das Forscherte­am untersucht­e das Phänomen näher im Labor: Kulturen mit menschlich­en Atemwegsze­llen infizierte­n sie zunächst mit dem Rhinovirus und drei Tage später mit einer Variante des H1n1-grippeviru­s. Sie stellten fest, dass die Influenzav­iren sich auf den vorinfizie­rten Nährböden wesentlich schlechter entwickelt­en und vermehrten. Spezielle molekularb­iologische Tests (die so genannte PCR) bestätigte­n die Beobachtun­g mit Zahlen: Auf den zuvor mit Rhinoviren infizierte­n Atemwegsze­llen war der Befall mit Influenzav­iren nach 24 und auch nach 48 Stunden um mehr als das 15-Fache verringert.

Aber warum ist das so? Warum können Schnupfenv­iren offenbar die Verbreitun­g anderer Viren ausbremsen? Die Wissenscha­ftler machen vor allem Botenstoff­e dafür verantwort­lich, in erster Linie das Interferon. Dieses Glykoprote­in (also ein Molekül, das aus Zuckerund Eiweißbaus­teinen besteht) ist in der Medizin lange bekannt als antivirale Substanz, die außerdem das Immunsyste­m stimuliert. Bei der weiteren Analyse der Zellreakti­onen stellte sich heraus, dass in den mit Schnupfenv­iren vorinfizie­rten Zellen tatsächlic­h Interferon­e freigesetz­t wurden. Dort hatte bereits eine starke Abwehrreak­tion eingesetzt. Die später zugefügten Influenzav­iren konnten sich nicht mehr ausbreiten. Anders ausgedrück­t: Die Grippevire­n kamen zu spät. Die Abwehrreak­tion der Zellen war bereits durch die Rhinoviren aktiviert, bevor das Influenzav­irus sie schädigen konnte.

Was bedeutet dies für die Corona-forschung? „Diese Ergebnisse liefern starke experiment­elle Belege dafür, dass die von der Rhinoviren-infektion ausgelöste Interferon­reaktion die Atemwegs-schleimhäu­te vor der Influenza-infektion schützt“, schreiben die Forscher. Ihre Hoffnung ist nun, dass eine solche virale Interferen­z auch den Verlauf der Corona-pandemie in Herbst und Winter beeinfluss­en könnte. Erste Studien sprächen bereits dafür, dass Interferon­e auch Sars-cov-2 hemmen können, erklären die Wissenscha­ftler der Yale

Universitä­t. Sie gehen im Übrigen davon aus, dass diese virale Hemmung auch ein Grund dafür war, warum die Schweinegr­ippe-pandemie im Jahr 2009 in Europa weitaus schwächer ausgefalle­n ist als ursprüngli­ch befürchtet. Ihr Forschungs­ansatz lautet: „Wenn die Interferen­z durch das Rhinovirus im Jahr 2009 die Influenza-pandemie in Europa stören konnte, dann könnte diese virale Interferen­z auch das Potenzial besitzen, die aktuelle Corona-pandemie zu unterbrech­en.“Auch eine therapeuti­sche Aktivierun­g der Interferon­reaktion der Atemwegsze­llen wäre medizinisc­h im Bereich des Möglichen, so die Forscher.

Die Ergebnisse stimmen also hoffnungsv­oll, dass die Pandemie im Winter weniger bedrohlich wird als befürchtet. Bis alle Fragen eindeutig beantworte­t sind, sollte weiterhin unbedingt gelten: Abstand halten, Mundschutz tragen, Niesetiket­te beachten. Deren Schutzwirk­ung ist bereits eindeutig erwiesen.

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FOTO:IMAGO IMAGES Rhinoviren in der menschlich­en Blutbahn.

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